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Lieb langt nicht. Fanta, Hajra, Rasaq und Jazz wollen vom Leben mehr als ein Butterbrot.

© Pascal Bünning TNT Serie

Sechsteiler „Para – Wir sind King“: „4 Blocks“ für Frauen? Nein, diese Serie will mehr

Die neue TNT-Serie „Para – Wir sind King“ erzählt von Girlpower im Brennpunktkiez. Drogen, Nachtclubs, Shishabars. Das erinnert an „4 Blocks“ .

Ticken, Ficken, Ballern und vor allem Para machen. Im Wedding ist auf den Straßen slangmäßig schwer was los. Von den Standardfloskeln „Alta“ und „Wallah“ ganz zu schweigen.

Wie sich das in der urbanen Jugendkultur gehört, die die Underdog-Attitüde des Gangsta-Raps liebt und soziale Deklassierung mit coolen Posen und Protzerei kaschiert.

Dass Ticken und Ballern das Verkaufen und Konsumieren von Drogen bezeichnet, können sich auch Zehlendorferinnen über 25 zusammenreimen. Para jedoch ist keine Abkürzung für „paranormal“, sondern eine aus dem Türkischen entlehnte Bezeichnung für Geld, Kohle, Kies, Patte, Penunze.

Die Freundinnen Hajra, Jazz, Fanta und Rasaq haben keine, dafür aber eine große Klappe. Wenn ihnen jemand dumm kommt, schlagen sie zu. Wer sich behaupten will, kann kein liebes Mädchen sein.

Vor allem Hajra, die 18-jährige Tochter deutsch-libanesischer Eltern, birst vor Wut. Und wo Frust ist, wächst auch kriminelle Energie. Wie sich das hochschaukelt, erzählt die Serie „Para – Wir sind King“ gleich zu Beginn in verwackelten Handybildern. Hajra macht Randale im Späti, zack, sechs Monate Jugendhaft.

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Ein rauer Kiez in Berlin, Heldinnen multiethnischer Herkunft, Drogen, Nachtclubs, Shishabars. „Para – Wir sind King“ weckt nicht von ungefähr Assoziationen an „4 Blocks“.

Die 2017 ebenfalls für TNT Serie entwickelte Underdog-Reihe von Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad hat Neukölln und seiner Clankriminalität so viel Streetcredibility verliehen, das Hauptdarsteller Kida Khodr Ramadan in der Rolle des Toni Hamady zum Idol arabischstämmiger Jugendlicher avancierte.

Als Clanchef, nicht als Schauspieler. Ein auf den ersten Blick amüsanter, letztlich fragwürdiger Effekt. Trotzdem hat besonders die erste, starke Staffel von „4 Blocks“ Maßstäbe in authentischer Milieuschilderung gesetzt und dem internationalen Ruf deutscher Serien aufgeholfen.

Hinterhoftreffen. Die vier Freundinnen unter sich.
Hinterhoftreffen. Die vier Freundinnen unter sich.

© Gordon Timpen/TNT Serie

Bei „Para – Wir sind King“ argwöhnt man bei dem Werbezusatz „von den Machern von ‚4 Blocks‘ “ gleich, dass jetzt ein ähnliches Konzept noch mal als Berlin-Serie für die weibliche postmigrantische Zielgruppe gemolken wird. Zumal „Para“-Regisseur Özgür Yildirim auch die zweite und dritte Staffel von „4 Blocks“ inszenierte.

Doch das erweist sich angesichts der komplett anders gelagerten Geschichte, für die Headautor Hackfort wohlweislich Autorinnen – Luisa Hardenberg und Katharina Sophie Bauer – an Bord geholt hat, als glücklicher Irrtum.

Ja, mehr noch: „Para“ fällt weniger stereotyp, dafür facettenreicher und dabei genauso authentisch und cool aus.

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Auch wenn jeder weiß, dass es nie gut geht, wenn Amateure ins Drogenbusiness einsteigen, will man nach jeder der sechs spannenden Folgen wissen, wie es mit der Mädelsriege weitergeht. Was auch daran liegt, dass sich die Story ohne aufgesetzte Drehbuchlösungen schlüssig aus den Charakteren entwickelt.

Wie aus dem diversen Klischee-Bilderbuch?

Und das obwohl die Heldinnen wirken wie aus dem diversen Klischee-Bilderbuch: Jazz, blond und sexy, kommt aus einer vaterlosen Hartz-IV-Familie, jobbt in Nachtclubs und träumt von einer Tänzerinnenkarriere. Fanta, schwarz und lesbisch, steht kurz vorm Abitur, hilft der Mutter bei deren Aushilfsjobs und ist die eigentliche Erwachsene der Familie.

Jazz, Fanta und Hajra beim Selfie knipsen.
Jazz, Fanta und Hajra beim Selfie knipsen.

© Gordon Timpen/TNT Serie

Hajra brüllt, kaum dass sie aus der Haft raus ist, schon wieder die Mutter an und verpennt nach einer Partynacht gleich am ersten Tag den neuen Job. Einzig die vernünftige Rasaq, ebenfalls arabischstämmig, arbeitet brav als Zahnarzthelferin, trifft sich mit Hatam, den ihre religiösen Eltern ihr als Ehemann vermitteln, und hat keinen Bock, beim Ticken mitzumachen, als Hajra aus der aufgebrochenen Wohnung ihres Dealers Kokain im Wert von 50 000 Euro klaut.

Jeanne Goursaud, die zuletzt ebenso wie David Schütter, der den Nachtclubbesitzer Matthias spielt, in der Haudrauf-Serie „Barbaren“ zu sehen war, spielt Jazz. Sie kann es an Explosivität glatt mit Soma Pysalls Figur Hajra aufnehmen.

Hunger auf Leben

Jobel Mokonzi als Fanta und Roxana Samadi als Rasaq lassen in der Charakterzeichnung ihrer in Familienwärme eingebetteten Figuren etwas mehr Zärtlichkeit walten. In ihrer seit Spielplatztagen eingeübten Loyalität und dem Hunger auf Leben sind sie hinreißende Blutsschwestern.

Krass überzeichnet wirkt nur Dealer Calle, der nach dem Koksklau bei der Russenmafia in der Kreide steht. Seine Schimpfkaskaden gleichen irren Spoken-Word-Suadas. Darsteller Florian Renner ist im Nebenberuf als Rapper Damien Davis bekannt.

Platten in Brandenburg. So geht's, wenn man den Wedding verlässt.
Platten in Brandenburg. So geht's, wenn man den Wedding verlässt.

© Gordon Timpen/TNT Serie

Gut gelungen sind Look und Sound. Pumpende Beats, schnelle Schnitte, Farbfilter- und Splitscreen-Effekte steigern die Dramatik. Kameramann Matthias Bolliger findet auch andere Bilder als die üblichen Handkamera-Nachtecken. Er arbeitet mit Unter- und Draufsichten, Details und Unschärfen, die die vier Girls, wenn sie sich am U-Bahnhof Pankstraße begrüßen oder durch den Alltag bewegen, atmosphärisch in die Stadt einbetten.

[„Para – Wir sind King“ läuft ab 22. April immer donnerstags um 21 Uhr auf TNT Serie.]

Der trotzige Stolz auf die Herkunft aus dem Problemkiez, mit dem die Girls ihre vorgezeichnete Opferrolle negieren, weckt Erinnerungen an Bettina Blümers Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“. Dessen Dialogzeile „Ich komm aus Kreuzberg, du Muschi!“ wohnt seit 2007 auf ewig im Stadtgedächtnis.

So wie die echte Dreiergang aus dem Schwimmbad ist auch die fiktive Viererbande aus dem Wedding gut beraten, wie Pech und Schwefel zusammenzuhalten. Nicht nur der sozialen Stellung wegen, als deren Gegenbild in „Para“ eine im Grunewalder Luxus lebende Discofreundin fungiert, sondern auch gegenüber Männern mit Mackergehabe. Da hilft nur Schlagfertigkeit.

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