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Der Dokumentarfilm "Lovemobil" ist unter anderem für einen Grimme-Preis nominiert. Offenbar wurden einige Szenen mit Darstellern nachgespielt.

© SWR/Christoph Rohrscheidt

Szenen nachgespielt: NDR distanziert sich von Dokumentarfilm „Lovemobil“

In der Prostitutions-Doku „Lovemobil“ wurden einige Szenen inszeniert. Die Filmemacherin hat dafür eine besondere Erklärung. 

Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) hat sich am Montag vom preisgekrönten und vom NDR mitproduzierten Kino-Dokumentarfilm „Lovemobil“ distanziert. Der Film der Autorin Elke Margarete Lehrenkrauss schildert das Leben von Prostituierten, die unter entwürdigenden Umständen in Wohnmobilen am Rande von Bundesstraßen in Niedersachsen arbeiten. Er ist weltweit auf Festivals gelaufen, wurde im Juli 2020 mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet und ist für den Grimme Preis nominiert.

„Der Film ,Lovemobil‘ entspricht nicht den Standards, die der NDR an dokumentarisches Erzählen anlegt. Er gaukelt dem Publikum eine Authentizität vor, die er nicht hat“, sagte Frank Beckmann, Programmdirektion Fernsehen. 

Lehrenkrauss weist den Vorwurf der Täuschung weist von sich: Ihr Vorgehen sei "weder absichtlich noch böswillig" gewesen.

Wie der NDR in einer Mitteilung schreibt, zeigt „Lovemobil“ in weiten Strecken Szenen, die nicht authentisch sind. Das hätten Recherchen der NDR-Redaktion „STRG_F“ ergeben. Der Film soll zwar auf Basis von langjährigen Recherchen der Autorin entstanden sein, aber zentrale Protagonisten des Films schildern demnach nicht ihre persönlichen Erfahrungen, sondern spielen eine Rolle. Zahlreiche Situationen sind nachgestellt oder inszeniert.

[Das Reportageformat „STRG_F“ wird am Dienstag um 17 Uhr auf dessen Youtube-Kanal berichten. Im NDR-Fernsehen berichtet „Panorama 3“ am Dienstag um 21 Uhr 15.]

Der Dokumentarfilm wurde unter anderem aus Mitteln der Nordmedia Filmförderung finanziert, die NDR Dokumentarfilmredaktion war als Ko-Produzent beteiligt. Er lief coronabedingt nur kurz im Kino. Das NDR-Fernsehen zeigte „Lovemobil“ am 8. Dezember 2020, er konnte zudem in Mediathek abgerufen werden. Nach den Rechercheergebnissen wurde der Film nun vorerst aus der ARD-Mediathek genommen und für Wiederholungen gesperrt.

Einen weitreichenden Fall von manipulierten TV-Beiträgen hatte es 2019 bei RTL gegeben. Ein Reporter von RTL Nord hatte in über zwanzig Fällen unter anderem vermeintliche Protagonisten überredet, Dinge zu behaupten, die ihnen niemals widerfahren sind oder Geschichten nachzuerzählen, die ihm echte Protagonisten - die allerdings nicht gefilmt werden wollten - berichtet hatten.

Informationen aus dem Umfeld der Produktion

Die Redaktion von „STRG_F“ hatte, die Informationen aus dem Umfeld der Produktion bekommen. Elke Margarete Lehrenkrauss sagte gegenüber „STRG_F“, dass sie es versäumt habe, den NDR über die Inszenierungen zu informieren. Sie bereue das, sagt aber zugleich, dass der der NDR nicht nachgefragt habe. „Ich kann mir auf jeden Fall nicht vorwerfen, die Realität verfälscht zu haben, weil diese Realität, die ich in dem Film geschaffen habe, ist eine viel authentischere Realität“, verteidigte sie ihre Arbeit.

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Die NDR-Dokumentarfilmredaktion, die den Film redaktionell begleitet und abgenommen hat, war „während der mehrjährigen Produktionszeit zu keinem Zeitpunkt über die Inszenierungen informiert“, heißt es vom NDR. Die Redaktion weist zudem den Vorwurf von Lehrenkrauss zurück, keine Nachfragen zur Authentizität gestellt zu haben.

Lehrenkrauss räumte laut NDR unter anderem ein, dass die „Rita“ im Film keine Prostituierte ist. Sie habe Geschichten von Prostituierten nachgespielt. Bei einem der gezeigten "Freier" soll es sich um einen Bekannten der Autorin handeln.

So äußert sich die Autorin

Lehrenkrauss erklärt ihre Vorgehensweise gegenüber dem Tagesspiegel mit ihrer eigenen Auffassung von Dokumentarfilmen. „Ich bin keine Journalistin, ich mache künstlerische Dokumentarfilme. Für mich gibt es eine offenere Form von Dokumentarfilmen, mit denen man sich der Realität annähert.“

„Ich habe nichts erfunden. Alles, was wir gedreht haben, waren Momente und Situationen, die wir tatsächlich so erlebt haben“, sagt sie und räumt ein, dass man nicht erkennen kann, dass in einigen Szenen mit Darstellern gearbeitet wurde.

Nach den Richtlinien des NDR, über die sie nicht aufklärt worden sei, hätte es diesen Film nicht geben können. „Für mich war es aber wichtig, diesen Film zu machen, um diesen Frauen eine Stimme und ein Gesicht zu geben.“ Ein Film nur mit jenen Protagnistinnen, die sich auch vor der Kamera äußern wollten, hätte die Realität nicht richtig abgebildet. „Es wurde einfach versäumt, den Film richtig zu etikettieren.“

Die Schuldzuweisungen des Senders und den Umgang mit ihr empfindet Elke Margarete Lehrenkrauss als falsch und unfair. Man hätte nach einer gemeinsamen Lösung suchen sollen. Mit einem entsprechenden Hinweis würde der Film die Zuschauerinnen weiterhin begeistern.

„Das Problem ist, dass der NDR journalistische Maßstäbe an den Film anlegt, die dieser niemals zum Ziel und als Methode hatte. Dokumentarfilm kann auch anders definiert werden.“ Gleichwohl entschuldige sie sich, „wenn ich die sensiblen Gefühle der Zuschauer verletzt habe“.

Indes ist die Nominierung des Filmes für den renommierten Grimme-Preis zurückgezogen worden. Grimme-Direktorin Frauke Gerlach teilte am Dienstag der dpa mit: „Nach Kenntnisnahme der massiven Vorwürfe rund um den Film ,Lovemobil' hat die Nominierungskommission entschieden, der Produktion auf Grund schwerwiegender Verstöße die Nominierung zu entziehen.“ Man unterstütze diese Entscheidung der Kommission nachdrücklich.

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