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Hier geht’s aber nicht nach Büttenwarder. Yalcin Gümer (Fahri Yardim, von links), der Punker Tom Nix (Ben Münchow) und Nick Tschiller (Til Schweiger) suchen auf der Insel Neuwerk nach dem Mörder von Toms Bruder.

© NDR/Christine Schroeder

„Tatort mit Til Schweiger: Ebbe und Blut

Von kinotauglich auf Normalmaß: Til Schweiger alias Nick Tschiller lässt sich in seinem neuen „Tatort“ herunterdimmen.

Was ist das denn? Til Schweiger spielt im „Tatort“ Paintball, baut Zäune, betreut traumatisierte Kinder, kämpft mit seinen Gefühlen, kuschelt mit der Erzieherin, im Hintergrund muhen Kühe auf der Nordseeinsel Neuwerk – müssen wir uns Sorgen um Nick Tschiller machen?

Der Mann, der sich als LKA-Ermittler zuletzt durch halb Europa mit dem schwerkriminellen Astan-Clan herumgeschlagen hat, der Mann, der den „Tatort“ aus den Angeln zu heben drohte, er scheint im wahrsten Sinne des Wortes runtergekommen. Vom Til-Schweiger-Tschiller-Touch, von diesem Ich-kann-es-auf-dem-Sendeplatz-besser-als-alle-anderen ist nur noch wenig zu sehen. Und das, um es gleich vorwegzunehmen, ist nicht das Schlechteste, was der Hamburger „Tatort“-Ausgabe und wohl auch Til Schweiger passieren konnte.

Nach all dem Gehechte und Geballer, dem Großgangstertum zwischen Hamburg, Istanbul und Moskau (zuletzt in „Tschiller – Off Duty“) ist „Tschill Out“ jedenfalls ein fast ganz normaler „Tatort“ [„Tatort: Tschill Out“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15]. Mit nur einer Leiche, halbwegs regulärer polizeilicher Ermittlungsarbeit und Fragen wie „Wo sind Sie Freitagnacht zwischen 23 Uhr und Mitternacht gewesen?“

Die allerdings zunächst einmal Tschillers Kumpel Yalcin Gümer (Fahri Yardim) und die neue LKA-Kollegin Robin Pien (Zoe Moore) stellen müssen, in der Hansestadt. Es geht, so hat es anfangs zumindest den Anschein, um Drogenhandel im Darknet. Die Brüder Nix, Leader einer Punkrockband, werden verhaftet und in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen.

Auf dem Weg zu einem Gerichtstermin gerät Gümer auf einer Autobahnraststätte mit den beiden Zeugen in einen Hinterhalt. Einer der Brüder wird erschossen. Wer wusste von der Tour? Es muss einen Maulwurf beim LKA geben. Nick Tschiller, eigentlich suspendierter Hauptkommissar des Landeskriminalamtes, ist bald wieder mitten im Geschehen.

Tschiller wurde von Tochter Lenny (Luna Schweiger) für drei Monate auf die Insel geschickt. Auf Neuwerk, im Wattenmeer vor Cuxhaven, soll er mit traumatisierten Jugendlichen arbeiten und so sein eigenes Trauma verarbeiten. Bei seinem letzten offiziellen Einsatz mit Erzfeind Firat Astan ist seine Ex-Frau ums Leben gekommen, dabei in seinen Armen gestorben.

„Du hast Scheiße gebaut, darum bist du hier."

Tschiller gibt sich dafür die Schuld. Latschen im Watt, Ebbe und Flut statt Dynamit. Seit Rambo und John McClane (Bruce Willis, „Stirb langsam“) wissen wir aber: Der Mann kehrt zurück. Da ist einfach zu viel Adrenalin im Spiel.

Tschiller wird auf Neuwerk sowieso nicht zum Rettungsschwimmer. Die Erziehung der jungen Leute geht der Cop in Ruhestellung eher unorthodox an. Dazu eine kurze Romanze mit der Kollegin Patti Schmidt (grandios: Laura Tonke), die ruhige Weite auf der Mini-Insel mit Dauerregen und der Kampf gegen Dämonen.

„Akuten Realitätsverlust aufgrund eines verzerrten Selbstbildes“ wirft ihm Patti in dem Zusammenhang vor. Gänzlich geläutert ist Nick Tschiller trotz der Zeit auf der Insel nicht. „Du hast Scheiße gebaut, darum bist du hier. Ich hab getan, was ich tun musste“, erklärt er einem der verhaltensauffälligen Jugendlichen.

Realitätsverluste, verzerrte Selbstbilder, Reise nach innen – es galt also, Nick Tschiller von kinotauglich auf das rechte TV-Maß zu stutzen. Mit Routinier Eoin Moore hätte sich der NDR dafür keinen besseren Regisseur wünschen können. Seit 2005 dreht Moore für die Reihe „Polizeiruf 110“, hat ab 2010 als Hauptautor die Fälle eines der besten Ermittlerteams im Ersten konzipiert: die Rostocker Teams Bukow und König (Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau), beide psychisch auch nicht ganz stabil.

Moore hat ein Gespür dafür, wie dem klassischen Kriminalfall, der Traumaverarbeitung der Protagonisten und dem Image eines nicht ganz unumstrittenen TV-Ermittlers beizukommen ist. Schweiger/Tschiller schien bislang im „Tatort“-Universum – es ist sein sechster Fall – ja nur um sich selbst zu kreisen. Frei nach dem Motto: Die Frage, von welchem Gewicht dieses Fernsehformat zu sein hat, hängt nur von mir alleine ab.

Größenwahn! sagen die einen. Hollywood! die anderen. Recht machen kann man es im Falle Schweiger kaum jemandem. Journalisten sowieso nicht, denen der Schauspieler und Regisseur jüngst vorwarf, für den Flop seines Films „Head full of Honey“ wegen schlechter Berichterstattung vorab verantwortlich zu. Dem soll hier nicht weiter Vorschub geleistet werden. Gibt auch kaum Gründe.

Manche werden Tschillers Dächersprünge und MG-Salven vermissen, die geringe Anzahl an Leichen, Explosionen (keine!) und zerstörte Autos. Oder die Fährte infrage stellen, die das Buch mit dem Thema Linke, Punkrock/Drogen im Darknet leichterhand auslegt, bevor es dann kriminell um ganz andere Kaliber geht, ohne hier allzu viel zu verraten.

Am Ende geht’s doch um Til Schweiger. Quo vadis, Nick Tschiller? LKA oder Lenny? Wieder mit Kumpel Yalcin auf die Flure oder Meditieren auf der Insel? Dieser beinahe normale Sonntagskrimi lässt Fragen offen. Schweiger hat die neue Episode als „unseren Neustart“ bezeichnet, vor allem wegen der wenigen Toten. „Dagegen war der letzte ,Tatort – Off Duty‘ der dritte Weltkrieg.“ Ach, Til.

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