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Entsetzt sieht Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) auf das brennende Auto des Schwimmtrainers.

© MDR

"Tatort" aus Dresden: Kein Witz und keine gute Laune

Der „Tatort“ aus Dresden wird erwachsen. Muss er auch, es geht um den Missbrauch von Kindern und um deren Tötung.

Dieser Krimi wird und will auch nicht in einer Sekunde seiner 90 Minuten gute Laune verbreiten. „Déjà-vu“ wühlt tief unten im Gefühlshaushalt der Protagonisten und der Zuschauer. Wie auch anders, wenn die Leiche des neunjährigen Rico Krüger in einer Tasche am Elbufer in Dresden gefunden wird. Der Junge wurde vor seinem Tod missbraucht. Ein solches Verbrechen lässt die Emotionen hochkochen. Die Bürger sind in Aufruhr, die Medien schüren Angst, gemeinsam mit den Eltern fordern sie rasche Ermittlungsergebnisse. Von der Wucht des Ereignisses werden auch Kommissariatschef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) und die Kommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) erfasst.

Gorniak ist alleinerziehende Mutter, Sieland wird erfahren, dass sie schwanger ist, an Schnabel nagt schwer, dass er das Verschwinden eines anderen kleinen Jungen vor drei Jahren nicht aufklären konnte. Gibt es gar einen Zusammenhang? In Dresden ist es heiß, sehr heiß, die Fahnder suchen der aufgeheizten Atmosphäre zu trotzen, aber je länger die Ermittlungen keine Spur auftun, desto nervöser, lauter, hysterischer agieren sie. Karin Gorniak projiziert das pädophile Muster auf ihren Nachbarn und Lover, weil der sich mit ihrem Sohn Anton gut versteht. Und Schnabel dreht frei. Nicht nur die Kleidung trägt Schwitzflecken.

Mehrfachperspektive

Die Autoren Mark Monheim und Stephan Wagner wollen den individuellen Fall wie das generelle Thema des Kindesmissbrauchs in einer Mehrfachperspektive behandeln und verhandeln. So sieht sich der Schwimmtrainer Micha Siebert (Niels Bruno Schmidt), der mit der Familie von Rico Krüger befreundet ist, aufgrund seiner angeblich pädophilen Vergangenheit einer Hexenjagd gegenüber – er wird ins Krankenhaus geprügelt. Den Verdacht aufgebracht hatte die Schulamtsleiterin Jennifer Wolf (Alice Dwyer), sie lebt mit René Zernitz (Benjamin Lillie) zusammen, der sich zu Kindern hingezogen fühlt. Das weiß der Zuschauer, die Fahnder wissen es nicht. Und das vermeintliche Monster ist auch ein Mensch, der geliebt werden kann. Dann sind da die Opferfamilie Krüger im Verzweiflungszustand und die Familie des ersten Opfers. Matej Nemec (Jörg Witte) will sich nicht mit der Erklärung der Polizei zufriedengeben, sein Sohn sei ertrunken. Journalisten drängen sich auch noch ins Gesamtbild: Wie immer im „Tatort“ sind sie zynisch, unsympathisch, Scoop-Jäger.

Verhindern die zahlreichen Blickwinkel die klare Krimi-Perspektive? Jein. Der Film bewegt sich zwischen Drama und Thriller, die Emotion begräbt die Analyse zuweilen unter sich, Spannung wird auf der psychologischen Ebene etabliert.

Der „Tatort“ aus Dresden bricht mit seinen Anfängen. Was (Chef-)Autor Ralf Husmann quasi zum Markenzeichen gemacht hatte – Ironie und Dysfunktion im Ermittlertrio –, ist mit „Déjà-vu“ augenscheinlich am Ende. Zeit ist es für Ernsthaftigkeit und Anteilnahme – angemessen bei Missbrauch und Tötung von Kindern. Das Abrücken vom kindischen „Tatort“ made in Dresden steht dem Krimi gut. Er wird erwachsen.

Gefühle werden Gefühlsausbrüche

Und doch kann mit der Anteilnahme übertrieben werden. Nicht bei den Betroffenen, wohl aber bei der Polizei. Es wird zu viel geschrieen, getobt, gebrüllt, Gefühle werden zu Gefühlsausbrüchen. Das mag Nähe und Menschlichkeit illustrieren, trotzdem scheint „Tatort“-Erstregisseur Dustin Loose („Rolltreppe abwärts“) die Ventile bei mancher Szene, bei mancher Figur zu stark aufgedreht zu haben. Er will Eindruck machen, wo Eindrücklichkeit gefragt wäre.

Das bleibt nicht ohne Wirkung und Nebenwirkung beim Stammensemble. Martin Brambach als Kommissariatsvorsteher hyperventiliert. Irgendwann wird diese Überidentifikation zur schlichten Übertreibung. Dass Kommissarin Gorniak im Nachbarn einen potenziellen Päderasten zu erkennen glaubt, passt in dieses Muster. Bitte nicht missverstehen: Brambach und die Hanczewski spielen ihre Figuren nicht in die Hysterie-Falle, da ist einfach zu viel Schauspielkapazität vorhanden, sie überakzentuieren nur die eine Seite.

Kommissarin Henni Sieland ist scheinbar aus diesem Spiel genommen. Sie musste ins Krankenhaus, weil sie bei der Hexenjagd auf Schwimmtrainer Siebert zum Nebenopfer wurde. Im Krankenbett ackert sie sich durch die Akten und findet den entscheidenden Hinweis. Alwara Höfels spielt auf diesem Grat zwischen Entschlossenheit und Wurschtigkeit, dass es nur so eine Art ist. Es wird unübersehbar, dass ihr Ausscheiden aus dem Dresdner „Tatort“ eine Leerstelle hinterlassen wird. Für sie kommt nach dem nächsten Fall Cornelia Gröschel. Keinesfalls kann sie als Ersatz kommen, ihre Figur wird einen sehr eigenen Zuschnitt brauchen.

„Tatort: Déjà-vu“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15

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