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Auf Schleichfahrt durchs Dunkel der Kulissen: Zwei Jahre nach dem Tod des Mannes erkennt Lisey (Julianne Moore), wie wenig sie von ihm wusste.

© Apple+

Stephen Kings „Lisey’s Story“: Mysterien, Freaks, Dämonen

Die Apple+-Serie zu Stephen Kings Lieblingsroman „Lisey’s Story“ sorgt souverän für Schaudern.

Jede Ehe, zitiert Stephen King zu Beginn seiner Gruselgeschichte „Lisey’s Story“ eine Binsenweisheit zwischenmenschlichen Beisammenseins, jede Ehe hat ihre Geheimnisse. Meist sind es Affären, vielleicht auch mal Schulden und Lügen, schlimmstenfalls über Kuckuckskinder. Echte Leichen im Keller sind allerdings selten. Einerseits. Denn andererseits ist Stephen King nun mal Stephan King. Und da wären echte Leichen im Keller womöglich noch die angenehmeren Geheimnisse einer Ehe wie jener der gleichnamigen Verfilmung von Apple TV+.

Dort nämlich erfährt die verzweifelte Titelfigur, dass ihr zwei Jahre zuvor erschossener Mann Scott Landon ein anderer war als gedacht. Verstörender noch: Die Beziehung zum weltberühmten Bestsellerautor entpuppt sich mit jeder aufgefrischten Erinnerung mehr als Paralleluniversum voller Rätsel und Mysterien, Freaks und Dämonen.

Liseys psychotische Schwester Manda (Joan Allen) spielt darin eine ebenso seltsame Nebenrolle wie ein Dr. Dashmiel (Ron Cephas Jones), der Scott Landons unvollendete Bücher veröffentlichen will und dafür den dubiosen Hardcorefan Dooley (Dane DeHaan) engagiert, um die störrische Nachlassverwalterin zu überzeugen.

[„Lisey’s Story“, Apple+, acht Folgen, ab Freitag]

Weil sie sich allerdings beharrlich weigert, eskaliert die anfängliche Überzeugungsarbeit zum strafbewährten Stalking mit Hausbesuchen, Drohgebärden, Tierleichen im Briefkasten. Doch je aufdringlicher Dooley wird, desto mehr erfährt Lisey auch über das Objekt seiner Begierde, dessen Fantasyromane keiner literarischen Vorstellungskraft entspringen, sondern einer wahrhaftigen namens Boo’ya Mond, in der ein bedrohliches Fabelwesen sein Unwesen treibt. Wie gesagt: Stephen King, Quell diverser Spukgeschichten, die zwar auch hier meist frei von störender Sozialkritik sind, aber selbst hartgesottene Realisten schnell vor Angst unters Bettgestell treiben.

In den Abgründen der Vorstellungskraft

Und wenn Regisseur Pablo Larraín das Drehbuch des Gruselgroßmeisters persönlich – der sie dem Mysterygroßmeister J. J. Abrams („Lost“) selbst zur Produktion vorgeschlagen hat – in acht sechzigminütige Psychotrips an die Abgründe unserer Vorstellungskraft verwandelt, werden die Schauerstorys sogar noch furchteinflößender als auf Papier. Das liegt zum einen an der irritierenden Kamera von Darius Khondji, die sich gern auf Schleichfahrt durchs Dunkel der Kulissen ins Unterbewusstsein der Protagonisten befindet. Noch wichtiger sind jedoch die Hauptdarsteller – allen voran Julianne Moore.

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Mit ihrer anämischen Strenge verleiht sie der Titelfigur eine Art distanzierter Rastlosigkeit, die perfekt mit Clive Owen kontrastiert, dessen albtraumgeplagter Literaturstar in allerlei Rückblenden angenehm abweicht vom Einerlei seiner großen Hollywood- Blockbuster. Gemeinsam mit der großartigen Jennifer Jason Leight als undurchsichtige Schwägerin Darla, trägt dieser Cast dazu bei, ein Stück der notorischen Effekthascherei vieler King-Verfilmungen etwas abzufedern. Das Monster jedenfalls tritt erst am Ende der zweiten Folge auf, und das auch nur kurz.

Darüber hinaus zeigen all die Raben im Nebel oder Sonderlinge auf Landgütern, dass Stephen King Edgar Allen Poe am Ende zwar immer noch ein Stück näher ist als, sagen wir: „American Horror Story“. Trotzdem schafft es seine Erzählung auch diesmal, nostalgischen Gothic-Horror und zeitgenössischen Psycho-Thriller virtuos in Einklang zu bringen – etwa, wenn Landon als minderjähriges Opfer häuslicher Gewalt in einem Kinderzimmer der staubgrauen Siebziger hockt und sich beim harmlosen Plausch die Rückkehr des Buchmobils in seine Kleinstadt wünscht, sein älterer Bruder hingegen, dass ihr Vater durch einen Stromschlag stirbt.

Finale im Geigensound

Obwohl das Finale später ein bisschen zu saftig im Geigensound ertrinkt, sind das Momente subtilen Horrors, die keiner so virtuos zwischen opulente Schocksituationen stapelt wie der Autor von gut 400 Millionen verkaufter Romane. Wie so oft bei Stephen King, werden die Gruseleffekte von „Lisey’s Story“ mit jeder Minute jeder Episode zwar ein wenig wilder und die Geister brachialer; trotzdem ist es genau dieser virtuose Wechsel zwischen Alltag und Abgrund, Eskalation und Erlösung, der ihn zum populärsten Horrorliteraten unserer Zeit macht – und seine Bücher zu den meistverfilmten dieser zugkräftigen Gattung.

Dass „Lisey’s Story“ bei Apple läuft, könnte daher für die bislang kleinste Zuschauerzahl einer King-Adaption sorgen. ER dürfte es verschmerzen.

Jan Freitag

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