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Der ehemalige McKinsey-Manager Herbert Henzler erzählt facettenreich über einsame Spitzenpositionen.

© NDR/Torsten Lapp

Psychische Belastung in der Arbeitswelt: Der Chef in der Klapse

Die ARD-Reportage über die dünne Luft an der Konzernspitze lebt von spannenden Protagonisten.

Der Titel ist hübsch doppeldeutig, aber leider auch die einzige Raffinesse dieses Films: „Einsame Spitze“ ist eine Reportage über das bedauernswerte Schicksal von Führungskräften. Natürlich könnte man einwenden, dass das in der Regel recht ansehnliche Gehalt der vielen Männer und wenigen Frauen auch einen guten Teil Schmerzensgeld enthält, aber das macht die Sache trotzdem nicht erträglicher, wenn man ausgebrannt ist. Dennoch würden vermutlich hunderttausende Menschen, die ihre Haut für einen Bruchteil dieser Gehälter tagtäglich zu Markte tragen, gern mit ihnen tauschen.

Andererseits ist das Phänomen der dünnen Luft an der Spitze großer Konzerne in der Tat noch wenig untersucht, insofern hat Tina Solimans Film durchaus seine Berechtigung, und da ihre Protagonisten ungewöhnlich offen über ihre Erfahrungen sprechen, ist die Dokumentation ziemlich interessant.

Allerdings stellt sich bei Themen dieser Art stets die Frage, wie man sie bebildern soll. Im Grunde ist das Sujet wie geschaffen für eine Printreportage; im Fernsehen wirkt so etwas leicht wie eine Talkshow mit anderen Mitteln. Tatsächlich ist der Autorin nicht sonderlich viel eingefallen, um ihren Film nicht nur aus redenden Köpfen bestehen zu lassen.

Zugvögel vor Abendrot

Hin und wieder verfremdet sie die Aufnahmen durch Unschärfen, um zu verdeutlichen, wie sehr ein Mensch aus der Spur geraten kann, wenn er von Panikattacken heimgesucht wird. Zum Bericht über den Suizid eines Finanzchefs zeigt die Kamera Zugvögel vor Abendrot; das ist zwar kitschig, sieht aber schön aus und passt ja auch irgendwie.

Natürlich dürfen die buchstäblichen Gipfelmotive nicht fehlen: Da ohnehin dauernd davon die Rede ist, kann man die Gesprächspartner ja auch mal in die Berge stellen, schließlich ist die Vorstandsetage, wie der mitunter allzu redselige Kommentar mitzuteilen weiß, „der Himalaya der Arbeitswelt“.

Endgültig zum Malen nach Zahlen wird der Film, wenn der Kommentar berichtet, wie die Karriere eines Unternehmers „ohne Zwischenstopp nach oben“ ging, während der Mann in einem Aufzug nach oben fährt. Später geht es um die Entlassung einer Frau aus dem Siemens-Vorstand, und selbstredend fährt ihr Fahrstuhl nach unten. Die Österreicherin Brigitte Ederer steht für den überschaubaren weiblichen Anteil an den Führungskräften und hat auch zu diesem Aspekt eine interessante Haltung.

„Scheitern ist keine Option“

Die Verpackung ist zum Glück nur die eine Seite des Films. Die andere sind die Gesprächspartner, und die haben so viel zu erzählen, dass ihre Ausführungen die optische Einfallslosigkeit mehr als wettmachen.

Gerade die Männer geben schonungslose Einblicke und sprechen nicht nur über die enormen Erwartungen („Scheitern ist keine Option“) und die Schwächen, die man nicht zeigen darf, sondern auch über den Einfluss des Dauerdrucks auf das Familienleben. Nur wenige bringen offenbar den Mut auf, etwaige psychische Erkrankungen auch im Unternehmen zu kommunizieren („Der Chef ist in der Klapse.“).

Prominenteste Protagonisten und gleichzeitig auch die besten Erzähler sind der frühere Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger sowie der ehemalige Chef von McKinsey Deutschland, Herbert Henzler, zwei ältere Herren, die zumindest den unternehmerischen Teil der Karriere hinter sich haben.

Ihre Ausführungen sind nicht nur fesselnd und facettenreich, sie haben auch einen gewissen Nutzwert für Menschen unterhalb der Führungsetage. Ansonsten aber wirkt der Film über weite Strecken wie einer dieser menschelnden Beiträge zur gefühligen ZDF-Reihe „37 Grad“, weil die allwissende Erzählerin ständig kundtut, was in den Köpfen der Protagonisten vor sich geht.

„Einsame Spitze“, ARD, Montag, 22 Uhr 45.

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