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Einer wie keiner. Der 2018 verstorbene Dieter Thomas Heck moderierte die „ZDF-Hitparade“ von 1969 bis 1984. Moderieren? Heck war die „Hitparade“.

© ZDF und Barbara Oloffs

Start der "ZDF-Hitparade" 1969: Wir lassen uns das Singen nicht verbieten

Vor 50 Jahren ging die „ZDF-Hitparade“ an den Start – und mit ihr Moderator Dieter Thomas Heck.

1969 war einiges los. Mit Neil Armstrong betrat der erste Mensch den Mond, und die Sozialdemokraten stellten mit Willy Brandt erstmals den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Für diejenigen, die in kleineren historischen Dimensionen denken, lieferte dieses Jahr zudem einen Meilenstein der Fernsehunterhaltung. Am 18. Januar strahlte das ZDF aus Berlin die erste Folge seiner „Hitparade“ aus, die sich 31 Jahre im zweiten Programm hielt, ehe sie Ende 2000 wegen mangelnder Zuschauerresonanz eingestellt wurde. Das sonnabendliche Schlagervergnügen gehört bis heute zu jenen Monumenten, die nicht nur die Unterhaltungsgeschichte Deutschlands prägten – in jener Epoche, als das Fernsehen noch eine familienverbindende Funktion besaß und die Deutschen montags am Arbeitsplatz darüber debattierten, was am Wochenende im Fernsehen gelaufen war.

So zählt die „ZDF-Hitparade“ in den Kontext von „Einer wird gewinnen“ oder „Der große Preis“. Sie vereinte wie die Shows von Peter Alexander und Wim Thoelke ein Millionenpublikum vor dem Grundig-Gerät und hat sich ins kollektive Gedächtnis auch derjenigen eingegraben, die beim Wort „Schlager“ die Nase rümpf(t)en.

Vor dem Niedergang des Schlagers

Ihre Anfänge fielen in die Phase, als das Schlagergenre eine letzte Hochphase durchlebte. Und gleichzeitig spiegelte die Sendung ein Aufbegehren wider, eine Trotzhaltung, die den Niedergang des Schlagers nicht aufhalten konnte. War es in den fünfziger und sechziger Jahren noch selbstverständlich gewesen, dass die gängigen Schlager bei älteren und jugendlichen Hörern gleichermaßen beliebt waren, so änderte sich dies, als sich die Musikszene öffnete und ausländische Interpreten zu regelmäßiger Präsenz in den Radio- und Fernsehanstalten kamen. Der Schlager reagierte darauf mit leicht beleidigter Anti-Haltung, symptomatisch verkörpert durch Tina Yorks „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“ (1974), das als Fanfare einer Wir-singen-deutsch-Haltung auftrat und sich gegen die Amerikanisierung der Unterhaltungsmusik und gegen die intellektuelle Verdammung - von „verbrecherischer Volksverdummung“ sprach beispielsweise der Dichter Peter Rühmkorf – des deutschen Schlagers wandte.

Als Reservat seiner Verfechter diente die „ZDF-Hitparade“, in der nur deutsch singende Sänger auftreten durften. Dass sie sich als Bollwerk gegen „Überfremdung“ verstand, als der Siegeszug des angloamerikanischen Pops nicht mehr aufzuhalten war, lag an ihrem ersten Moderator Dieter Thomas Heck. Dieser hatte zuvor seine Brötchen als Autoverkäufer, Radiomoderator und (wenig erfolgreicher) Sänger verdient, ehe das ZDF und Regisseur Truck Branss ihn als Promoter und Retter deutschsprachigen Liedguts einsetzten. Interpreten wie Chris Roberts, Lena Valaitis, Jürgen Marcus, Mary Roos, Paola, Heino, Tony Marshall oder Howard Carpendale bevölkerten fortan das Berliner Studio, brauchten die Auftritte auch, um ihre Karrieren voranzubringen.

Heck, der aus seinen konservativen Anschauungen nie einen Hehl machte, avancierte zum engagiertesten Fürsprecher des Schlagers. Er wurde zum Sprachrohr jener, die eine sich überlegen fühlende Medienwelt als naive Heile-Welt-Liebhaber abtat und die ein englisch gesungenes „My Baby Baby Balla Balla“ nicht automatisch für klüger als ein deutsch gesungenes „Der Junge mit der Mundharmonika“ hielten. Die schweigende Minderheit, die wohl immer eine Mehrheit war, liebte Heck und hatte in ihm ein eloquentes Sprachrohr gefunden.

Dieter Thomas Heck, der Unverwechselbare

Heck verstand es früh, sich das wichtigste Markenzeichen für dauerhaften TV-(Nach-)Ruhm anzueignen: Unverwechselbarkeit. Er entwickelte einen raffinierten Duktus, der Aufsehen erregte und für den Erfolg der „ZDF-Hitparade“ entscheidend wurde. Mit impulsiv-dynamischer Stimme jagte er mit Höchstgeschwindigkeit von Nummer zu Nummer und ließ keinen Zweifel daran, dass der deutsche Schlager keine Sache für Langweiler war. Ob Siw Malmkvist, Rex Gildo oder Roy Black (die alle zu den legendären Interpreten der ersten Ausgabe zählten) – ihnen allen bereitete der Moderator Heck ein galantes Entree, das gleichzeitig frischen Wind verhieß. Und wenn er zum legendären „Schnelldurchlauf“ ansetzte, die Beteiligten herunterrasselte und schließlich seinen Heimatsender Z-D-F so aussprach, das dieser als jugendbewegte Fernsehstation erschien, dann wurden daraus Momente, die unverzüglich in den kollektiven Erinnerungsschatz der Deutschen eingingen.

Dauersieger. Roy Black (rechts) landete in den ersten Sendungen stets auf Platz 1. Als Reaktion darauf durfte sich ein Titel nur noch zweimal platzieren.
Dauersieger. Roy Black (rechts) landete in den ersten Sendungen stets auf Platz 1. Als Reaktion darauf durfte sich ein Titel nur noch zweimal platzieren.

© ZDF und Barbara Oloffs

Auch in Bekleidungsfragen ging er mit der Zeit - und dennoch eigene Wege: Kühne Jacketts, eigenwillige Krawattenfarbtöne, zeittypische Haartrachten und in der Regel großformatige Brillen machten Heck optisch sofort wiedererkennbar und signalisierten seinen treuen Zuschauern, dass kein hyperelegantes Outfit à la Julio Iglesias erforderlich ist, um dauerhaft Sendeplatz zu beanspruchen.

Dieter Thomas Heck war klug genug, den Zeitpunkt zu erfassen, als der deutsche Schlager zunehmend zu einem Nischenprodukt wurde - und es bis zu seiner fulminanten Renaissance durch Andrea Berg und Helene Fischer blieb. Wer sich heute Ausschnitte aus den frühen 1980er-Jahren ansieht, als Heck gezwungen war, die Schlagerironisierungen und -verballhornungen der Neuen Deutschen Welle anzusagen, der spürt sein körperliches und seelisches Unbehagen. Dem bereitete er selbst ein Ende und gab – nach 183 Ausgaben – die Moderation der Sendung ab. Heck hatte Nachfolger, deren Namen nicht verschwiegen seien – Viktor Worms und Uwe Hübner –, doch beiden wird kein historisches Unrecht angetan, wenn man sie vor allem als Verwalter des schleichenden Untergangs sieht.

Zu reanimieren wäre die Sendung nicht. Das planen nicht einmal die Nostalgiker beim ZDF. Immerhin beauftragten sie einen Mann im passenden Alter, Thomas Gottschalk, Ende April eine TV-Erinnerungsshow zu moderieren. Die wahren Anhänger der „ZDF-Hitparade“ begeben sich derweil ins Internet und beamen sich zurück in deren frühe Folgen - als zum Beispiel Renate Kern ihr unvergessenes „Du musst mit den Wimpern klimpern“ trällerte und sich aufgrund eines Unfalls mit Krückstock auf die Bühne schwang...

Der Autor leitet das Literaturhaus Hamburg.

Rainer Moritz

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