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Redaktionssitzung bei MBCh. Die Plattform musste ihre Arbeit einstellen.

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Repressionen gegen die Medien: Russische Wahlvorbereitung

Wie die Staatsmacht vor der Parlamentswahl missliebige Stimmen zu „ausländischen Agenten“ erklärt.

Sage niemand, in autoritär geführten Staaten seien Wahlen bedeutungslos und es gebe keinen Wahlkampf. In Russland wird Mitte September die Duma gewählt, das Parlament. Gut einen Monat vor der Abstimmung schlägt unabhängigen Umfragen zufolge der Partei „Einiges Russland“, der Partei der Macht, tiefes Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger entgegen. Deshalb führt der Kreml derzeit einen gnadenlosen Kampf gegen alle kritischen Stimmen.

Am Donnerstag traf es zwei zivilgesellschaftliche Organisationen sowie die Nachrichtenplattformen MBCh und Otkrytye Media (Offene Medien), die dem im Schweizer Exil lebenden Putin-Kritiker Michail Chodorkowski nahestehen. Die russische Zensurbehörde Roskomnadsor hatte sie auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu Organisationen erklärt, die in Russland unerwünscht sind, und damit praktisch ein Betätigungsverbot ausgesprochen.

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Sie wisse nicht genau, zum wievielten Male die Webseite von MBCh blockiert werde, schrieb die Chefin Veronika Kuzillo auf Facebook. Es müsse das vierte oder fünfte Mal sein. Die Plattform hatte sich mit mutigem, investigativem Journalismus über Korruption und Misswirtschaft einen Namen gemacht und war damit immer wieder angeeckt. Doch dieses Mal sei die Situation ernster, meint Kuzillo. Waren die Behörden vor einigen Jahren noch gezwungen über den Umweg der Steuergesetze gegen missliebige Medien vorzugehen, greift inzwischen das restriktive Informationsgesetz und das Strafrecht. Unerwünschten Medien und ihren Mitarbeitern drohen nun Geldstrafen, im schlimmsten Falle Lagerhaft bis zu sechs Jahren. Doch nicht nur sie sind bedroht, das Gesetz verbietet auch die finanzielle Unterstützung und sogar das Teilen der Informationen der gebannten Medien.

"Die Risiken sind zu groß"

„Dieses Mal sind die Risiken zu groß“, schrieb Kuzillo. „Nicht nur für die für unser Projekt arbeitenden Journalisten, sondern für jeden, dem unser Inhalt gefällt und der sich entschließt, ihn mit anderen zu teilen.“ Und weiter: „Ich bin nicht bereit, die Freiheit und das Leben anderer Menschen in Gefahr zu bringen.“ Das Projekt MBCh Media werde beendet.

Mit all seiner Macht geht der Kreml seit Wochen gegen unabhängige Stimmen vor. Zuvor war die Webseite Gulagu.net blockiert worden. Sie war vor zehn Jahren gegründet worden und hatte sich zum Ziel gesetzt, Korruption, Folter und andere Gesetzlosigkeiten in den russischen Gefängnissen öffentlich zu machen. Davor hatte Roskomnadsor einen Schlag gegen gleich 40 Webseiten geführt, die mit dem in Haft befindlichen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in Verbindung stehen. Ebenfalls im Juli wurden die investigativen Plattformen „The Insider“, „Kommando 29“ und „Projekt“ sowie deren Mitarbeiter zu „ausländischen Agenten“ erklärt.

Der Chef von „Projekt“, Roman Badanin, erfuhr von der Aktion in seinem Urlaub in New York. Die konkrete, formelle Begründung für das Verbot erfahren die Betroffenen in der Regel nicht. Es gibt eine allgemeine Erklärung über ihre Einstufung als „unerwünscht“ und ihre Webseiten sind einfach nicht mehr zugänglich.

Putin hat die junge Generation verloren

Prozesse vor Gericht hat es bislang noch nicht gegeben. Eine Möglichkeit für die Medien, sich zu wehren, böten sie wohl ohnehin nicht. Die Statistik sagt, dass Richter in Russland in mehr als 90 Prozent der Fälle den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen.

Er und sein Mitarbeiter Michail Rubin würden nicht nach Russland zurückkehren, sagte Badanin der Nachrichtenagentur Reuters. Ein Foto im Netz zeigt die Mitarbeiter von „Projekt“. Bis auf Badanin und Rubin schient keiner von ihnen über 30 Jahre alt zu sein. Auch das ist kein Zufall. In Russland wächst eine Kluft zwischen der „Generation Putin“, die auf die 70 zugeht oder sie schon überschritten hat, und den jungen Erwachsenen.

Bei Roman Dobrochotow, dem Chefredakteur von „The Insider“, klingelten die Ermittlungsbehörden um fünf Uhr früh. Zwei Tage zuvor war die Plattform auf die Liste „ausländischer Agenten“ gesetzt worden. „The Insider“ hatte Artikel veröffentlicht, in denen über die Vergiftung der Oppositionellen Alexej Nawalny, Dmitri Bykow und Wladimir Kara-Mursa berichtet wurde. Zudem wurden Namen von Chemikern der Armee und operativen Mitarbeitern des Geheimdienstes FSB genannt, die darin mutmaßlich verstrickt sind. Bislang folgten der Beschlagnahme von Computern und anderer Technik keine weiteren Schritte. Doch Dobrochotow ist sicher, dass es nicht vorbei ist.

Den Druck, dem sich unabhängige Medien in Russland ausgesetzt sehen, brachten die Journalisten von MBCh in der Erklärung zum Ende ihrer Publikation auf einen prägnanten Satz: „Je kritischer das Projekt, desto kürzer dessen Leben.“

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