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Wolfgang Bahro (rechts) trägt auch als älter gewordener Jo Gerner perfekte Outfits.

© RTL

RTL-Soap: Fies bleibt länger

Seit 25 Jahren spielt Wolfgang Bahro den skrupellosen Anwalt Jo Gerner in „GZSZ“. Bei konsequenter Strafverfolgung müsste er 199,5 Jahre in den Knast.

Erinnern wir uns kurz an das Jahr 1992: Helmut Kohl ist Bundeskanzler, „Smells Like Teen Spirit“ stürmt die Charts und ein rechter Mob Rostock-Lichtenhagen. Wolfgang Lippert ersetzt Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass..?“ und RTL wird dank einer Seifenoper zum Marktführer, die kaum Schultheaterniveau hat: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, auch bekannt als „GZSZ“.

Helmut Kohl ist tot und George Bush über 90. Die Charts werden nur noch von Helene Fischer gestürmt, die rechtsextreme Alternative für Deutschland sitzt im Bundestag und auf Gottschalks Wettsofa niemand mehr. „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ jedoch macht Werktag für Werktag weiter. 6406 Folgen bereits. Mit abertausend Darstellern in abertausend Eskalationen, von denen einer fast jede erlebt hat: Jo Gerner.

Seit Episode 185 ist der Fiesling bei Deutschlands ältester Daily dabei, stets bereit zu jedweder Missetat. Nie zuvor hat das Fernsehen hierzulande einen Charakter von so unverdrossener Niedertracht kreiert wie diesen Juristen aus der Fantasiehauptstadt des Kölner Privatfernsehens. Für all seine Straftaten, haben echte Kollegen des fiktiven Anwalts errechnet, hätte er bei konsequenter Strafverfolgung 199,5 Jahre hinter Gitter verbracht.

Auf der Überholspur des Sozialverträglichen

Zwölf Erpressungen, elf Bestechungen, drei Entführungen, dazu Urkunden- und Beweismittelfälschung, Betrug und Hehlerei, Anstiftung zu Raub oder Körperverletzung. Seit dem 15. November 1992 führt Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Gerner ein Bildschirmdasein auf der Überholspur des Sozialverträglichen. So schnell, so heimtückisch, so fortdauernd infam, dass man es ihm eigentlich nur wegen des Mannes hinter der Kunstfigur glauben kann: Wolfgang Bahro.

Der nebenberufliche Kabarettist aus Berlin verkörpert das „GZSZ“-Scheusal nämlich mit einer schmierigen Nonchalance, die bis heute ihresgleichen sucht – und allenfalls in ein paar baugleichen Soap-Gewächsen findet: Martin Armknecht als „Lindenstraßen“-Unhold Robert Engel etwa oder Larry Hagman, dessen texanischer J.R. Ewing künstlerisch betrachtet auch nur in Nuancen anspruchsvoller war als sein deutsches Pendant.

Obwohl der abgebrochene Psychologie- und Theaterstudent wie so viele Protagonisten im Seifenoper-Boom der frühen Neunziger zu den Bankdrückern des Metiers zählte, war er einer der wenigen echt ausgebildeten Schauspieler. Umso mehr ging Wolfgang Bahro fast gespenstisch gut auf im Serienzugpferd.

Ständig soll Bahro den Fiesling spielen

Zu gut, muss man wohl sagen. Seit er Jo Gerner spiele, sagt sein Darsteller leicht resigniert, „bekomme ich in der Regel nur skrupellose Fieslinge und Bösewichter angeboten“. Am Theater von Didi Hallervorden, der selbst ewig im Schubladendenken des Fachs festsaß, durfte der 57-Jährige zuletzt zwar überaus ernsthaft Charlie Chaplin beleben.

Vor der Kamera jedoch sei dieser Statuswechsel dank der „Fantasielosigkeit gewisser Medienschaffender“ scheinbar unmöglich. Episodenrollen von „Soko“ bis „Unser Charly“, Cameo-Auftritte wie im „Circus HalliGalli“, dazu ein Crossover beim RTL-Produkt „Alles was zählt“ – viel mehr kam im vergangenen Vierteljahrhundert nicht zusammen. Allerdings auch, weil Bahro oft ablehnt. „Ich muss Jo Gerner nicht noch in anderen Serien als korrupten Politiker, miesen Anwalt oder windigen Geschäftsmann spielen.“

Dafür ist er sich selbst zu teuer. Dafür ist ihm aber auch Jo Gerner zu lieb. Eine Figur, der er durchaus positive Seiten abgewinnt. Die Unverhältnismäßigkeit vieler Rachezüge, der dauernde Kanonenbeschuss harmloser Spatzen – das gehe ihm selbst auf die Nerven. Andererseits sei der mehrfach verheiratete, vielfach liierte, sexuell obsessive Lebemann mit dem klassenbewussten Verständnis von Anstand und Sitte, Manieren und Stil nicht von Natur aus böse.

„Wenn es um Loyalität zu Freunden und seine Familie geht, kann er ein herzensguter Mensch sein.“ Und mit zunehmendem Alter sinkt sogar seine Delinquenz unter die frühere Quote von einer Straftat alle 132 Folgen.

Sein selbstsüchtiges Liebesleben hat sich entspannt

Selbst die Juristenseite Anwalt.org entdeckt neben den dunklen Flecken auf der Weste des notorischen Rechtsbrechers auch Lichtblicke. So habe er (bis auf den wegen Steuerhinterziehung gegen sich selbst) praktisch jeden Prozess gewonnen, einem seiner drei Kinder Knochenmark gespendet und kostenlos Flüchtlinge vertreten. Dank einer schweren Jugend engagiert er sich zudem für Waisen und Missbrauchsopfer.

Sein selbstsüchtiges Liebesleben hat sich altersbedingt entspannt. Und was an Egoismus übrig blieb, hat durchaus altruistische Gründe. Der Erfolg von „GZSZ“ wäre ja ohne die zuweilen autoaggressive Rücksichtslosigkeit ihres Stars undenkbar.

Das Gute bedarf eben zwingend des Antagonisten, um sich ins Gemüt des Publikums zu schleichen. Anstand ohne Bosheit ist fad wie Pilcher-Soße. Nur im Kontrast zum schwarzen Reiter gewinnt der weiße Konturen. Und Jo Gerner belebt diesen Gegensatz seifenoperüblich zwar jenseits aller Glaubhaftigkeit, bis es schmerzt.

Immer modisch, immer schick

Aber er tut es eben mit einer Grandezza, die von Jahr zu Jahr professioneller inszeniert wird und damit stetig gut drei Millionen Zuschauer pro Vorabend erreicht. Selbst wer „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ nichts abgewinnen kann, wer gar zur Mehrheit jener Menschen gehört, die darin den Untergang des Abendlandes sehen, kann im „GZSZ“-Monument Gerner ein Monument privater Fernsehkultur entdecken.

Riesenrevers in Mauve mit Grafikkrawatte, Kurzrevers in Beige mit Rollkragenpulli, Breitrevers in Kariert mit Kamelhaarmantel, dazu mal mehr, mal weniger Haarspray im vollen Haar, das mit dem Alter der Serie ergraut – Jo Gerners Auftritt als ausdauerndster Fernsehfiesling im Land ist auch ein Ritt durch die Zeitgeschichte gediegener Männergarderobe.

RTL hat ihm zum Jubiläum sogar die kleine Webserie „Akte Gerner“ geschenkt. Wie lange ihn die Leute noch sehen dürfen? „Solange sie mich sehen wollen und ich mich mit den Geschichten identifizieren kann.“ Klingt richtig nett, wie er das sagt.

„Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, RTL, Freitag, 19 Uhr 40

Jan Freitag

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