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Das aktuelle "Album der Woche" bei RBB Kultur stammt vom Frank Dupree Trio.

© Ralph Steckelbach

Streit um den Sender RBB Kultur: Vom Fachmagazin zum Feuilleton

Seit einem Jahr wird auf RBB Kultur nicht mehr nur Klassik gespielt. Das brachte auch unseren Autor in Rage. Jetzt aber hat er seine Meinung geändert.

Ja, ich war sauer. Richtig sauer sogar, als das Musikprogramm von RBB Kultur vor einem Jahr radikal reformiert wurde. Und so wie mir ging es Tausenden Radiohörerinnen und -hörern in Berlin und Brandenburg. Ein Sturm der Entrüstung brach los, und auch bei einer Podiumsdiskussion, die der nicht minder empörte Landesmusikrat mitinitiiert hatte, sah sich Wellenchefin Verena Keysers noch Monate später mit einer Fundamentalopposition konfrontiert.

Was war passiert? RBB Kultur, der Nachfolger von SFB 3, durfte nicht länger ein reiner Klassik-Funk sein. Zu den besten Sendezeiten am Vor- und Nachmittag sind Bach, Beethoven, Brahms und Co nur noch eine „Musikfarbe“ neben anderen. Die Bandbreite reicht von Jazz über Filmmusik und diverse stilistische Mischformen bis hin zu Pop. Das erzürnte die regionalen Klassikfans, die stolz darauf sind, in einer der bedeutendsten Orchester- und Musiktheater-Metropolen der Welt zu leben. Und die das in einem hauptstädtischen Radiosender gespiegelt sehen wollen.

Wir heißen ja nicht RBB Klassik, betont die Wellenchefin

Dass auch ich mir wütend die Hände vor die Ohren presste, verhinderte zunächst, die Argumente der Gegenseite zu verstehen. Ihr Sender, wurde Verena Keysers nicht müde zu betonen, heiße nun einmal nicht RBB Klassik, sondern RBB Kultur. Und sei darum auch für Theater und Literatur zuständig, für Museen, Kino, Kleinkunst und, ja, auch für die sogenannte populäre Musik. Die ganze Vielfalt der Stadt soll sich in der Berichterstattung spiegeln, im Wort-Bereich und – zumindest einige Stunden pro Tag – auch in der Musikauswahl.
Natürlich steckt letztlich der Quotendruck dahinter: Jede Intendantin, jeder Intendant eines Funkhauses will neue Zielgruppen erschließen. Um die Reichweite zu erhöhen und folglich bei den Beitragszahlern gut dazustehen. Das kann im Normalfall zu einer Verflachung des Programms führen. Und im Umkehrschluss all jene vergrätzen, die es gerne pur mögen, die klassische Töne hören wollen, wann immer sie RBB Kultur einschalten.

Und dann ging mir ein Licht auf

Für meinen Erleuchtungsmoment in dem Richtungsstreit sorgte ein geschätzter Kollege, der regelmäßig bei RBB Kultur zu Gast ist, um über neue Sachbücher zu sprechen. Musikalisch ist er aufgeschlossen, mit Ausnahme der Klassik allerdings. Als mir der Kollege nun freudestrahlend berichtete, dass er sich bei seinen Auftritten viel wohler fühle, seit vor und nach seiner Rezension Stücke gespielt werden, die auch ihn ästhetisch ansprechen, fiel bei mir der Groschen.

Na klar, RBB Kultur ist kein Fachmagazin mehr, sondern ein Feuilleton! So wie der Kulturteil des Tagesspiegels. Die wildeste Mischung ist gefragt – und hat im Idealfall den Effekt, dass sich die Liebhaber eines speziellen Genres auch für das zu interessieren beginnen, was rechts und links des geraden Weges liegt.

Verena Keysers ist Programmchefin von RBB Kultur.
Verena Keysers ist Programmchefin von RBB Kultur.

© rbb

Wenn es RBB Kultur gelingt, Horizonte aufzureißen – eingefleischte Klassikhörer stellen fest, dass es auch in anderen Stilen interessante Interpreten gibt, während klassikferne Menschen einschalten, weil sie sich für die Wortbeiträge interessieren, und dabei merken, dass niemand ein Fachmann sein muss, um eine Sonate von Scarlatti genießen zu können oder einen Sinfoniesatz von Haydn –, wenn der Sender also zum Sammelbecken aller Kulturinteressierten in Berlin wird, dann ist mehr gewonnen als verloren. Die Klassikbegeisterten bilden selbst in Berlin nur einen kleinen Zirkel, und auch gemeinsam mit den Fans der anderen Kunstformen bleibt das Häuflein überschaubar – im Vergleich zur Masse derer, die Schlager- und Popchart-Sender bevorzugen. RBB Kultur als kollektive Heimat dieser Randgruppen zu verstehen, bedeutet, den Schmerz über den Verlust der reinen Klassik-Welle hintanzustellen, und zwar zugunsten des Solidaritätsprinzips: „Fünf sind geladen, zehn sind gekommen, gieß’ Wasser zu Suppe, heiß alle willkommen!“

Puristen werden in der Mediathek glücklich

Und die Weitung der Werkauswahl betrifft ja nur die Primetime, die Zeiten zwischen sechs und zehn Uhr sowie zwischen 16 und 19 Uhr. Jenseits der beiden Sendestrecken, in denen Radio vor allem live über UKW gehört wird, weil es in der Küche beim Frühstück läuft, im Autoradio oder während der Entspannungsphase nach der Rückkehr vom Job, gibt es ja weiterhin sehr viel genuine Klassik zu hören – und so manches anspruchsvolle Angebot, das sich jederzeit auch in der Mediathek abrufen lässt. Früher war ein Beitrag weg, wenn er einmal gesendet war, jetzt hat das flüchtige Medium einen Halt gefunden, nämlich im Internet. Zwar ist die Website von RBB Kultur etwas kompliziert zu bedienen, aber seitdem ich herausgefunden habe, wo sich was versteckt, kann ich meine Lieblingssendungen ganz nach meinem Gusto hören.

Die One-Man-Show „Meine Musik“ mit Kai Luehrs-Kaiser beispielsweise, der „spitzesten Zunge in der Berliner Opernszene“, wie ihn ein Moderatorkollege neulich betitelte. Oder die sonntägliche Reihe zur Musikgeschichte, in der Peter Uehling gerade das Leben und Wirken Georg Friedrich Händels unter die Lupe nimmt. Oder all die aktuellen Kritiken von Bühnenpremieren, Konzerten und CDs, die tagtäglich ins Programm eingestreut werden.

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker spielen Klassik auf allerhöchstem Niveau
Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker spielen Klassik auf allerhöchstem Niveau

© Stephan Rabold

Bei RBB Kultur gibt es stets ein „Album der Woche“. Das aktuelle macht deutlich, wie eine Musikmischung funktionieren kann, die auf viele offene Ohren stößt: Der Pianist Frank Dupree hat für seine CD "Blueprint" Werke des russischen Komponisten Nikolai Kapustin für ein Jazz-Trio arrangiert. Der 1937 geborene Kapustin hat am Moskauer Konservatorium Klavier studiert, interessierte sich aber auch für Jazz. Improvisieren allerdings war seine Sache weniger, lieber hielt er seine Gedanken in Noten fest.

So entstanden Stücke, bei denen sich jazzige Harmonien und Rhythmen in traditionellen Formen wie Etüde oder Prélude wohlfühlen. Frank Dupree, ebenfalls klassisch ausgebildet, findet, dass Kapustins Solostücke eigentlich nach Bass und Schlagzeug verlangen. Und gab ihnen damit einen neuen Dreh.
Bleibt nur noch das Problem mit der „Neoklassik“. Unter diesem Notbegriff, den selbst die Plattenfirmen misslich finden, wird eine Art von Easy Listening vermarktet, die auf analogen Instrumenten gespielt wird, <NO1>meist auf einem Klavier, <NO>aber rein gar nichts mit echter Klassik zu tun hat. Dirk Hühner, der Musikchef von RBB Kultur, ist allerdings hartnäckig der Meinung, „Neoklassik“ spielen zu müssen, um junge Leute erreichen zu können. Was er dabei übersieht: Oberschüler und Studierende nutzen diese bewusst unterkomplexe Musik fast ausschließlich als Hintergrund-Klangtapete beim Lernen. In einem Sender aber, der fürs Zuhören gemacht ist, hat „Neoklassik“ einfach nichts verloren.

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