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Keine Angst vor Cyberattacken: Die Pussy- Riot-Aktivistinnen Marija Aljochina (li.) und Nadeschda Tolokonnikowa.

© dpa

re:publica: Politisch wie nie zuvor

Die Netzkonferenz re:publica blickt auf Europa und will sich einmischen. Und: Pussy Riot irritieren.

Ihr Auftritt sollte der Höhepunkt des ersten Abends sein, stattdessen wirkten die drei Mitglieder der russischen Aktivistengruppe Pussy Riot reichlich deplatziert: Marija Aljochina kicherte, weil sie das Wort „Youtube“ nicht aussprechen konnte. Nadeschda Tolokonnikowa kicherte, weil sie mit der Hand einen Luftballon weggestoßen hatte. Der Moderator mühte sich um ein intelligentes Gespräch, musste sich zum Dank aber fragen lassen, ob er sich etwa für einen Psychoanalytiker halte. Immerhin: Nein, vor Cyberattacken des russischen Staats fürchteten sie sich nicht. Schließlich würden in ihrer Heimat Oppositionelle auf der Straße erschossen, das sei ja nun schlimmer.

Mit musikalischen Stargästen hat die re:publica wenig Glück: Im Vorjahr geriet der Auftritt von David Hasselhoff zur Lachnummer, diesmal verstörten die Punkmusiker. Das ist sehr schade, weil sich die Netzkonferenz in ihrer neunten Auflage ansonsten hochpolitisch und ambitioniert wie nie präsentierte. Bereits zur Begrüßung hielten die Organisatoren „Welcome“-Schilder in den Händen – die waren nicht für die Gäste gedacht, sondern für die Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa, passend zum diesjährigen Konferenzmotto „Finding Europe“. Mitveranstalter Markus Beckedahl wetterte gegen die Vorratsdatenspeicherung und digitale Spitzelei durch Geheimdienste, befeuert von der jüngsten BND-Affäre. Er komme sich vor wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“: alle Themen seien schon da gewesen, alle diskutiert, problematisiert – und doch aktuell wie nie. In diesem Sinne schickte Beckedahl gleich noch einen Gruß an EU-Digitalkommissar Günther Oettinger: Jemand, der Netzaktivisten mit den Taliban vergleiche, solle sich auf einer Veranstaltung wie der re:publica besser nicht blicken lassen.

Markus Beckedahl würde ungern Günther Oettinger auf der re:publica treffen.
Markus Beckedahl würde ungern Günther Oettinger auf der re:publica treffen.

© dpa

Mehr als 850 Redner aus 60 Ländern treten bis Donnerstagabend auf dem Gelände der Station Berlin auf. Einer, auf den viele gespannt gewartet hatten, war Ethan Zuckerman. Der US-Netzaktivist klagte, dass die Mehrheit seiner Landsleute Politikern, Medien und NGOs misstraue – eigentlich allen großen, bedeutenden Organisationen. Nur dem Militär nicht. Waffen machen glaubwürdig. Und, Überraschung: In Europa verhält sich das kaum anders.

Globales Misstrauen breite sich aus, dennoch sprach Zuckerman von einem „goldenen Zeitalter des Protests“. Niemals sei es so einfach gewesen, Menschen auf die Straße zu bringen, Social Media sei Dank. Diese Proteste seien zwar die größten, die es je gab – aber leider auch die schwächsten, da sie so schnell von der Bildfläche verschwänden, wie sie erschienen. Wie sich das ändern lässt und welche Rolle das Netz dabei spielen kann, darüber wird am Mittwoch weiterdebattiert.

Auf der Nebenbühne lief zeitgleich „Flüchtlinge Willkommen“, im Programm mit Frage- und Ausrufezeichen versehen. Mohamad al Ashrafani berichtete von seiner Flucht aus Syrien; seit acht Monaten wartet er auf die Prüfung seines Asylantrags. Auch das ist „Finding Europe“, außerhalb des Internets – aus einer wenig netzlastigen Perspektive, der die re:publica nun Raum gibt. Viel Lob vom Publikum: Endlich komme ein Betroffener in der Refugee-Debatte zu Wort. Politik ist das Netz, das Netz ist Politik. re:publicas „Finding Europe“ nutzt dieses Potenzial.T. Kerschbaumer, S. Leber

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