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 Die Entertainer Joko Winterscheidt (2.v.l.) und Klaas Heufer-Umlauf (l) zeigen bei ProSieben ihren neuesten Streich. Nach einer kurzen Einleitung war den Rest der Viertelstunde zur besten Sendezeit das Duo zu sehen, wie es vor weißem Hintergrund wortlos in einer Schlange anstand.

© dpa

"Projekt 0,0 Prozent": Ich schalte dann mal aus

Joko & Klaas machen aus Fernsehen Nicht-Fernsehen und reißen eine wundersame Leerstelle in den Lebensrhythmus. Wie schön. Ein Kommentar.

Horror vacui ist eine Urangst des Fernsehens. Also wird 24/7 in jeder Sekunde der Bildschirm gefüllt, gerne werden in die laufenden Sendungen Trailer, Laufbänder, sprich vielerlei Hinweise eingeblendet, damit der Zuschauer weiß: Dieses supertolle Programm wird vom nächsten supertollen Programm abgelöst. Fernsehen heißt Atemlosigkeit, Dauerpräsenz, Überwältigung, Gute-Laune-Terror.

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Und dann machen Joko & Klaas Nicht-Fernsehen im Fernsehen. Am Mittwoch, von 20 Uhr 15 an, waren die beiden ProSieben-Entertainer zu sehen, wie sie vor weißem Hintergrund wortlos in einer Schlange anstanden. Dazu wurde beunruhigende monotone Synthesizer-Musik eingespielt, per Laufband wurde das Fernsehprogramm der Konkurrenz angepriesen.
Null-Fernsehen, Anti-Unterhaltung, „Projekt 0,0 Prozent“, der Sender ProSieben reagierte mit gespielter Empörung. „Dafür habt ihr gewonnen? DAFÜR? Uns fehlen die Worte“, twitterte der Sender am Abend. Am Donnerstag schrieb ProSieben dann: „War gestern irgendwas? Wir erinnern uns an nichts.“

980 000 Menschen haben eingeschaltet

Doch, da war was. Auf jeden Fall im Schnitt 980 000 Menschen, die sich nicht vergraulen lassen wollten, in der werbetechnisch wichtigen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen lag die Einschaltquote bei guten 13,7 Prozent.
Joko & Klaas haben das Perpetuum mobile angehalten, in die Dauerschleife Fernsehen einen Knoten gemacht. Früher war ja mehr Sendepause, mehr Testbild. Und wenn die Erinnerung stimmt, dann war Bernd das Brot, der bislang Letzte, der im Kinderkanal erkennbar schlecht gelaunt ausgerufen hat: „Schaltet aus!“.
Kann sich das einer vorstellen, dass Judith Rakers zum Ende der „Tagesschau“ das Publikum auffordert, auf „In aller Freundschaft“ zu verzichten?
Nein, dem Fernsehen ist zu eigen, dass es permanente Befriedigung aller möglichen Bedürfnisse verspricht. Alltagsbegleiter, Lebenshelfer, TV-Sozialarbeiter, Anleitung zum Eskapismus, Transporteur von Information, Emotion und Bildung – welches Maß an Verzweiflung würde in diesem Land ausbrechen, wenn Fernsehen zum Nicht-Fernsehen würde. Ein Leben ohne Fernsehen ist möglich, aber ist es nicht zugleich sinnlos?

Aus dem Lebensrhythmus gerissen

Joko & Klaas haben etwas Bemerkenswertes geleistet, sie haben die Zuschauerinnen und Zuschauer aus ihrem Lebensrhythmus gerissen und nicht von frei Ironie ist es, dass sie ausgerechnet mit (Nicht-)Fernsehen eine Leerstelle geschlagen haben. Da konnte jeder, der dabei war, mitmachen. Mal für 15 Minuten darüber nachdenken, ob „Die Glücksspieler“ im Ersten, das Comeback vom heißen Preis bei RTL, ob „TV total“, ein Sammelsurium bescheidener Witzchen, diesen Einsatz von Lebenszeit wert ist. Nun ist nichts gewonnen, noch ist es notwendig, wenn das Fernsehen mit Nicht-Fernsehen verdammt wird. Die Entscheidung zum Einschalten ist freiwillig, unverändert gilt die Erkenntnis: Jeder kann mit dem Medium dümmer oder schlauer werden. Das "Projekt 0,0 Prozent“ hat einen Punkt gegen Ritual und Gewohnheit gemacht. Eine weiße Leinwand an der weißen Wand ist eine Provokation, schnell kann sie mit eigenen Gedanken gefüllt werden. Oder betrachten Sie mal einen ausgeschalteten Bildschirm. Einschalten oder...

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