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"Red Dead Redemption 2": Die Spieler haben viel Raum, sich im Wilden Westen auszutoben oder auch um einfach mal gar nichts zu tun.

© Rockstar Games/dpa

"Red Dead Redemption 2": Die Emanzipation der Spieler

Mit seiner Komplexität überschattet das neue „Red Dead Redemption 2“ alle anderen Videospiele. Das Spiel ist sich seiner Brutalität durchaus bewusst.

„Pie Jesu / Domine, dona eis requiem / sempiternam requiem“. So scheppert es aus dem Grammophon im Zelt des Banditen-Anführers. Das Requiem von Gabriel Fauré, erstmals gespielt 1888 in Paris, ertönt jetzt in einem virtuellen USA des Jahres 1899. Das Land ist beinahe ganz besiedelt, die Menschen, die sich noch außerhalb des Gesetzes bewegen, werden verfolgt.

Einen dieser Outlaws steuern die Spieler in „Red Dead Redemption 2“. Arthur Morgan, kein sonderlich liebenswerter Protagonist, der in einer Diebes-Bande unter Anführung von Dutch van der Linde durch das Land zieht, Banken ausraubt, Menschen erschießt – und dabei doch auch selbst ein Mensch bleibt.

„Red Dead Redemption 2“ ist das neue große Spiel aus dem Hause Rockstar, das vor allem für die Spielereihe „Grand Theft Auto“ bekannt ist. Es ist das Blockbuster-Spiel, das momentan alle anderen Spiele überschattet. Es ist das Spiel, das die Spieler viele Stunden an die Controller binden kann, durch seine Geschichte, seine Charaktere, die riesige Spielwelt. Und es ist das Spiel, das die Spieler, wenn sie genau hinhören, leise und zerbrechlich ein Requiem hören lässt, inmitten eines Banditen-Lagers, kurz nachdem mehrere Menschen bei einem Raubüberfall erschossen wurden.

An dieser kleinen Szene wird die Komplexität von „Red Dead Redemption 2“ deutlich. Ein monumentales Spiel, das in seiner Fülle, in seiner lebendigen Spielwelt derzeit seinesgleichen sucht. Das sich in einer wuchtigen, blutigen Geschichte seiner eigenen Brutalität bewusst ist. Das aber dennoch vor allem in den Momenten aufblüht, in denen die Spieler entdecken, zuhören, spielen.

Die Geschichte erzählt sich in einzelnen Missionen. Es sind kleine Episoden, teilweise in sich geschlossen, teilweise aneinandergereiht zu einem größeren Erzählstrang angeordnet. So müssen die Spieler etwa einmal Schulden eintreiben. Schnell jedoch wird klar, dass die Schuldner nicht zahlen können, vielmehr sogar arme Schweine sind, total am Ende. Wie gehen die Spieler damit um, schlagen sie zu? Ziehen sie ab? Diese Entscheidungen formen den Hauptcharakter, haben Einfluss darauf, wie er wahrgenommen wird.

"Red Dead Redemption 2" ist ein Road-Videospiel

„Red Dead Redemption 2“ erinnert oft an einen Road-Movie, es ist ein Road-Videospiel, das von der Veränderung, dem Unsteten lebt. Von den vielen skurrilen Charakteren, die in jedem Saloon zu finden sind. Von dem Alltag der Einwohner diverser Dörfer und Städtchen, die ihre Gespräche führen, während sie ihrem Leben nachgehen. Zu all diesen Menschen können sich die Spieler verhalten, mit ihnen interagieren. So haben sie bei jedem Passanten, der ihnen begegnet, die Wahl, ob sie ihm freundlich oder feindlich gegenübertreten. Sie können überlegen, welches Verhalten ihnen gerade einen Vorteil verschaffen würde – dem Metzger gegenüber grob aufzutreten ist nicht hilfreich, wenn man ihm das gerade geschossene Reh verkaufen möchte.

Durch diese Interaktionsmöglichkeiten ist es auch die Spielwelt selbst, die der eigentliche Protagonist des Spiels ist. Diese dichte, lebendige Welt, in der die Spieler sich schon beim Beobachten der vielen Tiere verlieren können. Bei der Abfolge von Tag und Nacht, dem beginnenden Flackern von Kerzen in den Häusern der in der Ferne liegenden Dörfern. Dann wieder gilt es, sich um das eigene Pferd zu kümmern, das nach einem virtuellen Ableben auch nicht wieder auftauchen wird – stattdessen müsste der Spieler sich dann ein neues suchen und eine Beziehung zu diesem aufbauen. Auch möchten die Banden-Mitglieder im Lager etwas zu Essen haben – müssen also zwischendurch ein Reh schießen. Und auch der Bart des Protagonisten will regelmäßig rasiert werden, so ein Wildwuchs im Gesicht steht einem auf Unauffälligkeit bedachten Banditen nicht.

Eine Entschleunigung, die anderen Spielen fremd ist

„Red Dead Redemption 2“ kann ein geradezu meditatives Spiel sein, das zwar immer wieder von abrupten Action-Sequenzen unterbrochen wird, dazwischen aber eine Entschleunigung bietet, die Spielen sonst fremd ist. Ja, man kann einfach von einem Nervenkitzel zum nächsten eilen. Oder aber, man setzt sich auf die Bank vor dem Kleinwarenladen und lauscht den Gesprächen der Anwohner, erfährt so viel mehr über die Spielwelt.

In den besten Momenten emanzipiert das Spiel die Spieler. Befreit sie von den Konventionen eines Videospiels, seinen vielen Hinweisen und Anweisungen, die sonst auf sie einstürzen. Lässt sie eigenbestimmt durch diese Spielwelt stapfen, sie eigenständig entdecken. Da wo das Spiel seine Mechaniken versteckt, es dabei aber umso mehr zu einem Spiel wird, zu einem Ausprobieren dessen, was möglich ist.

„Aeternum habeas requiem – mögest du ewige Ruhe haben“. Damit endet das Requiem Faurés. „Red Dead Redemption 2“ zeigt, dass die Entwicklung der Videospiele noch an keinem ruhigen Ende ist, wir vielmehr an einer Schwelle stehen könnten zu einer weiteren Emanzipation der Spieler – und des Mediums selbst, das nicht mehr den Film braucht, um einen Maßstab zu haben. Es genügt, ein Spiel zu sein. Eines, das eine komplexe Welt bietet, die eine spannende Fragen offen lässt: in was für einer Welt wollen wir eigentlich leben – selbst in einem Spiel?

„Red Dead Redemption“, USK 18, für Xbox One und Playstation 4, ab 59 Euro,

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