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Auch Löschen will gelernt sein. Ob ein Beitrag den Tatbestand einer Hassrede erfüllt oder doch unter Meinungsfreiheit fällt und damit zur Meinungsvielfalt beiträgt, muss genau geprüft werden. Sonst herrscht das Regime der Willkür.

© dpa

Staatlich finanzierter Sender: „Russia Today bekommt keine deutsche Lizenz"

Für die Medienanstalten ist RT ein staatlicher Sender - anders als die Deutsche Welle. Interview mit Tobias Schmid über Hassrede, Streaming und Russia Today.

Herr Schmid, stimmt das, trauen sich die Medienanstalten mittlerweile die Regulierung des Internets.

Wenn wir die Menschenwürde, Jugend- und Verbraucherschutz im Internet nicht aufgeben wollen, müssen wir uns darum kümmern.

Überheben sich die Aufsichtsbehörden nicht?

Wir hatten schon kleinere Aufgaben, aber die Frage stellt sich eigentlich nicht. Unsere Aufgaben regelt der Gesetzgeber, wir sind Exekutivbehörden.

Wie steht es um die tatsächliche Umsetzung? Alles im Griff?

Unterschiedlich. Im Bereich der Werbeverstöße sind wir auf einem sehr guten Weg. Die Vorschriften, die ja auch im Fernsehen gelten, durchzusetzen, ist nicht so schwierig. Komplizierter ist das Thema Hassrede.

Woran liegt das?

Das hat zwei Gründe. Zum einen müssen wir hier immer die Balance finden zwischen der Achtung der Menschenwürde einerseits und dem Recht auf freie Meinungsäußerung anderseits. Zum zweiten müssen wir das Recht durchsetzen. Das heißt nicht nur, den Inhalt zu löschen, sondern auch gegen den Täter vorzugehen. Nur so versteht der einzelne, dass es auch im Netz Grenzen gibt. Und nur so können wir auch der Öffentlichkeit ins Bewusstsein bringen, dass die Freiheit im Netz eben auch Grenzen braucht, um sich nicht selbst zu zerstören.

Ich glaube, dass wir als Gesellschaft uns das Netz ein bisschen zurück erobern müssen. Wir müssen sagen, was wir wollen und was nicht. Und wir müssen das durchsetzen. Das ist nichts, was wir Unternehmen wie Facebook überlassen sollten.

Wie gehen Sie vor?

In Nordrhein-Westfalen haben wir damit begonnen. Die Landesmedienanstalt, Staatsanwaltschaft, Landeskriminalamt und Medienhäuser haben in den letzten Monaten rund 450 Fälle von Hassrede zur Anzeige gebracht. Bei mehr als der Hälfte davon wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Gemessen an der verbalen Gewalt im Internet ist das natürlich nur ein Anfang. Aber der ist gemacht.

Tobias Schmid ist Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und Europabeauftragter der Medienanstalten.
Tobias Schmid ist Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und Europabeauftragter der Medienanstalten.

© Landesanstalt für Medien NRW/Dorothea Näder

Heißt auch: Die Landesanstalt für Medien NRW ist auch die Schmutz- und Putztruppe für die Zeitungsverlage?

Wir übernehmen natürlich nicht die Aufgabe der Medienhäuser. Aber den demokratischen Raum zurückzuholen, das ist schon unsere Aufgabe. Als staatsferne Medienaufsicht haben wir die letzten Jahrzehnte ganz gut gelernt, Aspekte wie Menschenwürde und Meinungsäußerung auszubalancieren.

Wenn die Medienanstalten so vieles können, dann werden sie auch einen passablen Upload-Filter entwickeln, oder?

Rechtsdurchsetzung wird sich nicht automatisieren lassen. Außerdem muss unser Ziel Meinungsvielfalt sein, wo immer es geht. Upload-Filter sollen aber immer etwas unsichtbar machen. Das stört mich, wir müssen sichtbar machen, das Zweifelhafte, das Zweideutige, das nicht so einfach zu Entscheidende. Wir wollen keine Upload-Filter für die Meinungsäußerung.

Ist dieser Bereich mittlerweile der größte Aufgabenbereich der Medienanstalten?

Für uns in Nordrhein-Westfalen macht die Rechtsdurchsetzung unter dem Motto "Verfolgen statt nur Löschen" einen Großteil der Arbeit aus. Auch der Aufgabenbereich der Desinformation, sprich die bewusste Verbreitung falscher Informationen, speziell über die Sozialen Medien, nimmt für uns stetig an Bedeutung zu.

Woran erkennen Sie Desinformation?

Wir überprüfen, ob journalistische Standards eingehalten wurden, etwa ob Meinung als Meinung gekennzeichnet und ob mindestens zwei Quellen abgefragt wurden. Wir können nicht in jedem Fall Wahrheit von Unwahrheit unterscheiden, wir können aber erkennen, ob ein Angebot, das sich journalistisch-redaktionell generiert, auch journalistische Standards einhält.

Bedauerlicherweise dürfen wir diese wichtige Aufgabe aktuell aber nur bei Fernseh- und Radiosendern durchführen - nicht aber im Netz - da ist eine ärgerliche Lücke im Gesetz.

Keine Lizenzpflicht für Streamingdienste

Und die grassierenden Streamingdienste, gehören die auch zu Ihrem Kontrollregime?

Ja, wenn es um Verstöße gegen Gesetze wie dem Jugendmedienschutz geht. Amazon Prime Video oder Netflix müssen wir nicht lizensieren, weil sie nicht linear ausstrahlen. Alle Abrufdienste fallen also aus dieser Pflicht raus.

Ist das logisch? Ob linear oder nicht, es geht doch immer um Inhalte.

Nein, logisch ist das nicht. Aber so steht es im Gesetz.

Sollen die Länder das im neuen Medienstaatsvertrag ändern?

Ja.

Wer braucht dann überhaupt noch eine Sendelizenz? Sieht nach einem Auslaufmodell aus.

Das sehen die Landesmedienanstalten genauso. Wir wollen die bisherige Zulassungspflicht für alle in eine qualifizierte Anzeigepflicht ändern. Aber nochmal: Ob Lizenz oder nicht, bei Fragen von Werbung, Jugendschutz und Vergleichbarem gelten für alle dieselben Regeln.

Wann bekommt dann Russia Today eine deutsche Lizenz oder schlicht eine Zulassung für Deutschland?

Russia Today bekäme keine Lizenz, weil in Deutschland staatlich finanzierte Rundfunkangebote nicht zulassungsfähig sind. RT auf Englisch gibt es, weil der Sender eine britische Lizenz hat. Und wer eine Lizenz in einem europäischen Mitgliedstaat hat, kann damit europaweit verbreitet werden.

Deutsche Welle muss anders als RT behandelt werden

Die Briten haben kein Problem, wo die Deutschen eines haben.

Das ist zwischen diesen beiden Ländern nicht der einzige Unterschied. Wenn RT den deutschen Markt in deutscher Sprache belegen will, würden sich die Fragen erneut stellen.

Ist das nicht erstaunlich: Die Deutsche Welle ist rein aus deutschen Steuergeldern finanziert. Das scheint aber kein Problem zu sein.

Die Deutsche Welle ist ein Auslandssender, der nicht in Deutschland sendet.

Das klingt jetzt nach einer riesengroßen Ausrede.

Mag sein, aber so stellt sich die aktuelle Situation dar. Ich bin in dieser Frage wahrscheinlich die falsche Feldpostnummer. Es gibt auch andere Beispiele, die fragwürdig sind. Die Online-Übertragung einer Opernaufführung, redaktionell gestaltet, ist staatlich finanziertes Fernsehen, das müssten wir eigentlich untersagen. Oder Parlamentsfernsehen, hierzu sind wir bereits im Gespräch. Parlamentsfernsehen ist dem Grunde nach Rundfunk, weil journalistisch gestaltet, redaktionell verantwortet, mehr als 500 potenzielle Seher, regelmäßig entlang eines Sendeplans. Die Grenze zwischen Rundfunk und Öffentlichkeitsarbeit müsste klarer gezogen werden.

Wenn Rundfunk mal so oder so behandelt wird, taugt der geltende Rundfunkbegriff überhaupt noch etwas?

Nicht umsonst hat der europäische Gesetzgeber die Regelungen für klassischen Rundfunk und bestimmte Online-Dienste angeglichen. Entscheidend ist der audiovisuelle Inhalt und das Ziel von Regulierung, nämlich schützenswerte Dinge zu schützen: Pornographie ist nicht jugendschutzrelevant, weil sie im Fernsehen oder online gezeigt wird, sondern weil sie Pornographie ist. Perspektivisch ist die Unterscheidung nach Rundfunk und Nicht-Rundfunk deshalb anachronistisch. Was aber Rundfunk ist, das entscheiden nicht wir, sondern der Gesetzgeber.

Rechtsverstöße aus dem Ausland schneller verfolgen können

Die Landesmedienanstalten bräuchten dann in welchen Fragen mehr Befugnisse?

So viel mehr brauchen wir gar nicht. Wichtig ist, dass man uns wirksame Instrumente an die Hand gibt, um geltendes Recht auch ohne großen Zeitverzug durchzusetzen. Auch dann wenn der, der Rechtsverstöße begeht, im Ausland sitzt. Insbesondere grenzüberschreitende Verfahren sind bislang jedoch extrem aufwendig. Konkret würden uns zwei Änderungen helfen: Wir brauchen einen Auskunftsanspruch gegenüber Plattformbetreibern. Außerdem ganz wichtig: Im Falle von Desinformation, gerade bei Online-Angeboten, müssen wir intervenieren können. Bei Radio und Fernsehen dürfen wir das bereits.

Wann wird die Medienanstalt Berlin-Brandenburg tagesspiegel.de überprüfen?

Nie. Für den Tagesspiegel ist und bleibt das Selbstregulierungsorgan, der Deutsche Presserat zuständig. Bei Radio und Fernsehen machen es die Medienanstalten, bei reinen Online-Angeboten macht es derzeit niemand.

Welches in Deutschland nutzbare Angebot sollte dringend kontrolliert werden?

Mir würde Breitbart.com einfallen.

Wirklich ein Problem in Deutschland?

Vermutlich noch nicht aber demokratiegefährdende Angebote wie das eben genannte dürfen auch gar nicht erst zu einem Problem werden. Es muss uns als Gesellschaft gelingen, die Meinungsfreiheit als höchstes Gut zu schützen und solche Übergriffe abzuwehren.

Das Interview führte Joachim Huber.

Tobias Schmid ist Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und Europabeauftragter der Medienanstalten.

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