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Stress! Sascha Quade müssen (v.l.n.r.), Lukas White, Celine Beran und Patrick Mölleken müssen einige Missverständnisse aus der Welt schaffen.

© Amazon Prime Video

„Sex, Zimmer, Küche, Bad“: Schülerklokritzeleien

Hauptsache Clicks. Die WG-Serie „Sex, Zimmer, Küche, Bad“ bei Amazon Prime macht sich lächerlich.

Hallo Amazon. Ich weiß, wir haben kein gutes Verhältnis zueinander. Weil deine Personalpolitik ebenso rücksichtslos ist wie das Ertragsmodell oder die Umweltbilanz, würde ich Pakete lieber zu Fuß durch die Wüste schleppen, als sie bei dir zu bestellen, aber eines fand ich trotz deiner bedingungslosen Profitorientierung oft aller Ehren wert: Prime Video.

Bis jetzt.

Denn was von Donnerstag an aus eigener Produktion gezeigt wird, ist ein so schlechtvernähtes Machwerk kalkulierter Banalität, dass man es totschweigen sollte. Tun wir aber nicht. Deshalb eine Warnung an alle Vernunftbegabten: Finger weg von „Sex Zimmer, Küche, Bad“! Und zwar nicht nur, weil der Titel an Schülerklokritzeleien erinnert.

Auch nicht, weil es acht 20-minütige Folgen lang brutal, blutig, gar diskriminierend zuginge. Also schon gar nicht, weil sich irgendwer daran verletzt fühlen könnte. Nein: dieser Alarm wird ausgelöst, weil die Formatverantwortlichen offenbar ihren Beruf verachten. („Sex Zimmer, Küche, Bad“, Amazon Prime, zehn Folgen, Donnerstag)

Der Vollständigkeit halber kurz zum Inhalt. Im bürgerstolzen Münchner Glockenbachviertel suchen der schwule Enno (Lukas White), die paarungswillige Kim (Céline Beran), der körperbetonte Juri (Chris Torez), die ökosoziale Larissa (Luana Knöll) und der nerdige Nobby (Sascha Quade) Ersatz für ihre ausgezogene Mitbewohnerin. Da beim WG-Casting nur selbstverliebte Knalltüten vom Pick-up-Artist über die Katzenfetischistin bis zum Drogendealer aufkreuzen, entscheidet sich das Quintett allerdings frühzeitig für Sophie (Jana Riva).

Die sehr blonde, sehr schlanke, sehr freizügige Jura-Studentin hat schließlich ein paar schlagende Argumente. Aus Sicht des triebgesteuerten Nobby befinden sie sich zwar mittig zwischen Kinn und Bauchnabel. Nüchtern betrachtet bestehen sie dagegen in einer Putzfrau plus Siebträgerkaffeemaschine und Abo für alle einschlägigen Streamingportale.

Umso mehr stört sich die Veganerin Larissa an Sophies Schlachterfamilie und sagt ihr heimlich ab. Sehr zum Missfallen der Restgemeinschaft, die sie zur Rückgewinnung verdonnert.

Unverbrauchte Gesichter zu besetzen, ist grundsätzlich erfrischend

An der Stelle hat das Drehbuch von Tim Gondi, dessen Arbeiten wie „Abikalypse“ einiges über sein Œuvre aussagen, den ersten, aber fast letzten Moment humorvoller Originalität: als die haltungsstarke Larissa zur oberflächlichen Sophie sagt, sie abgrundtief zu hassen, aber schon deshalb mit ihr wohnen wolle, „um das Böse, was da in mir wächst“ aufzuarbeiten.

Klingt beachtlich, wird aber trivial, weil es von der bedauernswerten Luana Knöll vorgelesen wird, die wiederum Teil des größten Problems von „Sex Zimmer, Küche, Bad“ ist.

Lars Parlaska, der nach Assistenzen für Formate von „Tatort“ bis „Faking Hitler“ erstmals Regie führte, interessiert sich nicht die Bohne für Gondis achtlos aneinandergereihte Klischees, weshalb er sein Produkt folgerichtig eher mit Influencern als Schauspielern besetzt – Selbstoptimierungschiffren wie Luana Knöll, Lukas White oder Leon Pelz, die es zusammen zwar auf eine siebenstellige Zahl an Followern bringen, aber nur eine Handvoll Filmeinsätze. Um nicht missverstanden zu werden: Unverbrauchte Gesichter zu besetzen, ist grundsätzlich erfrischend.

Spätestens an dieser Stelle müssen Zuschauer jenseits der 30 einräumen, nun mal nicht der Zielgruppe anzugehören. Die besteht aus Millennials, der Generation Z also, aufgewachsen mit TikTok, Youtube, bestenfalls ProSieben statt ARD oder Arte.

Nur: Wenn Amazon dieser Zielgruppe einen habituell verlotterten DJ wie Nobby vorsetzt, sein Schwarm Sophie Telenovela-Zicken im ZDF ähnelt, wenn Radler grundlos „Fotze“ pöbeln, wenn die Einzelteile dieser Serie demnach zueinander passen wie Mario Novembres öliges Titellied, geht der Videoplattform die eigene Klientel offenbar am Arsch vorbei. Kann sein, dass die Sitcom ab Folge drei gehaltvoller, interessanter, gar komisch wird. Bis dahin aber gilt: Hauptsache Clicks.

Wobei geglückte Produktionen mit ähnlicher Dramaturgie, mit vergleichbarem Zielgruppenblick, aber maximiertem Anspruch möglich sind – das belegen „All You Need“, „Just Push Abuba“ und „Nix Festes“. Solche öffentlich-rechtlichen WG-Serien nehmen ihre Figuren, die Schauspieler, das Publikum ernster als Plattformen wie Amazon oder Netflix.

Jan Freitag

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