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Wo fängt Hassrede an. Darüber entscheidet in Deutschland das Gesetz, nicht Facebook, urteilte nun der BGH.

© picture alliance / dpa

Schlappe vor dem Bundesgerichtshof: Facebook muss gelöschte Beiträge wieder freischalten

Facebook muss Nutzer informieren, wenn es Beiträge löscht oder Konten sperrt. Das entscheid der Bundesgerichtshof.

Die Gemeinschaftsstandards des sozialen Netzwerkes Facebook können sich nicht einfach über geltendes Recht hinwegsetzen. Das ergibt sich aus einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Donnerstag. Konkret ging es um Beiträge eines Facebook-Nutzers und einer Nutzerin, die sich in dem Netzwerk verächtlich über Migranten geäußert hatten, ohne dabei gegen das Strafrecht zu verstoßen.

Facebook hatte die Beiträge mit Verweis auf die Standards des Netzwerkes gelöscht und die Konten der Nutzer vorübergehend gesperrt. Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte Facebook Recht gegeben, doch in der Revision vor dem BGH unterlag Facebook nun. (Az. III ZR 179/20 und III ZR 192/20)

Nutzer dürfen deswegen nicht erneut gesperrt werden

Konkret entschied der Bundesgerichtshof nun, dass Facebook die gelöschten Beiträge wieder freischalten muss. Das Netzwerk darf die Nutzer zudem nicht erneut wegen dieser Beiträge sperren. Richtig wäre es gewesen, wenn Facebook die Betreffenden im Nachhinein darüber informiert hätte, wenn es Beiträge entfernt. Zudem hätten die Nutzer bei einer beabsichtigten Sperrung des Kontos vorab informiert werden müssen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern.

In der Begründung des BGH heißt es, dass die Geschäftsbedingungen von Facebook unwirksam gewesen seien, weil sich das Netzwerk darin nicht zur Information der Betroffenen verpflichtet habe und diese vor einer Kontosperrung keine Möglichkeit gehabt hätten, sich zu äußern, hieß es. Die Regelungen benachteiligten die Nutzer unangemessen „entgegen den Geboten von Treu und Glauben“.

„Die öffentliche Meinungsbildung findet heutzutage überwiegend in sozialen Netzwerken statt. Der Bundesgerichtshof hat damit klargestellt, dass Facebook, aber auch andere Anbieter wie Twitter, eine unglaubliche Verantwortung für demokratische Willensbildungsprozesse tragen“, bewertet der Berliner Medienrechtsanwalt Ehssan Khazaeli das Urteil. Dem können die Anbieter nur dann gerecht werden, wenn Nutzer nicht willkürlich gesperrt werden, sondern die Möglichkeit haben, ihren Standpunkt noch einmal im Rahmen eines gesonderten Verfahren deutlich zu machen. „Dabei werden die Anbieter in Zukunft auch nicht darum herumkommen, das Phänomen der Hassrede genauer zu definieren“.

Die Nutzerin hatte in dem Beitrag geschrieben„Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen.“ Deutsche würden dagegen wegen einer anderen Ansicht kriminalisiert, schrieb die Frau mit Blick auf das staatliche Vorgehen gegen die sogenannten „Reichsbürger“. Bei dem anderen Beitrag handelte sich um einen Kommentar eines Nutzer-Videos, in dem eine Person mit Migrationshintergrund es ablehnte, sich von einer Polizistin kontrollieren zu lassen. In Großbuchstaben schrieb er: „Diese Goldstücke können nur eines morden klauen randalieren und ganz wichtig nie arbeiten.“

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Die Gemeinschaftsstandards von Facebook sind Regeln, die das Netzwerk weltweit aufgestellt hat, um etwa diskriminierende oder anstößige Inhalte zu verhindern. Niemand soll sich auf der Plattform ausgegrenzt oder bedroht fühlen, so die Philosophie. Nicht alle Äußerungen, die gelöscht und geahndet werden, verstoßen gegen deutsches Recht. Die Frage ist, ob Facebook damit zu weit geht und die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit seiner verletzt.

„Vollständig unpraktikabel“ meint Facebook

Facebook hatte argumentiert, dass es „vollständig unpraktikabel“ sei, die Nutzer über das Löschen von Beiträgen oder das Sperren von Konten vorab zu informieren. Tag für Tag gebe es Hunderte Fälle, und jede neue Beleidigung ermutige Gleichgesinnte. Ein drohender Shitstorm müsse ganz schnell gestoppt werden können, hatte der Facebook-Anwalt ins Feld geführt.

Der Anwalt der beiden Kläger hatte hingegen darauf verwiesen, dass es für die Nutzer Gelegenheit geben müsse, sich zu verteidigen. Eine Verrohung wolle niemand, aber das obliege nicht Privaten aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung. Dafür sei der Gesetzgeber da.

In Deutschland gibt es seit 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, um Hasskriminalität und Falschnachrichten wirksamer zu bekämpfen. Es verpflichtet die Betreiber sozialer Netzwerke, gegen strafbare Inhalte vorzugehen. Dazu gehören zum Beispiel Volksverhetzung und üble Nachrede. Maßstab ist dabei das deutsche Strafgesetzbuch.

Gegen die Verschärfung des NetzDG haben Youtube und deren Mutterkonzern Google kürzlich eine Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Sie bezieht sich auf Neuregelung des Gesetzes, die im kommenden Februar in Kraft treten soll, und nach der Plattformbetreiber wie Youtube dazu verpflichtet werden, in potentiell strafrechtlich relevanten Fällen automatisch Nutzerdaten an das Bundeskriminalamt weiterzugeben. Youtube und Google argumentieren dabei mit dem Schutz der Daten ihrer Nutzer. (mit AFP)

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