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Emma Mackey ist mit ihren 24 Jahren älter als ihre jugendliche Figur Maeve in der Netflix-Serie "Sex Education". Das macht ihr Spiel jedoch glaubwürdiger.

© Netflix/Sam Taylor

„Sex Education“ bei Netflix: Die wirklich wichtigen Dinge des Lebens

Wenn ein Ejakulat eine Offenbarung sein kann. Die zweite Staffel von „Sex Education“ bleibt zwischen Aufklärungs-TV und zeitgemäßer Serienunterhaltung.

Auch in der Fortsetzung muss der nerdige, zuweilen peinliche und aktuell von Erektionen geplagte Otis Milburn (Asa Butterfield) dem Untertitel von „Sex Education“ Tribut zollen: „Experience is overrated“ (Erfahrung wird überschätzt). Also werden in der zweiten Staffel der Netflix-Serie jede Menge neuer Erfahrungen gemacht, gerade weil Otis in der Moordale Secondary eine „Sexklinik“ betreibt und gute Ratschläge gutes Geld bringen.

Teenager sind keine fertigen Menschen, schon gar nicht, wenn es um die wirklich wichtigen Dinge im Leben geht: Liebe, Sex, Freundschaft, Familie, Schwulsein, große Gefühle. Otis’ bester Freund Eric Effoing (Ncuti Gawa) weiß genau, wie Otis mit seiner Ola (Patricia Allison) zum Höhepunkt kommen kann, aber wie er mit seiner eigenen homosexuellen Orientierung umgehen soll, ist eine ganz andere Herausforderung. Adam Groff (Connor Swindells), der Schuldirektorensohn, ist jetzt in der Militärausbildung, aber Army und Schwule?

[„Sex Education“, Staffel II, ab Freitag verfügbar bei Netflix]

„Sex Education II“ prolongiert die Storys der Protagonisten – mittendrin Otis’ alleinerziehende Mutter Jean (Gillian Anderson), eine versierte Sexualtherapeutin – und neue Figuren, die den Status quo an der Schule im fiktiven Städtchen Moordale herausfordern. Und als eine Chlamydien-Infektion ausbricht, ist sowieso klar, was dringender denn je gebraucht wird – eine bessere „Sex Education“. Also das, was über Selbstbefriedigung und Uhrentechnik hinausgeht.

Bemerkenswerte diverse Produktion

Die Produktion ist bemerkenswert divers angelegt, was Hautfarben, sexuelle Orientierungen, Familienmodelle oder Religion angeht. Nicht nur mit Butterfield („Hugo Cabret“, „Den Sternen so nah“) und Gillian Anderson („Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“) ist sie passgenau besetzt. Asa Butterfield ist 22, Ncuti Gatwa 27, Emma Mackey (Otis’ Möglichkeitsfreundin Maeve Wiley) ist 24 und Connor Swindells 23 Jahre alt.

Twens spielen Teenager, was der Zuschauer aber nicht bemerkt. Erkennbar ist diese Besetzung ein besonders gelungener Coup, weil die älteren Schauspielerinnen und Schauspieler die Nöte der 16-, 17-Jährigen besser kennen, präziser ausdrücken können als Darstellerinnen und Darsteller in diesem Alter. Es gibt kein Gefälle im Ensemblespiel.

„Sex Education“ wirkt wie eine britische Parodie auf die Highschool-Komödien aus den USA der 80er Jahre, sieht sich in Setting und Vintage-Kostümbild nostalgisch an und ist mit ihren Smartphones und Laptops doch gegenwärtig. Die Serie spielt im Überall heutiger Teenager und ist mit ihrem Themenmix in deren Lebenswelt verankert. Die zweite Staffel kommt etwas ernster als die erste daher, die Probleme haben mehr Bedeutungsschwere – ohne dass „Sex Education“ in der Bedeutungsfalle verschwindet.

Das Geile wird nicht gescheut

Der Soundtrack trägt die behände erzählte Serie (Regie: Ben Taylor, Alice Seabright, Sophie Goodhart) erneut, wie eine Welle Surfer trägt. „Sex Education“ ist mehr als die Summe seiner Teile, seiner Charaktere, es ist der Aufriss einer Welt, die das Geile und das moralisch Gute nicht scheut. Ein Ejakulat kann eine Offenbarung sein.

Wer wen in der neuen Staffel küsst, hintergeht, neue Freundschaft schließt, sich trennt, wer mit wem intim wird, sich sexuell neu orientiert, das erzählen die acht Folgen derart smart, dass eine dritte Staffel dringend geboten ist.

Die britische Serie, geschrieben von Laurie Nunn als kluges Aufklärungs-TV und Serienunterhaltung auf der Höhe der Zeit, war 2019 nach „The Witcher“ und „Haus des Geldes“ die meistgestreamte Produktion bei Netflix. Das hat Gründe, überzeugende Gründe.

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