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Auffälliger geht’s kaum. Kommissar Bootz (Felix Klare) soll dem Erpresser das Lösegeld bringen.

© SWR/Benoît Linder

„Tatort“-Jubiläum in Stuttgart: Warum das Ermittlerteam unbedingt weitermachen sollte

Von Kafka, Kubrick und Kränkungen: Richy Müller und Felix Klare sind seit 25 „Tatort“-Fällen im Einsatz – und für so manchen Ausnahme-„Tatort“ gut.

Ein guter Anlass für einen Rückblick: „Du allein“ markiert ein kleines Jubiläum für die beiden Stuttgarter „Tatort“-Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare). Vor zwölf Jahren haben sie mit „Hart an der Grenze“ (Regie: Elmar Fischer, Drehbuch: Holger Karsten Schmidt) den Dienst angetreten. Nun sind sie seit 25 Fällen im Einsatz.

Die ab 1992 gesendeten Folgen mit dem betulicheren Vorgänger Ernst Bienzle (Dietz-Werner Steck) waren stark regional geprägt, mit schwäbischem Lokalkolorit versehen und mit eher biederem Charme. Dem neuen Team hat man einen ganz anderen Look verpasst: Der Stuttgarter „Tatort“ wurde moderner, klarer, ein Stück weit großstädtischer auch, zugleich menschelte es nicht mehr gar so sehr wie beim guten alten Bienzle. Es war ein spürbarer Bruch.

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Im Retro-Blick zurück fällt Stuttgart durchaus mit dem einen oder anderen Film auf, der im kollektiven „Tatort“-Gedächtnis haften bleibt: Etwa der von Niki Stein geschriebene und inszenierte „HAL“ aus dem Jahr 2016, der mehr einem Science-Fiction-Thriller denn einem Polizeifall gleichkommt und eine explizite experimentelle Hommage an Stanley Kubricks Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ darstellt, zudem in Kapitel aufgeteilt ist, deren einzelne Überschriften jeweils den Titel einer Erzählung oder eines Romans von Franz Kafka tragen – „Der Verschollene“, „Der Prozess“ oder „Die Verwandlung“. Kafka und Kubrick im „Tatort“ – das hat was.

Der Stau als Mikrokosmos

Oder „Stau“ von 2017 (Regie und Buch: Dietrich Brüggemann), ein Fall, der sich in einem einzigen langen Verkehrsstau abspielt, mit Ermittlungen, die das Duo Lannert und Bootz von Auto zu Auto, von Fahrer zu Fahrerin führen, einen ganzen Abend lang. Jeder Wagen mit seinen Insassen bietet einen Mikrokosmos, gedreht wurde dieses hermetische Open-Air-Kammerspiel teils in einer Halle der Messe Freiburg, in der ganze Abschnitte der Ausfallstraße Neue Weinsteige nachgebaut wurden.

[Der neue Stuttgart-„Tatort: Du allein“ läuft am Sonntag um 20 Uhr 15 in der ARD]

Stuttgart, das in seiner meist nüchternen Klarheit den denkbar größten Kontrast etwa zum Münsteraner Spaß-Duo Boerne/Thiel darstellt, ist für so manchen Ausnahme-„Tatort“ gut. Da 25 Fälle keine 25 Jahre sind – die so manch anderer Tatortler längst auf dem grauen Buckel hat –, bleibt zu wünschen, dass Richy Müller und Felix Klare die Dienstmarke noch eine ganze Zeit lang behalten. Es gäbe andere, deren Ablösung eher überfällig wäre.

Standen vor zwölf Jahren das erste Mal für den Stuttgarter Tatort vor der Kamera: die Schauspieler Richy Müller und Felix Klare
Standen vor zwölf Jahren das erste Mal für den Stuttgarter Tatort vor der Kamera: die Schauspieler Richy Müller und Felix Klare

© SWR/Maor Waisburd

Der Jubiläums-Fall „Du allein“ ist zugleich auch der Abschied der aparten Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera), die hier unspektakulär ausscheidet. Dieser Abschied wird letztlich nicht erzählt, er wird vielleicht zwischen den Zeilen angedeutet, im Hadern und Zögern von Alvarez. Vielleicht war dafür einfach keine Zeit in diesem tragischen Rachefeldzug.

Die "1" ist nur der Anfang

Schon nach den ersten Bildern, die in der Fahrt gefilmte Häuserfronten zeigen, legt das Gewehr und mit ihm zugleich die Kamera an, denn Kamerabild und Zielfernrohr werden eins. Es hält auf die Passanten, die in den Straßen und Alleen entlanggehen, schwenkt mit, von einem zum nächsten, hält jedes Mal kurz inne, dann, bei einer blonden Frau, gerade hat sie sich noch von jemandem verabschiedet und kurz am Briefkasten nachgesehen, ertönt der Schuss und die Kugel rast aus der Entfernung von hinten in ihren Rücken. Zugleich geht bei den beiden Kommissaren Lannert und Bootz ein Schreiben ein, adressiert an „Die Ermittler im heutigen Mordfall“. Doch bisher haben sie noch gar keinen Mordfall und wundern sich: Ein Scherz? Das Schreiben enthält ein weißes Blatt Papier, in dessen Mitte lediglich die Zahl „1“ ausgedruckt steht. Mehr nicht. „1“, das gilt der blonden Frau, und das ist erst der Anfang.

„Du allein“ wurde von Friederike Jehn nach dem konzisen Drehbuch von Wolfgang Stauch in Szene gesetzt. Zusammen mit Kameramann Andreas Schäfauer wurde eine kühle, klare Bildsprache gefunden, in deren visuellem Subtext permanente Anspannung und latente Bedrohung liegen. Die Erzählweise ist dabei klassisch linear. Dann vollziehen Narration und Inszenierung in der Mitte urplötzlich einen Kunstgriff und fahren fortan zweigleisig: Der oder die Täterin ist nun zu sehen und das allwissende Publikum ist den beiden Kommissaren bis kurz vor Schluss um wesentliche Wissensschritte voraus.

Während das Lied „Sunrise“ in „Du allein“ immer wieder zu hören ist (Musik: Lorenz Dangel), es sich geradezu leitmotivisch durch dieses angespannte Drama zieht, ist mitanzusehen, wohin Liebe, manische Liebe zumal, führen kann. Wozu der Mensch fähig ist, wenn er verletzt, gekränkt, zutiefst enttäuscht ist. „Too much pain, too much pressure“ heißt es an einer Stelle in „Sunrise“.

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