zum Hauptinhalt

Premium-TV: Kate Winslet kostet

Woanders staunen: Viele herausragende Serien aus den USA und England laufen hierzulande oft nur im Bezahlfernsehen oder auf Nischenkanälen. Sind sie einfach zu gut für das deutsche Hauptprogramm?

Walter White aus Albuquerque, New Mexico, ist ein sanfter und zurückhaltender Mann. Er arbeitet als Chemielehrer an einer Highschool, doch reicht sein Gehalt kaum, um seine Frau und seinen behinderten Sohn zu versorgen. Dann wird bei Walter auch noch Lungenkrebs diagnostiziert. Um seine Familie nach seinem Tod finanziell abzusichern, beginnt Walter, in seinem Labor Rauschmittel herzustellen – aus dem braven Lehrer wird ein Drogenbaron.

Walter White (Bryan Cranston) ist eine der faszinierendsten Figuren, die die an Antihelden nicht gerade arme amerikanische Serientradition hervorgebracht hat. Zu sehen ist seine Geschichte in „Breaking Bad“, das modernes Fernsehen für Erwachsene ist: realitätsnah im US-mexikanischen Grenzgebiet angesiedelt, blutig und konsequent. Mit schwarzem Humor und aberwitzigen Einfällen machen sich die Autoren über das viel beschworene Familienideal her. Selten war der Blick in die menschlichen Abgründe spannender, böser und zugleich komischer als in diesem Serienjuwel von Vince Gilligan („Akte X“) für den US-Kabelsender AMC. Am heutigen Dienstag ist die dritte Staffel erstmals im deutschen Free-TV zu sehen – erneut bei Arte, wo bereits die ersten beiden Staffeln liefen.

Nur wenige der besten angelsächsischen Serien schaffen es in die deutsche Primetime. Zu speziell, zu realistisch, zu düster, zu vielschichtig, zu teuer – Gründe finden sich immer. Oder sind sie einfach zu gut für die deutschen Hauptprogramme? Ausländische Serien sind fast ausschließlich Sache der Privatsender, die sich im Wesentlichen auf die Genres Krimi, Krankenhaus und Comedy beschränken. Die ARD hat im Sommer zwar das BBC-Vergnügen „Sherlock Holmes“ getestet, doch nun wird wieder fleißig getalkt. Und der Sonntagabend im ZDF entwickelt sich zur skandinavischen Monokultur, „Mad Men“ durfte nur den Spartenkanal ZDFneo aufwerten. Serienfreaks versorgen sich natürlich mit DVDs oder nutzen die Möglichkeiten des Internets.

Was der Masse des Publikums da entgeht, war gerade bei der „Cologne Conference“, dem Kölner Film- und Fernsehfestival, zu bestaunen. Etwa „Mildred Pierce“, ein Frauenporträt aus den 30er Jahren. Mildred (Kate Winslet), von ihrem untreuen Mann verlassen, sitzt allein da mit zwei Töchtern mitten in der Großen Depression. Sie träumt von einem eigenen Restaurant, erlebt Glück und Tragödien, es ist die Geschichte eines amerikanischen Jahrzehnts. Als Todd Haynes den Roman „Mildred Pierce“ von James M. Cain aus dem Jahr 1941 las, „dachte ich, ich lese etwas über die Gegenwart“. Das war 2008, zu Beginn der Finanzkrise.

Haynes (50) ist ein namhafter Vertreter des unabhängigen Films in den USA und wurde bereits zwei Mal für den Oscar nominiert („I'm Not There“, „Far From Heaven“). Um „Mildred Pierce“ zu verfilmen, arbeitete er erstmals fürs Fernsehen, für HBO, den US-Bezahlsender, der sich mit innovativen Serien wie „Die Sopranos“ und „Six Feet Under“ einen Namen gemacht hat. „Ich mag die verschiedenen Aspekte dieser langen Form des Erzählens“, sagte Haynes in Köln ziemlich unaufgeregt. Bei der „Cologne Conference“ war „Mildred Pierce“ in der Top-Ten-Reihe gezeigt und als beste unter den zehn besten von einer Jury ausgewählten internationalen TV-Produktionen ausgezeichnet worden.

Dabei mutet die fünfeinhalbstündige Miniserie geradezu altmodisch an. Mit Ruhe und Sorgfalt entfaltet Autor und Regisseur Haynes den Charakter dieser Mittelschichtsfrau, ihren Stolz und ihre Hartnäckigkeit: literarische Feinkost als epische Fernseherzählung. Die Britin Kate Winslet, die am 5. Oktober 36 Jahre alt wurde, gewann gerade einen der insgesamt fünf für die Serie vergebenen Emmys – auch für eine enorme Fleißarbeit: Es gibt in allen fünf Folgen keine einzige Szene ohne Mildred Pierce.

Einen weiteren Preis in Köln erhielt der britische Drehbuchautor Paul Abbott, der sich einst für „Cracker“ (in Deutschland: „Für alle Fälle Fitz“) den brillanten Psychologen-Fiesling Dr. Edward Fitzgerald ausgedacht hatte. In der Top-Ten-Reihe lief Abbotts Miniserie „Exile“, ein dreistündiges, fesselndes Drama um einen Journalisten, der seinen Job verliert und zu seinem an Alzheimer erkrankten Vater zurückkehrt. Der Vater war einst selbst Journalist, und nun versucht der Sohn bei ihm die Erinnerung an eine nicht zu Ende geschriebene Skandalgeschichte zu wecken. „Wir alle werden von den amerikanischen Autoren beeinflusst. Die schreiben wirklich außerordentliche Serien“, sagte Abbott in Köln. Allerdings beeinflusst der 51-Jährige auch den amerikanischen Markt: Eine US-Version seiner seit 2004 laufenden Serie „Shameless“ über eine Unterschichtsfamilie in Manchester wird seit diesem Jahr im US-Bezahlsender Showtime ausgestrahlt.

Dass nun alles heil wäre im angelsächsischen Serienparadies, wollte Abbott aber nicht unterschreiben. Die vergangenen Jahre seien desaströs gewesen, sagte er. Soziale und politische Konfliktthemen seien nicht mehr gefragt. Die Welt da draußen sei schlimm genug, heiße es bei Sendern und Produzenten. „Wir verlieren die Glaubwürdigkeit beim Publikum, wenn wir nicht mehr zeigen, wie die Welt wirklich ist“, erklärte Abbott.

Dass aber aus lauter Furcht und Finanznot gar nichts Ambitioniertes mehr produziert würde, scheint auch nicht zu stimmen. Die BBC dominierte die Top-Ten-Reihe mit vier weiteren Serienprogrammen neben „Mildred Pierce“ und „Exile“. In Deutschland kommt von all dem nicht allzu viel an. Allein die siebenteilige Krimi-Serie „The Shadow Line“ wird ab November beim Pay-TV-Sender RTL Crime zu sehen sein. Auch „Mildred Pierce“ – Kate Winslet hin oder her – schafft es nur in die digitale Nische, ab März in den Spartensender TNT Serie.

Als Trost bleibt immerhin „Breaking Bad“. Aus Kostengründen wurde eine Folge der dritten Staffel ganz ohne Außendrehs produziert. Eine Folge lang sieht man Chemielehrer Walter White und seinen Gehilfen in ihrer Drogenküche, einem Wohnwagen, wo eine Fliege die beiden Hexenmeister nervt.

„Breaking Bad“, Arte, 22 Uhr 20

Zur Startseite