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Waffen, Drogen, Prostitution – Jax Teller (Charlie Hunnam, rechts) und seine Biker-„Brüder“ von der Gang Sons of Anarchy sind Outlaws, keine Freiheitskämpfer.

© pa / AP Photo

Shakespeare im Seriengewand: Sein oder Nichtsein in "Sons of Anarchy"

Hinter aller Brutalität in der Biker-Serie „Sons of Anarchy“ steckt ein Shakespeare’scher Konflikt. Eine neue Folge der Tagesspiegel-Serie "Ich gestehe. Ich sehe".

Gewalttätig ist es von Anfang an. Jax stürmt – wehende Mähne, Lederkutte – in eine Bar und rammt einem gegnerischen Gangmitglied einen Billardqueue in den Schritt. „Der Eierspieß geht auf mich“, kommentiert einer seiner Kumpel, die währenddessen die anderen Gangster in Schach halten. Vorgeschmack auf das, was noch kommt: Zwei Frauen und vier Männer sterben, gewaltsam aus dem Leben befördert von der Outlaw-Biker-Gang „Sons of Anarchy“. Am Ende der Pilotfolge singt ein Elvisdarsteller „Can’t help falling in love with you“.

Wenn meine Mutter wüsste, was ich mir manchmal so im Fernsehen anschaue, bekäme sie es mit der Angst zu tun. Dieses Geständnis, diese Erklärung, richtet sich deshalb auch an sie: „Sons of Anarchy“ ist, meiner Meinung nach, eine der besten Serien der letzten Jahre. In den sieben Staffeln, die von 2008 bis 2014 gesendet wurden, erzählt sie die Geschichte des fiktiven Sons of Anarchy Motorcycle Club Redwood Original (Samcro) und seiner kriminellen Aktivitäten in der ebenfalls fiktiven kalifornischen Stadt Charming.

Es geht um Jackson „Jax“ Teller, den Vizepräsidenten von Samcro, der versucht, in dem von seinem Vater gegründeten Club seinen Platz zu finden. Seine Mutter Gemma lebt seit dem tödlichen Motorradunfall von Jax’ Vater mit dessen bestem Freund Clay (Ron Perlman), dem neuen Präsidenten, zusammen. Eine weitere zentrale Rolle spielt Tara. Sie ist Jax’ Jugendliebe, die nach einem Medizinstudium nach Charming zurückkommt und von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Außerdem geht es um Drogenhandel, Waffenhandel, Prostitution.

Die Serie ist eine der gewalttätigsten der letzten Jahre. Und anders als bei anderen Serien wie „The Walking Dead“ erscheint die Gewalt von „Sons of Anarchy“ realistisch, einmal davon abgesehen, dass man sich wundert, wie lange die Gang mit ihren Verbrechen durchkommt.

Auf Regelbruch folgt brutale Vergeltung

Während vieler der brutaleren Szenen musste ich wegschauen. Mir gibt Gewalt nichts, ich bin weder körperlich noch emotional ein Krieger. Und trotzdem saß ich wochenlang da und schaute Samcro dabei zu, wie sie Menschen erschlugen, erschossen, Körperteile abhackten. Sah, wie sie immer tiefer in eine Spirale aus Gewalt und Tod stürzten. War immer dabei, egal wie schlimm es wurde. Und ich fragte mich manchmal: Warum? Irgendwie nämlich, das war schnell klar, war die Gewalt ein wichtiger Teil der Geschichte und irgendwie war es auch das, was die Serie so gut machte.

In seinem wohl bekanntesten Buch „Überwachen und Strafen“ beschreibt der französische Philosoph Michel Foucault die Entstehung von Machttechniken. Die moderne Gesellschaft, schreibt er da, ist eine Disziplinargesellschaft, in der Verbrecher durch Rehabilitation auf den Pfad der Tugend zurückgeschickt werden sollen.

In der Welt von Samcro gibt es keine Rehabilitation. Gebrochene Regeln, Versprechen und Herzen werden mit Gewalt vergolten. Ihre Welt gleicht damit dem, was Foucault beschreibt, wenn er über mittelalterliche Machtverhältnisse spricht, eine Welt, in „der Körper Hauptzielscheibe der strafenden Repression“ war. Am besten fasst das in der Serie Gangmitglied Bobby Elvis zusammen. „Was für eine Mittelalterscheiße“, sagt er, als ein IRA-Mann jemandem mit einem Skalpell den Bauch aufschneidet.

Ob das wirklich realistisch ist, weiß ich nicht. Aber darum geht es auch nicht. Die Serie ist viel mehr als nur dokumentarische Beschreibung der Gewalttaten einer Gruppe von „White-Trash-Bikern“, wie die Sons immer wieder genannt werden. Sie ist eine Tragödie, und zwar nicht nur irgendeine. Jax’ Kampf gegen seinen Stiefvater Clay und Gemma, die übermächtige Matriarchin sowie die Zwiegespräche, die er durch das Tagebuch seines toten Vaters quasi mit dessen Geist führt, finden ihr Vorbild in einer der besten Tragödien der Theatergeschichte – Hamlet.

Die Biker als ewige Krieger

Die Themen Hamlets, sie finden sich auch in „Sons of Anarchy“ wieder. Nicht nur, weil Clay vielleicht Jax’ Vater ermordet hat. Es geht um moralische Korruption, um Machtgier, um Rache und um Sterblichkeit. Diese Themen lassen sich an den Relikten einer roheren, dunkleren Zeit natürlich besser erzählen als an, sagen wir mal, einer Zeitungsredaktion. Der Einsatz ist unvergleichlich höher, wenn in letzter Instanz das Leben auf dem Spiel steht, ohne Tabus.

Doch anders als bei Hamlet geht es hier noch um etwas anderes. Die Biker, ewige Krieger, existieren nicht im Vakuum. Die Welt um Jax und die anderen, sie ist nicht stehen geblieben. Charming ist nicht Westeros, „Sons of Anarchy“ nicht „Game of Thrones“. Und während die Biker eine Spur der Zerstörung durch die friedliche Kleinstadt ziehen, wirkt sich ihr Umfeld auch auf sie aus. Am klarsten wird dieser Konflikt bei Tara. Zurück in Charming muss sie ihr Leben zwischen Club und Klinik balancieren, ein Konflikt, an dem sie immer wieder zu zerbrechen droht. Und auch Jax selbst steht zwischen den Fronten, zwischen seinem Erbe und einer besseren, friedlicheren Zukunft.

Ein Gewaltakt wie ein Meteorschauer

„Sons of Anarchy“ als klassische Tragödie – ein bisschen ist es wie bei einem Meteorschauer. So schön dieser am Himmel auch aussieht, ist er doch ein Gewaltakt: Reibung und Verglühen. Und wie Meteore rasen auch die Charaktere der klassischen Tragödie durch eine Atmosphäre, die nicht fähig ist, ihnen unbeschadet Raum zu geben. Die Frage ist dabei meist nicht, ob sie auf ihrem Weg verglühen, sondern wann. Sein oder Nichtsein. Es ist diese überstrapazierte Frage, die fasziniert.

Vielleicht ist die Anziehungskraft der Tragödie aber auch nur die morbide Faszination, die von Gewalt ausgeht. Weil sie uns, obwohl sie uns erschrecken lässt, vielleicht doch näher ist, als wir das heute gerne zugeben wollen. Die Outlaw-Biker als Erinnerung daran, wie wir sein könnten, jenseits von Moderne und Zivilisation. Und wenn es wirklich das ist, passt der Satz von Joseph Conrad, mit dem Hunter S. Thompson sein Buch über die Hells Angels beendete, nicht nur –naheliegenderweise – für die Biker. Er passt dann auch für die Gewalt in uns selbst: „Das Grauen! Die Grauen! Vernichtet sie, die Brutalos“.

Bisher erschienen in der Serie „Ich gestehe, ich sehe“: „Golden Girls“ (14. August), „The Big Bang Theory“ (23. August), „The Walking Dead“ (30. August), „Captain Future“ (6. September), „Breaking Bad“ (13. September).

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