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Wo ist die Leiche? Eisner (Harald Krassnitzer) & Fellner (Adele Neuhauser).

© ARD Degeto/ORF/Graf Film/Helga R

„Tatort" aus Wien: Der Berg ruft

Wenn nur noch das Schultergelenk übrig bleibt - im Wiener „Tatort“ decken Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser eine Familientragödie auf.

„Baum fällt!“ rufen sie aus, wenn sie hoch oben in den Wäldern dabei sind, Baum für Baum zu fällen, und genau in dem Moment sollte man sich in Sicherheit begeben, außer Reichweite des fallenden Baumes. Mehrmals ist der Ausruf im neuen „Tatort“ aus Wien zu hören, der dieses Mal gar nicht in Wien spielt, sondern die Ermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser), wie unlängst schon einmal an den Wolfgangsee, nun nach Kärnten führt. Dort, im Schatten des Großglockners, liegt ihr neuer Fall, oder besser, es liegt dort das, was davon übrig geblieben ist – das Implantat eines Titan-Schultergelenks.

Es gehörte dem umtriebigen Hubert Tribusser (Christoph von Friedl), Juniorchef des ortsansässigen großen Holzwerkes, in dem das halbe Dorf beschäftigt scheint, auch die junge Valli Granitzer (Verena Altenberger, die neue Ermittlerin im Münchner „Polizeiruf 110“) und ihr Mann Andi Granitzer (Christopher Ammann). Entsprechend groß der Kreis der Verdächtigen.

Denn so beliebt war der gewissenlose Tribusser-Hubert nun doch nicht. Mit jeder zweiten Frau im Dorf scheint er eine Affäre gehabt zu haben, sogar, wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellt, mit Johanna (Caroline Frank), der attraktiven Frau seines Bruders Klaus (Alexander Linhardt).

Klaus war und ist für den allmächtigen, dominanten Tribusser-Vater (Johannes Seilern) immer schon zweite Wahl. Der kalte, harte Vater – Freund des Wiener Polizeipräsidenten, weswegen Eisner und Fellner überhaupt ins trügerische Bergidyll berufen werden – hat’s am Herz.

Es ist nicht der erste Infarkt, den er hinter sich hat, und er baut ganz auf den alerten, aalglatten Hubert. Doch so, wie er sich bei den Frauen anderer bediente, so bediente der Hubert sich aus der Firmenkasse: Die Flugtickets für eine seiner Dorf-Affären waren schon gebucht.

Es geht um eine Schicksalsgemeinschaft

Nun also findet sich von dem Mann ohne Gewissen einzig das unverwüstliche Schultergelenk in den Überresten, die der Heizofen des Holzwerkes freigibt. Das sei alles, was von einem einmal übrig bleibe, meint der örtliche Polizeichef Alois Feining (Karl Fischer, der sympathische venezianische Sergente aus „Donna Leon“) und hält dabei die durchsichtige Plastiktüte mit dem Titangelenk hoch.

Das sagt er auf dem Polizeirevier zu Moritz Eisner, den er noch von früher kennt, aus einer Zeit vor 25 Jahren, als sie beide noch in Wien ermittelten. Was von uns wohl mal bleibt, fragt da der Feining den Eisner.

„Baum fällt“ ist zugleich der Titel des neuen „Tatorts“ aus Österreich, subtil inszeniert von Nikolaus Leytner („Der Trafikant“) nach dem klugen Drehbuch von Agnes Pluch. Es geht um eine Schicksalsgemeinschaft, um Einzelschicksale auch. Es geht um reziproke Abhängigkeiten finanzieller, sozialer und emotionaler Natur.

Um die Gier des Menschen und, auf der anderen Seite, um Zugewandtheit und Empathie. So wird hier, mit viel Zeit und wenig Tempo, eine Familientragödie geschildert, die anfangs gar nicht als solche erkennbar ist.

Manchmal nur, retrospektiv betrachtet, ist es ein kurzer Augenblick, eine kleine Geste, die etwas hätte verraten können. Erst sehr spät sind die narrativen Fäden zu erkennen, offenbart sich der Abgrund, den alle zu verdecken versuchen, auch und gerade die wirklich aufrichtig Liebenden. Das hat, ganz am Schluss, etwas Anrührendes.

„Baum fällt“ ist einer der besten Wiener „Tatorte“ seit längerer Zeit [„Tatort: Baum fällt“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15]. So gar nicht fad. Mit einer Wendung am Ende, die lange Zeit über nicht auf der Rechnung der Zuschauer steht und all die Tragik aufweist, die dann aufbricht, wenn Gier und Liebe, wenn das Dunkle und das Helle, zum falschen und eben fatalen Zeitpunkt aufeinanderstoßen. Das ist dann so ein Moment wie der, wenn der Baum fällt.

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