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#Saveyourinternet - unter diesem Slogan wollen am Samstag in vielen Städten Europas die Gegner der EU-Urheberrechts-Direktive demonstrieren, darunter in über 40 Orten Deutschlands.

© Carmen Jaspersen/dpa

Reform des EU-Urheberrechts: „Eine Frechheit den Kreativen gegenüber“

Europaweit wird gegen die EU-Urheberrechtsreform protestiert. Die re:publica-Gründer Markus Beckedahl und Johnny Haeusler sind uneins, ob das noch hilft.

Herr Beckedahl, Herr Haeusler, waren Sie eigentlich bei den Anti-AKW- und Friedens-Demos dabei?

BECKEDAHL: Ich komme aus der Gegend von Bonn, möchte also nicht ausschließen, dass mein Vater, der in der katholischen Friedensbewegung aktiv war, mich in den 80er Jahren mit in den Bonner Hofgarten geschleppt hat. Meine erste Demonstration, an der ich aktiv teilgenommen und Schilder gemalt habe, war gegen den ersten Irak-Krieg 1991, bei der auch Schüler für den Frieden protestiert haben.

HAEUSLER: Die erste Demo, in die ich geraten bin, war gegen die Räumung eines besetzten Hauses in der Nähe vom Nollendorfplatz. Da war ich gerade auf dem Heimweg von der Schule und habe zum ersten Mal gesehen, wie ein Wasserwerfer eine Rentnerin umgeworfen hat, die da zufällig entlang vorbei lief. Das hat mich total politisiert.

Was können Demonstration bei Themen wie der Freiheit im Internet bewirken?
BECKEDAHL: Unsere Erfahrungen zeigen, dass gerade bei Netzthemen Demonstrationen die Proteste erst sichtbar machen und so Einfluss auf die Politik nehmen. Siehe die Vorratsdatenspeicherung. Erst als 10.000 Menschen in Berlin auf die Straße gingen, wurde vielen bewusst, dass dies nicht nur ein Netzthema ist.

Herr Haeusler, was erwarten Sie von den Demonstrationen gegen die EU-Urheberrechtsrichtlinie am Samstag in vielen europäischen Städten?
HAEUSLER: Neben den medienwirksamen Bildern bringt das auch ein Solidaritätsgefühl. Erst wenn Leute den Hintern hochkriegen und sich versammeln, wird der Protest gegen die Gefahren für die Meinungsfreiheit sichtbar. Wie eine andere Umsetzung der Richtlinie aussehen könnte, da sind viele der Protestierenden allerdings unterschiedlicher Meinung.

Welche Auswirkungen der geplanten Copyright-Direktive befürchten Sie?

BECKEDAHL: Dass man für legitime Ansprüche von Teilen der Urheber mit der Schrotflinte auf große Plattformen wie Youtube und Facebook schießt, und das halbe Internet dabei mitgetroffen wird. Der CDU-Europapolitiker Axel Voss meint, das würde nur fünf Prozent aller Plattformen betreffen. Aber wenn man die Größe des Internets betrachtet, muss man annehmen, dass Herrn Voss nicht bewusst war, wie viele Plattformen über Youtube hinaus betroffen sind. Zudem befürchte ich, dass die dringend nötige Reform des Urheberrechts ausblendet, dass es mittlerweile andere Formen von Urhebern gibt, die nicht berücksichtigt werden. Dass also alte Rezepte aus einer alten Welt für die nächsten zwanzig Jahre zementiert werden.

HAEUSLER: Ich glaube sogar, dass es das eigentliche Ziel ist, die alten wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten in der neuen digitalen Welt zu verankern. Von den Verwertungsgesellschaften wird offenbar nicht einmal erwartet, sich an die neuen Zeiten anzupassen. Das ist ein Riesenfehler und eine Frechheit den Kreativen gegenüber. Wie man mit der Kritik an der Richtlinie umgeht, schadet zudem dem Gedanken von Europa gerade bei jungen Leuten. Gerade Jugendliche sind offen für Europa. Denen wird nun vorgeworfen, sie seien alle von Google bezahlt oder gesteuerte Bots. Da fühlt man sich als Mensch, der in der digitalen Welt einen Lebensraum hat, total missachtet.

Also täuscht der Eindruck, dass sich die jungen Leute von Youtube vor den Karren spannen lassen?
HAEUSLER: Es liegt mir fern, für Youtube zu sprechen. Die sollen trotz aller Unterschiede genauso wie Radio- und Fernsehsender Abgaben an Urheber zahlen. Natürlich betreibt auch Youtube Lobbyismus. Aber jetzt so zu tun, als ob Lobbyismus sonst immer okay ist, außer in diesem Fall, ist ein zweischneidiges Schwert.

Die Youtuber protestieren am lautesten gegen die Reform. Sind sie naiv, was die Interessen von Google und Youtube angeht?

BECKEDAHL: Im Gegenteil: Viele Youtuber haben schon früh die Gefahren erkannt, die die Upload-Filter für die neuen Formen von Publikationen mit sich bringen. Jeder, der auf Youtube als Sender aktiv wurde, hat schon Probleme mit den bestehenden Content-ID-Strukturen bekommen. Wenn man popkulturelle Referenzen in Form von Memes in seinen Live-Streams verwendet, ist man wegen der künftigen technischen Lösungen natürlich besorgt.

HAEUSLER: Der Artikel 13 wird von Google total emotionalisiert. Einiges wurde da auf wenige Schlagworte heruntergebrochen. So zu tun, als gäbe es dann kein Youtube mehr, ist natürlich übertrieben. Trotzdem steht da berechtigte Kritik dahinter.

Für ein freies Netz: Johnny Haeusler (li.) und Markus Beckedahl sind die Gründer der Internet-Konferenz re:publica, die seit 2007 in Berlin stattfindet.
Für ein freies Netz: Johnny Haeusler (li.) und Markus Beckedahl sind die Gründer der Internet-Konferenz re:publica, die seit 2007 in Berlin stattfindet.

© dpa

Das Internet war anscheinend noch nie so politisch wie jetzt.

HAEUSLER: Neben dem Protest gegen Artikel 13 gibt es derzeit die „Fridays for Future“-Bewegung, die ihre schnelle Verbreitung ebenfalls nur durch das Internet finden konnte. Durch beides gibt es derzeit größere politische Wellen. Aber auch bei dem politischen Rechtsruck, den wir weltweit erleben, spielt das Internet eine Rolle, auch wenn man sich darüber nicht freuen sollte.

Von den Organisatoren der Demonstrationen an diesem Samstag erwarten einige bis zu einer halben Million Teilnehmer in Europa. Teilen Sie diese Einschätzung?

BECKEDAHL: Ich bin da lieber etwas zurückhaltender. Ich würde mich über 100.000 Menschen freuen, die bei einem Netzthema auf die Straße gehen. Das haben wir bislang nur einmal bei den Acta-Protesten geschafft. So würde gezeigt, dass noch mal über diese Reform diskutiert werden sollte. Die Befürworter wollen den Eindruck vermitteln, über die Richtlinie könnte nur in dieser Legislaturperiode abgestimmt werden. Dabei könnte man mit dem neuen Europa-Parlament eine Lösung finden, die mehr Interessen gerecht wird.

Stattdessen könnte es zu unterschiedlichen nationalen Regelungen kommen.

HAEUSLER: Wenn es tatsächlich so kommt, dass es wie von der CDU jetzt geplant in Deutschland keine Upload-Filter geben wird, dafür aber in anderen europäischen Ländern, dann wird es völlig absurd. Nicht nur als junger Mensch fragt man sich dann, was soll der Quatsch? Nehmen Sie die Videoplattform Vimeo, die eine ganz andere Kultur hat als Youtube, sollen die nun in Europa 28 unterschiedliche Grundlagen haben? Wir brauchen in allen digitalen Bereichen eine Vereinfachung. Einschließlich klaren Regeln für die Nutzer, die ganz oft selbst Urheber sind. Und wir brauchen Verwertungsgesellschaften, die nicht nur wollen, dass alles so bleibt wie vor 50 Jahren.

Werden die Proteste am Samstag noch zu einer Revidierung der Richtlinie führen?

HAEUSLER: Ich gehe davon aus, dass die Richtlinie mindestens verschoben wird.

BECKEDAHL: Ich bin Berufspessimist bei solchen Entscheidungen. Ich rechne damit, dass es zwar eine knappe, aber dennoch eine Mehrheit für die Direktive geben wird. Ich würde mich aber umso mehr freuen, wenn ich mich irren würde und zumindest die umstrittenen Artikel elf und 13 verschoben würden.

Anderes Thema: Wie kommt das Thema auf die re:publica 2019?

HAEUSLER: Es wird viel über Jugendliche im Netz geredet, aber in den Konferenzen sitzen häufig lauter Leute über 40. Mit der Jugendkonferenz Tincon und der Berufswahlmesse Jetpack, aber auch mit re:learn für Lehrkräfte nehmen wir uns dieser Zielgruppe an. Auch damit, dass sie bis zum Alter von 21 Jahren kostenlos auf die re:publica kommen können.

Auf welche Referenten können sich die Besucher freuen?
BECKEDAHL: Die Eröffnungs-Keynote wird von der Forscherin und Netzaktivistin Nanjira Sambuli gehalten, die aus afrikanischer Perspektive eine globale digitale Welt entwirft. Unsere Referentin Margarethe Vestager steht als EU-Kommissarin wie keine andere für eine Regulierung der Tech-Riesen, seit langem eines der ganz wichtigen Themen der re:publica. Die Abschluss-Rede hält der Astronaut Alexander Gerst über Weltraumforschung. Und Erika Lust wird als Regisseurin und Produzentin aus feministischer Perspektive auf den Erotikmarkt blicken.
Das Interview führte Kurt Sagatz.

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