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Im Angesicht des Verbrechens. Ronald Zehrfeld spielt in „Dengler - Die letzte Flucht“ (Montag, ZDF, 20 Uhr 15) den Privatermittler Georg Dengler, der den Machenschaften eines Pharmariesens auf die Schliche kommt.

© ZDF

Ronald Zehrfeld: „Vielleicht geht es uns hier einfach zu gut“

Der Schauspieler Ronald Zehrfeld über wertvolle Indien-Reisen, echte Freundschaften, rote Teppiche und mehr Verantwortung in der Politik.

Herr Zehrfeld, der TV-Film „Die letzte Flucht“ am Montag im ZDF basiert auf dem sechsten Dengler-Roman des Bestseller-Autors Wolfgang Schorlau. Hatten Sie die Krimis um den Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler vor dem Lesen des Drehbuchs gekannt?

Lars Kraume, der Regisseur des Films, hatte mich auf die Romane von Wolfgang Schorlau aufmerksam gemacht. Nachdem ich Denglers ersten Fall über den Fleisch-Skandal gelesen hatte, habe ich mich dann auch noch an andere gewagt. Für alle sieben Dengler-Fälle fehlte mir bis jetzt leider die Zeit.

Dengler ist ein ehemaliger BKA-Zielfahnder, der sich in Stuttgart als Privatermittler selbstständig gemacht hat. Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Werte sind ihm wichtig. Er tritt für etwas ein und hat bewusst die Entscheidung getroffen, für den Staat zu arbeiten, um sich für Recht und Ordnung einzusetzen. Er ist überzeugt davon, als Zielfahnder beim BKA etwas bewegen zu können. Bis er in einen Gewissenskonflikt gerät und merkt, dass sein Weg in die falsche Richtung führt. Er erkennt, dass der Preis für seine Karriere zu hoch war. Dass er nie eine richtige Vater-Sohn-Beziehung aufbauen konnte. Deshalb will er herausfinden, worum es im Leben wirklich geht.

Der Thriller spielt vorwiegend in Berlin und gipfelt in einer atemlosen Verfolgungsjagd durch die U-Bahn-Schächte.

Das war eine echte körperliche Herausforderung. Wir rennen auch durch die unterirdischen Gänge der Charité. Hinzu kam, dass wir im Hochsommer gedreht haben, und ich die ganze Zeit eine dicke Bomber-Jacke tragen musste. Aber der beständig fließende Schweiß hat gut zu meiner Rolle gepasst, und Bequemlichkeit ist bekanntlich langweilig.

Vor Ihrer Schauspiellaufbahn haben Sie Politik studiert. Sind Sie ein politischer Mensch?

Gegenfrage: Was ist ein politischer Mensch? Ich interessiere mich für Tagespolitik, möchte immer auf dem Laufenden bleiben. Ich möchte wissen, was bewegt die Gesellschaft, welche Ängste beschäftigen die Menschen. Manchmal teile ich diese Ängste, manchmal nicht. Und wie Dengler habe ich meine persönlichen Werte. Leider spüre ich einen Werteverfall in unserer Gesellschaft, alles wird immer schneller. Das egoistische Denken gewinnt immer mehr an Terrain, und die eigentlichen Werte gehen verloren.

Welche Werte sind Ihnen besonders wichtig?

Solidarität. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen wieder mehr zusammenrücken. Dass sie sich gegenseitig unterstützen und nicht jeder nur an sich selbst denkt. Dass wir alle daran arbeiten, nicht als Einzelkämpfer sondern in der Gruppe weiterzukommen. Deshalb ist mir auch Freundschaft sehr wichtig, allerdings echte Freundschaft und keine bloße Internet-Verbindung. Ich pflege lieber den direkten sozialen Kontakt und die persönliche Beziehung.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Mehr Transparenz, mehr Verantwortung. Ich finde es schade, dass viele Dinge zu unbedacht durchgewunken werden. Gerade bei Themen wie Hartz IV oder Gesundheitspolitik. Da gibt es Gesetze, die man überarbeiten könnte. Es fehlt das langfristige und nachhaltige Denken. Man sieht immer mehr: Hier ist das Kapital, dort die Politik und die Menschen dazwischen werden vergessen.

In „Dengler – Die letzte Flucht“ geht es um menschenverachtende Machenschaften einer übermächtigen Pharmaindustrie. War dieses Thema neu für Sie?

Nicht ganz. Ich wusste zum Beispiel, dass Pharmakonzerne gewillt sind, junge Studenten durch Praktika zu unterstützen oder sie früh über Stipendien zu fördern. Die Lobbyarbeit der Pharmaindustrie ist unglaublich stark, das ist ein riesiger Machtbereich, so entstehen natürlich auch Abhängigkeiten. Man fragt sich, ab welchem Punkt der eine oder andere gekauft ist. Und das Erschreckende ist: Das sind gängige Praktiken, das System lässt das zu.

Der Film geht noch einen Schritt weiter.

Ja, anhand des Beispiels der Krebstherapie macht der Film ganz deutlich, dass die Industrie manchmal wirklich genau so funktioniert und dass es diese Abhängigkeiten tatsächlich gibt. Hier spielt ein Pharmakonzern mit der Hoffnung der Menschen, die für ihn nur Kunden und Produkte sind. Krebskranken Patienten werden angeblich lebensverlängernde Therapien angeboten, für die es keinerlei Belege gibt. Es geht um sehr hohe finanzielle Beträge und rein wirtschaftliche Interessen.

Bis zu Ihrem 14. Lebensjahr hat Judo einen Großteil Ihres Lebens bestimmt. Wie hat Sie dieser Kampfsport fürs Leben geprägt?

Judoka zu werden, war für mich in der DDR ein Ziel, aber auch eine Chance, etwas von der Welt kennenzulernen. Ein Ansporn, vielleicht mal im Ausland kämpfen zu können. Was ich heute noch davon mitnehme, ist der Mannschaftsgeist, das Gefühl der sozialen Zusammengehörigkeit. Auch die Disziplin und die innere Ruhe, die mir diese Sportart gegeben hat. Was mich aber noch mehr fürs Leben geprägt hat, waren meine Reisen nach dem Fall der Mauer.

Nach dem Fall der Mauer ist Zehrfeld viel gereist

Welches Land hat Sie am meisten beeindruckt?

Indien. Es hat mich gelehrt, nicht alles selbstverständlich zu nehmen. Wenn man Indien sieht, erkennt man, wir haben hier nicht wirklich Probleme. Vielleicht geht es uns in Deutschland zu gut, um uns wirklich politisch zu engagieren.

Warum sind Sie Schauspieler geworden?

Ich hatte die Chance bekommen, an einem Theater-Workshop in Spanien teilzunehmen und dadurch mich selbst kennenzulernen. Das mag komisch klingen, aber die Schauspiellehrerin brachte da ein, zwei Fragen auf den Tisch, die mich sehr beschäftigt haben. Welche Verantwortung bringt der Beruf mit sich? Was bewirkt welche Rolle bei mir?

Locken bei dem Beruf nicht auch Ruhm und Rampenlicht?

So funktioniere ich nicht. Auf roten Teppichen kriege ich eher Panik-Attacken.

Schauspieler gelten als die am besten therapierten Menschen.

Das könnte stimmen. Manchmal kommen Schauspieler natürlich auch an tiefe Abgründe. Man muss über seinen eigenen Schatten springen, hat dafür aber den Schutzraum, dass man in eine andere Haut schlüpft. Es gibt Hilfsmechanismen, die greifen und Grenzen, über die man nicht hinausgeht.

Sie sind momentan einer der meist beschäftigen Schauspieler Deutschlands. Haben Sie noch genügend Zeit für Ihre Familie?

Ich nehme sie mir, das gilt auch für das Pflegen meiner sozialen Kontakte. Es ist wichtig, die richtige Balance zu finden. Das ist manchmal schwer, denn das Rad dreht sich heute immer schneller, man muss auf der gesellschaftlichen Spur funktionieren, und der Tag hat trotzdem nur 24 Stunden. Aber ich habe das große Glück, dass meine Familie viel Verständnis aufbringt für meinen Beruf. Und ich habe eine tolle Frau, die mir den Rücken freihält.

Haben Sie sich auch einen Lebenstraum bewahren können?

Dass wir als Menschen endlich damit anfangen, gemeinsam eine bessere Welt zu schaffen, nicht im Sinne von Friede, Freude, Eierkuchen, aber dass wir das Miteinander irgendwann mal hinkriegen. Dieser Traum ist natürlich total naiv, aber träumen kann man ja noch.

Das Interview führte Claudia Pless.

Ronald Zehrfeld wuchs in Belin-Schöneweide auf. Sein Vater, ein Diplomingenieur, und seine Mutter, eine Betriebswirtschaftlerin, arbeiteten für die DDR-Fluggesellschaft Interflug. Im Alter von fünf Jahren wurde Zehrfeld im Kindergarten für eine mögliche Leistungssportlerkarriere im Judo entdeckt. Während seiner Schauspiel-Studienzeit an der Ernst Busch wurde er von Peter Zadek ans Deutsche Theater in Berlin engagiert. Vor allem bekannt aus Filmen und Serien wie „Der Rote Kakadu“, „Barbara“, „Die Stunde des Wolfes“, „Im Angesicht des Verbrechens“. Dafür gab es den Deutschen Fernsehpreis und den Grimme-Preis. Ronald Zehrfeld, 38, ist Vater einer Tochter.

Claudia Pless

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