zum Hauptinhalt
Schmerzensmann. Inspektor Muhsin Kadr al-Khafaji (Waleed Zuaiter) arbeitet für Amerikaner und Briten, weil seine Tochter nur im Militärkrankenhaus geheilt werden kann.

© Arte/Sife El Amine

Serie "Bagdad nach dem Sturm": Schmerz und Stolz

„Bagdad nach dem Sturm“: Eine Arte-Serie über den Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein - und aus der Sicht der Iraker.

Sawsan al-Khafaji (Leem Lubany) sagt: „Lasst sie kommen, die Amerikaner. Es wird Freiheit bedeuten.“ Und dann, im März 2003 sind sie da, an der Spitze einer internationalen Militärkoalition vertreiben die Amerikaner das Regime von Saddam Hussein. Sawsans Vater, Muhsin Kadr al-Khafaji (Waleed Zuaiter), hat als Inspektor in der irakischen Geheimpolizei gearbeitet. Um seine Familie zu schützen, sagt er, habe er den Befehlen des Regimes blind gehorcht. Was wird ihm und seinen beiden Töchtern, die Frau ist gestorben, jetzt das das Überleben sichern? Er wird verhaftet, gefoltert, die Amerikaner und Briten halten ihn für einen Milizchef, er kommt frei und er bekommt von Frank Temple (Bertie Carvel), der Ex-Scotland-Yard-Mitarbeiter muss eine neue irakische Polizei aufbauen, ein Angebot: Er soll quasi als Kollaborateur für die Koalitionstruppen arbeiten, zur Belohnung wird seine andere Tochter, die nierenkranke Mrouj (July Namir), in der Grünen Zone behandelt. Und Kadr erhofft sich Hinweise auf den Verbleib der verschollenen Sawsan, auch sie hat, was ihr Vater erst nach ihrem Verschwinden erfährt, für die Amerikaner gearbeitet.

Mensch in einem schweren Konflikt

Die britische Serie „Bagdad nach dem Sturm“ stellt einen Menschen in einen schweren Konflikt. Soll er, der Iraker, gegen die Iraker auf Seiten der Befreier, die sich wie John Parodi (Corey Stoll), Captain der US-Militärpolizei, als Besatzer herausstellen, arbeiten, oder will er als Terrorist gegen die Invasoren und damit als Patriot für einen neuen, demokratischen Staat kämpfen? Kadr al-Khadaji besinnt sich auf die Werte, die ihm seine Eltern vermittelt haben: Mut, Integrität, Loyalität, Vertrauen. Trotzdem schiebt sich über den bedingungslosen Einsatz für seine Töchter, über all das Übel eine noch dunklere Wolke: Er stößt auf eine Verschwörung, in die Personen aus seinem Umfeld verwickelt sind. Al-Khafaji wird zum Helden, zum dunklen Helden.

[„Bagdad nach dem Sturm", Arte, sechs Folgen in der Mediathek, im linearen Programm ab Donnerstag, 21 Uhr 05]

Die Story klingt so, als würde Autor Stephen Butchard eine dieser Geschichten vom tapferen Polizisten erzählen, die überall spielen könnte und nicht notwendigerweise in Bagdad angesiedelt seinmüsste. Aber Autor und Serie haben einen größeren Ehrgeiz: die Identität des Schauplatzes imprägniert die sechs Teile mit ihrer kulturellen Substanz, die Texturen, die Details, die Paranoia des täglichen Lebens in Iraks Hauptstadt formen nicht nur visuell ein distinktives Bild dieses so fremden Landes. Dieses Drama ist so noir wie all die gelungenen Nordic-Serien vergleichbaren Zuschnitts. Das Gute ist schwer zu finden, dito die Guten.

Perspektive der Iraker

Die Produktion dreht die Perspektive, mit der ansonsten die mediale Betrachtung dieses Landes geschieht: „Bagdad nach dem Sturm“ nimmt den Blickwinkel der Iraker ein, mit Sympathie, zuweilen mit Humor. Die Sieger sind keine Barbaren, das nicht, sie sind Cowboys, es fehlt ihnen an wirklichem Respekt für die irakische Kultur. Es geht ihnen um den Sieg, nicht um die Überzeugung der Befreiten.

In solcher Situation, in der so selten Exzellenz zu finden ist, kommt es auf den Einzelnen an. Frank Temples Charakter ist von moralischer Ambiguität, auf welcher Seite mag er wirklich stehen? Auch Temples Nemesis, der US-Militärpolizist Parodi, oszilliert, welche Motive und welche Motivation die Koalitionäre antreibt, das bleibt so undurchsichtig wie opakes Glas. Bertie Carvel zeichnet seinen Ex-Scotland-Yard-Mitarbeiter mit übergroßem Ego aus. Und Corey Stoll? Hat was vom stets frisch gewaschenen Riesenbaby, von seiner Aufgabe wohl mehr überzeugt als Frank Temple und doch ein Fremdling im befreiten/besetzten Irak.

Gegengewichte

Aber beide, die Figuren von Bertie Carvel und Corey Stoll, bilden das Gegengewicht zu Muhsin Kadr al-Khafaji. Waleed Zuaiter ist kein Unbekannter, der amerikanische Schauspieler palästinensischer Herkunft war in „Sex and the City“, als Terrorist in „Homeland“ zu sehen. Sein Inspektor bewegt sich zwischen der Arroganz der Amerikaner, dem Überlegenheitsgefühl der Briten, den kriminellen Dschihadisten und dem Idealismus seiner Töchter. Das verlangt Standing und Statur. Waleed Zuaiter hat beides und weil er beides zum Leuchten bringt, ist „Bagdad nach dem Sturm“ mehr als ein serieller Blick in eine fremde Welt.

Die Regisseure Alice Troughton und Ben A. Williams suchen die Nähe zu ihren Protagonisten und sie suchen die Nähe zum Schauplatz. Bietet der nächste Kontrollpunkt Lebensgefahr, dreht einer durch, wer paktiert mit wem? Die Inszenierung sucht die Spannung, in den Akteuren, in der Aktion, in der Atmosphäre.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false