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Unter Druck.  Frank Mendt (Robert Hunger-Bühler, rechts) hat die Tochter von Kommissar Sebastian Bootz (Felix Klare) in seine Gewalt gebracht.

© SWR/Alexander Kluge

"Tatort" aus Stuttgart: Sterben und leben lassen

Die „Tatort“-Kommissare Lannert und Bootz geraten in eine Spirale aus Gewalt und Rache. Und das, obwohl die Mörder schon nach drei Minuten bekannt sind.

Wenn die Täter nach wenigen Minuten feststehen, dann muss einen Krimi eine andere Konstellation antreiben als die „Whodunit“-Frage. „Der Preis des Lebens“, es ist der 17. Stuttgarter „Tatort“ mit Richy Müller als Kommissar Thorsten Lannert und Felix Klare als Kollege Sebastian Bootz, nimmt einen Diskussionsfaden auf: Darf ich einen Menschen opfern, um einen anderen Menschen zu retten? Und wer entscheidet das?

Das Ehepaar Frank (Robert Hunger-Bühler) und Simone Mendt (Michaela Caspar) wird seit 15 Jahren von einem grausigen Verbrechen verfolgt. Tochter Mareike, ihr einziges Kind, war von Jörg Albrecht (David Bredin) und Stefan Freund (Christian Kerepeszki) drei Tage vergewaltigt, gequält, schließlich getötet worden. Bilder der Tat gelangten ins Netz, wurden zu Geld gemacht. Albrecht wurde gefasst, verurteilt, nach 15 Jahren kommt er frei. Das Ehepaar Mendt bringt ihn sofort in seine Gewalt, er wird gefoltert, bis er den bis dahin für das Paar wie für die Polizei unbekannten Namen des zweiten Mannes preisgibt. Dann töten ihn die Mendts, der zweite Täter soll gleichfalls büßen. Rache lindert den unendlichen Schmerz nicht, doch verschafft sie die Genugtuung, dass die Sexualverbrecher sterben müssen, wie Mareike sterben musste. Eine für Außenstehende widersinnige, wahnsinnige Gleichung, für die Mendts eine Formel für den Sinn ihres zerstörten Lebens.

Die Polizisten wissen von den Tätern, sie können sie aber nicht überführen, zugleich sie einen Wettlauf aufnehmen: Wer findet Stefan Freund zuerst? Es ist die Polizei, was dem Krimi sogleich eine verschärfte Spannung verleiht: Die Mendts entführen Bootz’ Tochter Maya (Miriam Joy Jung) und stellen ihn vor die Wahl: Bring uns Stefan Freund oder wir bringen Maya um. Sebastian Bootz gerät in ein bedrängendes Dilemma. Er will sein Kind unbedingt retten, als Vater tun, was er als Polizist nicht tun kann. Also hat er einen Plan, also vertraut er sich Lannert an, der jedoch sein Schweigen bricht und eine Großfahndung auslöst. Sebastian Bootz kann der schwierigsten Entscheidung seines Lebens nicht mehr ausweichen.

Jedes Leben ist gleich viel wert, ja?

Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt überwölbt diese Entwicklung mit jener Frage, die den Zuschauer jenseits der Auflösung wirklich umtreiben soll: Was, wenn die Guten aus nachvollziehbaren Gründen böse sind, die Bösen zwar die Bösen bleiben, doch in die Opferrolle geraten? Jedes Leben ist gleich viel wert, ja? Die Verbrecher sind in diesem Themenkosmos längst in den Hintergrund gerückt. Es geht um Rache, Trauma, es geht um Gerechtigkeit, um Moral, und es geht – ganz konkret – um Leben und Tod.

Schmidt weiß, was er mit seinen Protagonisten anfängt: Er war es, der die Stuttgart-Cops Lannert und Bootz kreiert hat, die familiäre Gegenwart von Bootz und die familiäre Vergangenheit von Lannert. Er muss ihnen nichts zwanghaft ankleben, was in den Figuren nicht schon drinsteckte. Schmidts Plot ist von überzeugender Souveränität, überlegen und überlegt. In diesem Charakterschach können sich die Figuren bewegen, ohne dass sie geschoben und verschoben wirken. Und das in einem Druckverhältnis, das Metamorphosen möglich und glaubwürdig machen wird. Denn das ist „Der Preis des Lebens“ bei allem Psycho-Thriller auch: ein Katz-und-Maus-Spiel, ein kompromissloses Hin und Her auf der Zeitschiene.

Roland Suso Richter, der Großprojekte-Regisseur („Dresden“, „Mogadischu“, „Die Spiegel-Affäre“), hat hier seinen dritten „Tatort“ gedreht, übrigens nach „Spiel auf Zeit“ den zweiten mit dem Stuttgarter Duo. Richter weiß um den Reichtum der von Schmidt konstruierten und dem bemerkenswerten Ensemble ausgefüllten Figuren. Sie sind nahe, sie sind fern, sie packen den Zuschauer. Der Film in der Inszenierung von Richter ist dringlich, ohne sich aufdringlicher Mittel zu bedienen.

Da sind Richy Müller und Felix Klare, deren Kommissare um Kollegialität, um ihre Freundschaft ringen. Klare ist über seinen Sebastian Bootz eindeutig präsenter, sozusagen Cinemascope, während Richy Müller als Torsten Lannert mehr an der Seite agiert. Aber wie jeder der beiden das auf seine Weise tut, das zeigt individuelles Können und spezifische Spielintelligenz. Und dann Simone und Frank Mendt, ein Schmerzenspaar, tief verstrickt in Trauma und Verlust, dargestellt von Michaela Caspar und Robert Hunger-Bühler. Mörder um der Tochter willen, vollgefüllt mit Trauer, Verletztheit und Rachsucht. Zwei Menschen, die längst auf der erdabgewandten Seite agieren. Verlierer, die niemals Sieger sein werden. Nur Leidtragende. Wer da nicht mitleidet, der hat ein Herz aus Stein.

„Tatort: Preis des Lebens“, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

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