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Gezeitenwechsel? „The Interview“, die mehr oder minder gelungene Nordkorea-Satire, hat Sony online deutlich mehr Einnahmen gebracht als an den Kinokassen.

© AFP

Streaming: Filme schauen, wann und wo ich will

„The Interview“, U2, Netflix: 2015 wird das Jahr des Streamings. Weil die Nutzer die neue Freiheit des Medienkonsums immer mehr schätzen.

Sony hat dank der weltweiten Aufmerksamkeit für „The Interview“ am Eröffnungswochenende 17 Millionen Dollar (etwa 14 Millionen Euro) eingespielt, davon über 15 Millionen allein im Internet. Dass ein neuer Film erstmals im Netz erfolgreicher läuft als im Kino, zeigt, wie stark sich die Nutzungsgewohnheiten verändert haben. Vor allem jüngere Zuschauer möchten nicht länger an Ort und Zeit gebunden sein, sondern Filme sehen, wann und wo immer sie dazu Lust haben. So droht auch die letzte Bastion der analogen Erstauswertung zu fallen – das ungeschriebene Gesetz, dass neue Filme zunächst im Kino gezeigt werden.

Als Vorbote dieser Entwicklung kann die Musikindustrie gelten, wo Streamingdienste wie Spotify und Deezer inzwischen immer mehr das klassische Radio verdrängen. So veröffentlichte die R-&-B-Sängerin Beyoncé ihr jüngstes Album zunächst nur online auf Apples Onlineplattform iTunes, wo die 14 Songs für 14,99 Euro heruntergeladen werden können. Und obwohl die Sängerin auf jede Vorankündigung verzichtet hatte, verbreitete sich diese Neuigkeit so schnell über die sozialen Netzwerke, dass sich „Beyoncé“ allein in den ersten drei Tagen fast eine Million Mal verkaufte. Das neue Album der Rockband U2 konnten Apple-Kunden dank einer Kooperation des Computerherstellers mit der Plattenfirma Universal Music sogar fünf Wochen lang kostenlos herunterladen, wodurch „Songs of Innocence“ mit 26 Millionen Downloads alle Rekorde brach. Hat sich gelohnt: Die Tour zum Album mit Ticketpreisen von bis zu 200 Euro ist schon ausverkauft.

Der Trend zum Streamen hat längst weitere Unterhaltungsbranchen erreicht. So verdanken die amerikanischen Serien wie „Breaking Bad“ und „Game of Thrones“ ihren weltweiten Erfolg vor allem der rasanten Verbreitung über das Netz. Die großen Pay-TV-Sender sind dazu übergegangen, ihre Inhalte auch im Internet verfügbar zu machen, wo sie schnell den Weg zum nichtamerikanischen Publikum finden.

Netflix greift die etablierten Fernsehsender an

Die zeitgleiche Ausstrahlung in Fernsehen und Netz ist zugleich eine Reaktion auf die zunehmende Konkurrenz durch Streaminganbieter wie Netflix, die mit ihrem Aufstieg die Vormachtstellung der etablierten Fernsehsender immer stärker untergraben. Netflix ist mit aktuell 38 Millionen Abonnenten der größte Streaminganbieter auf dem US-Markt. Wie erfolgreich der Konzern mit seinem Konzept ist, lässt sich daran bemessen, dass schon heute ein Drittel des Datenaufkommens in Nordamerika auf die Online-Plattform entfällt. Zählt man noch die Abrufe von Youtube dazu, machen Streamingangebote sogar schon über die Hälfte des Breitbandverkehrs aus.

Auch in Deutschland werden Filme immer öfters online gesehen. Fast jeder zweite Deutsche nutzt die Möglichkeit, schon gesendete TV- und Radio-Beiträge nach der linearen Ausstrahlung in den Mediatheken der Sender abrufen zu können. So haben letztes Jahr 2,4 Millionen Zuschauer die Dokumentation über die zweifelhaften Beschäftigungsmethoden von Amazon in der ARD-Mediathek abgerufen. Und damit mehr als bei der Erstausstrahlung im Fernsehen, die nur zwei Millionen Zuschauer vor den Bildschirmen verfolgten. Doch fließen diese Abrufe erst seit Beginn des neuen Jahrs in die Berechnung der Einschaltquoten mit ein, was neben rechtlichen Bedenken auch erklären mag, warum bisher in Deutschland kaum eigene Inhalte für das Netz produziert werden. Lediglich Youtube bietet dem deutschen Publikum eigene Videos in seinen Online-Kanälen. Neben diesen werbefinanzierten Angeboten gibt es auch eine ganze Reihe von kostenpflichtigen digitalen Videotheken wie Watchever oder Maxdome, die vor allem neuere Kinoproduktionen zum Abruf anbieten und damit um die Gunst der Fernsehzuschauer buhlen. Der Pay-TV-Anbieter Sky, auf dem normalerweise die neuen Filme nach der Kinoverwertung zuerst ausgestrahlt werden, hat mit der Onlineplattform Snap schon reagiert. Doch der Kampf um die Zuschauer dürfte sich durch den deutschen Markteintritt des Branchenprimus Netflix noch verschärfen. Ein Kampf, der auch durch die Exklusivität des Inhalts entschieden wird.

Angesichts der wachsenden Bedeutung von Content kann es nicht verwundern, dass die Streaminganbieter nicht länger von den Produzenten abhängig sein wollen. Denn ihre Kunden wollen nicht mehr abwarten, bis neue Filme die klassische Verwertungskette vom Kino, über den DVD-Verkauf bis hin zur Ausstrahlung im Fernsehen durchlaufen haben. Die Entscheidung von Netflix, zukünftig selbst Inhalte exklusiv für das Netz zu produzieren, ist eine Machtdemonstration.

Die ersten eigenen Serien wie „House of Cards“ oder „Orange is the New Black“ waren dabei so erfolgreich, dass gerade die Jüngeren ihrer Veröffentlichung ähnlich gespannt entgegenfiebern, wie es sonst Kinofilmen vorbehalten war. Ihre Serien sind nicht nur aufwendig inszeniert und oftmals mit Hollywood-Stars besetzt (Kevin Spacey in „House of Cards“), sondern spielen mit Produktionskosten von 90 Millionen Dollar – wie für die gerade erschienene Serie „Marco Polo“ – in einer Liga mit den Kinoproduktionen. In Anbetracht dieser Entwicklung scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, wie lange die Kinoproduzenten noch gegen den Strom schwimmen können.

Mattes Lammert

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