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Es könnte Liebe sein.  Was verbindet Martin (Andreas Lust) und Emily (Meira Durand), die Kilometer um Kilometer durch den Schwarzwald fahren?

© SWR/Benoit Linder

"Tatort": Der Mann und das Mädchen

„Für immer und dich“: Der Schwarzwald-"Tatort“ erzählt die „Lolita“-Geschichte neu. Und Rio Reiser ist auf der Tonspur

Dieser „Tatort“ ist anders. Weil Autor Magnus Vattrodt und Regisseurin Julia von Heinz die 90 Minuten anders haben wollen. Vattrodt lässt die Beziehung zwischen dem Teenager Emily Arnold (Meira Durand) und dem viel älteren Martin Nussbaum (Andreas Lust) mehr schweben als dass er sie eins, zwei, drei motiviert. Beide suchen sie eine Zukunft, vielleicht eine gemeinsame. Erst mal sind sie aus der jeweiligen Vergangenheit abgehauen. Martin hat einen Computerladen in die Pleite gefahren, bei Emily ist der Vater abgehauen, die Familienverhältnisse sind prekär, Mutter Michaela (Kim Riedle) wirkt fragil, das soziale Milieu lappt ins Asoziale rüber; wo die Erwachsenen überfordert sind und wie Martin nach Lebensauswegen suchen, hat Emily wenigstens das Leben noch vor sich.

Mann, Mädchen plus Hund sind nach zwei Jahren Europatour kurz vor Freiburg, dort lebt Mutter Nussbaum (Ursula Werner), die der Sohn erneut anpumpen will. Martin lebt in der Gegenwartsschrumpfung, er braucht Geld, Geld, Geld. Unterwegs klaut ein Dieb die Laptoptasche aus dem Auto, Martin verfolgt ihn, dann liegen Dieb und Moped im Abgrund. Kommissar Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) übernimmt die Ermittlungen, während sich Kollegin Franziska Tobler (Eva Löbau) um den schon seit zwei Jahren offenen Fall der verschwundenen Emily kümmert.

Will Emily zurück zur Familie?

Martin gerät mehr und mehr unter Druck, Emily flippert durch die Gegend. Erkennbar hat die Faszination des älteren Mannes nachgelassen, auf Überwachungsvideos entdecken die Fahnder, dass Emily sich beim Elternhaus herumgetrieben hat. Heimweh, Sehnsucht nach der Familie, Ausstieg aus dem Ausstieg? Beim Beieinander von Mann und Teenager flirrt der Film, sommerliche Leichtigkeit und latente Bedrohung lagern sich nebeneinander. Buch und Regie kümmern sich um das Faszinierende wie Rätselhafte der Beziehung. Magnus Vattrodt hat eine überzeugende „Lolita“-Konstellation formuliert, rasch verschwindet die Konstruktion hinter den Lebensgeschichten; das Gesellschaftsthema des sexuellen Missbrauchs schwingt mit, eine unnötig offenherzige Sexszene zeigt es an. Regisseurin Julia von Heinze gibt auch den vermeintlich kleinen Momenten die Zeit, die sie für ihren Eindruck brauchen.

„Ich kann weder vor noch zurück“, wird Martin zu seinem misstrauischen Bruder Rolf (Antonio Wannek) sagen, als er die gemeinsame Mutter um ihr Geld bringen will. „Du und ich, das war doch nicht für die Ewigkeit“, wird Emily zu Martin sagen, als der sich das Messer an den Hals setzt. „Für immer und dich“, brüllt Rio Reiser aus der Kassette im Autoradio. Für nimmer und mich, auch darum geht es.

Das Kommissarsduo in diesem „Tatort“ ist funktional, es muss die Fahndung vorantreiben und zugleich die Druckverhältnisse im Mann-Teenager-Paar nach oben schieben. Der Friedemann Berg des Hans-Jochen Wagner ist die laute, offensive, treibende Kraft. Er will auch egalisieren, dass damals, als die 13-jährige Emily Arnold spurlos verschwunden war, die Suche nach ihr aufgegeben wurde. Wagner konturiert seinen Kommissar mit kräftigem Strich, während Eva Löbau ihre Kommissarin deutlich individueller, intuitiver, wenn man so will, psychologischer angelegt. Ein positiver Schwangerschaftstest verspricht das so lange gewünschte Baby, da tosen die Hormone, machen sensibel für ein verschwundenes Kind. Im professionellen Zusammenspiel rücken die Polizisten dem Paar näher und näher.

Bravourstück der jungen Schauspielerin

Meira Durand als Emily, Andreas Lust als Martin, das ist gerade auf Seiten der jungen Schauspielerin ein Bravourstück, diese Balance zwischen Mädchen und junger Frau, das Kindliche gegen das Weibliche, ein viel zu früh sexualisierter Mensch auf der Suche nach Nähe. Ein Wachsen in den Befreiungsschlag hinein.

Der Martin Nussbaum des Andreas Lust ist ein Getriebener. Sein Leben ist aus dem Gleis gesprungen. Jetzt lebt er mit Emily im Irgendwo, im Nirgendwo. Kostet Geld, das er von seiner Mutter, die in ihm nicht den Versager, sondern nur den Sohn sieht, mit Tricks erschleichen will. Martin Nussbaum, ein echter Loser, ist kein Erwachsener für Erwachsene, er will für seine Lolita der starke Mann und Geliebte, Pirat und Versorger sein. auch um den Preis von Manipulation und sexueller Nötigung. Lust vibriert in diesen Rollen, so anziehend wie abstoßend.

„Tatort: Für immer und dich“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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