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Liebe rosarot. Dauernörglerin Julia (Katharina Schüttler) überrascht Freund Tristan (Tom Schilling) eines Morgens mit geträllerten Liebesschwüren.

© Sky Deutschland/Superfilm

Serie vom Satiriker David Schalko: Wünsch Dir was, Du Würstchen!

Penis, Vulva und der ganze Rest: In der Grotesk-Serie „Ich und die Anderen“ hetzt Tom Schilling durch ein Was-wäre-wenn-Leben.

Jetzt ist der Schalko endgültig durchgedreht. „Ich und die Anderen“ ist die bislang seltsamste Blüte im von schrägen Fernsehwerken („Braunschlag“, „Aufschneider“, „Altes Geld“) und Romanen („Knoi“, „Schwere Knochen“) geprägten Oeuvre des Wiener Autors, Regisseurs und Produzenten.

Der 1973 geborene David Schalko ist produktiv. Im Januar erst ist sein Roman „Bad Regina“ erschienen. Eine diesmal eher lahm geratene Groteske, die Europamüdigkeit und Österreich-Verdruss vor der morbiden Kulisse des einst königlichen und kaiserlichen Kurorts Bad Gastein persifliert.

[„Ich und die Anderen“, ab 29. Juli, 20.15 Uhr, auf Sky Atlantic]

Die von Sky und Schalkos Firma Superfilm produzierte Serie „Ich und die Anderen“ feierte auf der diesjährigen Berlinale Premiere, wo vor zwei Jahren auch sein Remake „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ zu sehen war. An den Düsterthriller in Serienform erinnert der surreale Egotrip, den Tom Schilling als Tristan in „Ich und die Anderen“ hinlegt, wenig.

Die mit Geschwätzigkeit einhergehende Tatenlosigkeit der Alteuropäer dagegen, die Schalko in „Bad Regina“ satirisch ankoffert, die findet sich genauso in der neuen Serie wieder. Im nie nachlassenden Gaga-Redestrom der Figuren und ihren – ping! – aufploppenden eingeblendeten Chat-Mitteilungen.

Fragen von Identität und Individualität

Die sechs Episoden wirken, als habe ein Horrorclown alle derzeit gängigen Fragen von Identität und Individualität zusammengekippt, mit einem guten Schuss Freud verquirlt und daraus die Matrix einer merkwürdigen Mechanismen gehorchenden Plastikwelt ferngesteuerter Millennials und Babyboomer programmiert. Tristan, der in einer Firma-für-Irgendwas Nonsense-Apps anpreist, irrlichtert mit dem Latte in der Hand durch ein Panoptikum der Karikaturen.

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Darunter Sophie Rois als Mutter-Domina mit Gluckensyndrom, Martin Wuttke als Penis-fixierter Künstler-Vater und Katharina Schüttler als neurotische Freundin Julia, deren Schwangerschaft massiv Tristans Bindungsängste und Bindungssehnsüchte triggert.

„Protect me from what I want“ ist der längst Pop und Kunst gewordene Stoßseufzer, der über jeder Wendung der „Diskursserie“ schwebt. Als Märchenfee, die Tristans Was-wäre-wenn-Wünsche erfüllt, fungiert ein Taxifahrer (Ramin Yazdani), der morgens plötzlich ungerufen bei Tristan vorfährt und ihn zum Mitfahren nötigt.

Vermeintliches Kidnapping

„Ich habe nichts gegen den Islam“, versucht das pseudocoole Bürschchen den mit Akzent Deutsch sprechenden Bartträger von einem vermeintlichen Kidnapping abzubringen. „Ich schon“, entgegnet der Taxler, Muslim-Klischees ad absurdum führend, „ich bin Atheist.“

In Tristans Firma geht der Irrsinn weiter. Sie residiert in einem Wolkenkratzer aus Stahl und Glas und trägt den Namen „42!“. Eine magische Zahl, die Fans des Satireromans „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams als Antwort „auf alle Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ vertraut ist. Kaum weht der stets in graublaue Anzüge gewandete Tristan herein, heben sich die Köpfe von den Laptops, alle tuscheln über ihn.

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Die Kollegin vom Empfang schmettert, dass jemand wegen seiner Penisverlängerung da gewesen sei. „Mehr als drei Zentimeter sind nicht drin.“ Und der barfüßige Chef – schön aasig von Lars Eidinger gespielt, ohne den derzeit nirgends was geht – kanzelt ihn auch noch ab. „Wollen Sie mir kündigen?“, fragt Tristan. „Haben wir Sie etwa versehentlich angestellt?“, gibt der Chef zurück. Langsam dämmert Tristan, was los ist: Alle wissen, was er denkt!

Einander die Wahrheit sagen

Erschöpft von diesem Tagalbtraum wünscht er sich, dass alle Menschen einander schlicht die Wahrheit sagen. Ganz schlechte Idee: Der Wahrheits-Tag, Episode zwei, hält eben noch weit schlimmere Überraschungen parat.

„Dein Vater hat Krebs, Penis-Krebs. Vermutlich wird man amputieren müssen“, teilt die Mutter mit. Worauf der Vater vor Angst, wie die Welt zukünftig ohne ihn auskommen soll, in Tränen ausbricht. Die Elternkrise ist jedoch nichts gegen den Brüllkrampf von Tristans Schwester in Episode drei, in der die Welt zum rosaroten Musical mutiert, weil Tristan von allen geliebt werden will.

Schwester hasst Bruder

Glich die lesbische Isolde (Sarah Victoria Frick), die den Bruder hasst, zuvor einer Krawallkünstlerin, die Videos fabriziert, in denen Bienen aus einer übergroßen Vulva krabbeln, malt sie jetzt Kitschporträts des urplötzlich geliebten Bruders. Gut, dass der Chef, der zusammen mit Tristans Psychotherapeuten als geheimer Strippenzieher des Echtzeitexperiments wirkt, Tristan und Freundin Julia mit der künstlichen Intelligenz Bobbie ausstaffiert, die als Alexa-Stimme in beider Ohr versucht, das menschliche Gefühlschaos zu bändigen. Leicht zu erraten, dass auch das nicht funktioniert. Ebenso wenig wie Tristans Wunsch, seinerseits die Welt und alle Menschen zu lieben.

Herrenreiterin. Tristans Mutter (Sophie Rois) auf ihrem ausgestopften Rassehengst.
Herrenreiterin. Tristans Mutter (Sophie Rois) auf ihrem ausgestopften Rassehengst.

© Sky Deutschland/Superfilm

Die Spielfreude des All-Star-Ensembles, das es sichtlich genießt, dem Affen in Schalkos „Synapsenlandschaft“ Zucker zu geben, macht Spaß. Ebenso wie die satirischen Watschen, die der ehedem selbst als Werbetexter tägige Autor gegen die Infantilitäten, Manierismen und Abgefucktheiten urbaner Branchen und Lebensmodelle austeilt.

Durchgehender Männerblick

Aber der durchgehende Männerblick nervt heftig. Schon klar, dass die überzeichneten Frauenfiguren als Fleisch gewordene Männerfantasie fungieren, die dem Hirn des Helden entspringen und so dessen Beschränktheit entlarven und persiflieren sollen. Ein Motiv, das in den Charakteren der Nervensäge Julia, der seltsamen Jugendliebe Franziska (Mavie Hörbiger) und der Morgenmantel-Nymphomanin von nebenan aber zum penetrant inszenierten Selbstzweck gerät. Langweiliger Penis- und Muschi-Kult! Ganz sicher haben emanzipierte Enddreißiger im Jahr 2021 nicht mehr solche Grütze im Kopf.

Kafaeske Show

Mit diesem unwilligen Gedanken schaut man aus dem Fenster und sieht, wie eine riesige Rakete in Pimmelform den Himmel verdunkelt, in der Amazon-Milliardär Jeff Bezos hockt (Achtung, Metapher). Sollte Schalkos Satire doch richtigliegen? Am Ende bleibt unklar, wer welche digitale Strippe zieht und was für ein Schicksal der männlichen Marionette bevorsteht.

Ihr Darsteller Tom Schilling empfahl beim Berlinale-Interview, nicht zu sehr nach dem Sinn von „Ich und die Anderen“ zu fragen, das schmälere die Freude an der Show. Die sei eben kafkaesk. Logisch, was sonst?

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