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Der von Mišel Matičević gespielte Geiselnehmer weckt zunehmend das Mitleid des Publikums

© ARD Degeto/ORF/Daniel Winkler

Schweizer "Tatort": Thriller mit Inflationsausgleich

Der Schweizer „Tatort“ ist ein spannendes Kammerspiel. Und belebt dabei ein angestaubtes Krimimuster.

Im Grunde ist jeder Krimi ein Spiel zwischen Autoren und Publikum: weil der Reiz umso größer wird, je besser es den einen gelingt, die anderen in die Irre zu treiben. Beliebt ist zum Beispiel das Muster mit den beiden scheinbar völlig unabhängig voneinander begangenen Verbrechen, die sich schließlich als zwei Seiten derselben Medaille entpuppen; oder aber, in selteneren Fällen, tatsächlich rein gar nichts miteinander zu tun haben.

Die Autoren Jan Cronauer und Matthias Tuchmann haben für den Schweizer „Tatort“ mit „Friss oder stirb“ eine dritte Variante gefunden. Der Film beginnt mit zwei parallel erzählten Handlungssträngen: In Luzern wird die Leiche einer Professorin gefunden. Zur gleichen Zeit ist ein bewaffneter Mann auf dem Weg in die Schweiz; sein Ziel ist ein luxuriöses Anwesen. Die beiden Frauen im Haus nimmt er als Geisel.

Gemeinsam warten die drei nun auf Anton Seematter, den Ernährer der Familie. Doch plötzlich steht die Mordkommission vor der Tür, denn Seematters Auto war in der letzten Nacht am Tatort in Luzern. Damit beginnt nach nicht einmal einer halben Stunde, was sich andere Krimis für die letzten Minuten aufheben: das Finale.

Die Krimis des Schweizer Regisseurs Andreas Senn sind ohnehin stets sehenswert. Die verdichtete Handlung bleibt überschaubar, zumal sie sich größtenteils innerhalb des Eigenheims und in einer Nacht zuträgt. Aber daraus resultiert auch die Spannung des Films. Weil „Friss oder stirb“ über weite Strecken ein Kammerspiel ist, sind die Schauspieler umso wichtiger, und auch in dieser Hinsicht gibt es nichts auszusetzen.

Vorzüglich besetzt sind die beiden Kontrahenten: Mišel Matičević spielt den Eindringling Mike Liebknecht, der mehr und mehr zur tragischen Figur des Films wird. Hausherr Seematter ist Geschäftsführer eines großen Schweizer Unternehmens; er hat die Firma übernommen, in der der Geiselnehmer arbeitet. Kapitalisten sind im Fernsehfilm automatisch die Bösen, aber Roland Koch gelingt das Kunststück, den Manager zunehmend sympathisch erscheinen zu lassen.

Untätige Ermittler, agile Kamera

Für die erste Verblüffung sorgt das Drehbuch, als der Konzernchef die Forderung des Geiselnehmers erhöht. Liebknecht verlangt die sofortige Zahlung von gut einer halben Million Euro. Das wäre der Lohn, der ihm in den nächsten zwanzig Jahren entgehen würde. Seematter stellt fest, dass er die Inflation nicht mit einbezogen hat, und erhöht die Summe entsprechend. Nach einer Rauferei trinken die beiden gegensätzlichen Männer erst mal ein Bier und bieten sich das Du an.

Szenen wie diese sind Teil einer cleveren Dramaturgie. „Friss oder stirb“ bleibt durchweg ein fesselnder Thriller, was auch an der agilen Kameraführung liegt; der dafür verantwortliche Philipp Sichler hat für Senn schon bei „Bella Block“ erstklassige Arbeit geleistet. Parallel zur Geiselnahme sorgen die Autoren dafür, dass der Mord an der Uni-Dozentin nicht in Vergessenheit gerät.

Das Ermittlerduo Flückiger und Ritschard (Stefan Gubser, Delia Mayer) hat angesichts der personellen Konstellation nicht viel zu tun; kaum treffen sie im Haus von Seematter ein, werden sie gefesselt. Schließlich spitzt sich die Lage nach mehreren Fluchtversuchen zu, es kommt zu weiteren Todesfällen. Die Geschichte endet dank großer Geste des Kommissars mit einem dicken Kloß im Hals.

„Tatort – Friss oder stirb“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15 Uhr

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