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Medien: Premiere World: Unser Wickert ist ein Roboter

Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen so fernsehen, wie Michael Werber es will. Vielleicht in fünf, vielleicht in zehn Jahren, so genau weiß er das noch nicht, aber er weiß, wie sie sein wird, die Zukunft des Fernsehens: interaktiv.

Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen so fernsehen, wie Michael Werber es will. Vielleicht in fünf, vielleicht in zehn Jahren, so genau weiß er das noch nicht, aber er weiß, wie sie sein wird, die Zukunft des Fernsehens: interaktiv. Werber redet davon, dass die Menschen irgendwann über ihren Fernseher E-Mails schreiben, Pizza bestellen, Reisen buchen. "Daran arbeiten wir hier, das wird kommen." Es klingt fast wie eine Drohung.

Michael Werber, 33, Geschäftsleiter Online & Interactive beim Pay-TV-Sender Premiere World, lächelt. Natürlich sei das ein Versprechen, ein großartiges Versprechen, eines, das die Art, wie wir mit dem Fernseher umgehen, für immer ändern wird. Werber verspricht die Revolution. Wobei sie dieses Wort hier nicht gerne hören. Bei Premiere World sagt man lieber "Evolution".

In Werbers Büro, das aussieht wie ein Büro und nicht wie ein Geheimlabor, werden diese neuen Methoden entwickelt, am Schreibtisch, am Konferenztisch, auf Zetteln, in den Köpfen. "Wir stellen uns hier einfach die Frage: Was wünschen wir uns vom Fernsehen?" Michael Werber schaut, wenn er redet, wie einer, der sich freut über die eigenen Ideen, wie ein kleiner Junge. Dabei ist Werber ein Baum von Mann, ein Macher. Er redet schnell, viele Anglizismen, viel Technik, aber was er sich wirklich wünscht, das sagt er nicht. Werber bleibt lieber allgemein: "Wir arbeiten daran, das TV-Gerät zum digitalen, interaktiven Tor zur Welt zu machen." Nur gerade jetzt nicht. Jetzt hat man andere Sorgen bei Premiere World.

Vor drei Stunden sind zwei Flugzeuge in das World Trade Center gestürzt. Und Michael Werber muss die Internetseite von Premiere World entschärfen, Gewinnspiele und allzu Lustiges sind jetzt nicht angebracht. Rund 30 digitale Programme des Senders werden hektisch durchsucht nach allem, was man jetzt nicht mehr zeigen kann. "Turbulence II, Angst vorm Fliegen", "Endstation Hölle", "Raketen auf Washington" werden aus dem Programm genommen, die Frequenz von Premiere 3 wird für den Nachrichtensender N 24 frei geräumt. Man wartet auf die Entscheidung der Uefa, ob die Spiele der Champions-League stattfinden. Sondersendungen werden auf Discovery Chanel geschaltet. "Fast wie beim richtigen Fernsehen", sagt Michael Werber.

Daran, dass hier, in der Medienallee in Unterföhring, nordöstlich von München, auch "richtiges Fernsehen" gemacht wird, erinnert allerdings wenig. Höchstens die Sendezentralen von Pro 7 und Kabel 1 oder die Reisebusse, die Talkshowtouristen in die Studios von Arabella karren. Neben Kuhwiesen und der S-Bahn zum Flughafen hat Leo Kirch, dem Premiere World gehört (und Pro 7 und Kabel 1 und Sat 1 und noch so einiges), seine Kommandozentralen zur Eroberung der deutschen Fernsehzuschauer hingebaut. Große Bürokomplexe; die 2000 Mitarbeiter von Premiere World verteilen sich auf drei Gebäude. Pförtner kontrollieren die Eingänge, die Türen lassen sich nur durch Magnetkarten öffnen. Wer hier nichts zu suchen hat, kommt auch nicht rein, am allerwenigsten in das BetaDigital-Playout Center, das Herz aller Kirchsender.

Dieses Playout Center muss man sich als eine riesige Abspielstation vorstellen, einen überdimensionalen Videorekorder, in den unzählige Kassetten passen. Hier wird das Fernsehen der Zukunft gemacht, nicht in irgendwelchen Studios, sondern in fensterlosen Räumen, in denen es aussieht wie in einem James-Bond-Film, wie im Keller von Dr. No: An den Wänden hängen hunderte von Monitoren, auf denen die Programme laufen, die gerade gesendet werden. Vor den Monitoren stehen bananenförmige Schreibtische mit Computern und noch mehr Monitoren, auf Schaltpulten leuchten kleine Lämpchen und Zahlen und Buchstaben. Draußen, vor dem Playout Center, stehen gigantische Parabolantennen, um das, was hier gemacht wird, in die Welt hinauszuschicken. Dafür braucht man keine Journalisten oder Moderatoren, auch keine Kameramänner oder Aufnahmeleiter. Dafür braucht man Techniker, Menschen mit der Berufsbezeichnung "Sales & Marketing Director" oder "Director of Operation". Und einen Roboter, der die Kassetten, auf denen das Programm drauf ist, in Abspielgeräte steckt. Manche im Playout Center sagen, dass der Roboter der wichtigste Mitarbeiter sei. Es hört sich nicht wie ein Witz an.

Das ist das Problem von Premiere World. Deshalb stagniert der Sender bei zweieinhalb Millionen Kunden, deshalb starten sie im Oktober eine neue Preisoffensive. Denn es ist eben kein Witz, dass eine Maschine das Programm von Premiere World macht. Der Sender wirkt leblos, kühl, arrogant, unnahbar. Die ARD hat Wickert, Christiansen, den Tatort; das ZDF hat "Wetten, dass"; RTL hat Günther Jauch. Premiere World hat einen Roboter. Und Leo Kirch.

Das ist das andere Problem. Leo Kirch mag in Deutschland fast keiner. Er ist steinreich, Gründer der Kirch-Gruppe, mehr weiß der normale Zuschauer nicht. Kirch-Gruppe, das hört sich ein bisschen an wie Cosa Nostra, und Kirch wäre dann der Pate, der Gottvater. Leo Kirch tut nichts gegen sein Image: Er gibt keine Interviews, er tritt in der Öffentlichkeit so gut wie nie auf, dabei beschreiben ihn die, die ihn mal erlebt haben, als charmant und eloquent. Aber für die meisten bleibt er eben immer der erzkatholische, menschenscheue Münchener Filmhändler, der Mann, der den Deutschen ihr liebstes Spielzeug weggenommen hat, den Fußball. Der Mann, der bestimmt, was die Deutschen wann sehen dürfen und wie viel sie dafür bezahlen müssen.

Zu viel, sagen die meisten. Stimmt nicht, sagt Dirk Heerdegen, der Unternehmenssprecher: " Wir bieten ein faires Modell, man zahlt direkt für das, was man sehen will, ohne Umwege." Heerdegen glaubt, dass auch das Fernsehen ein Lernprozess ist. In den 80er Jahren zum Beispiel hat man gelernt, dass Filme mit Werbung unterbrochen werden, dass Nachrichten News heißen, dass in manchen Talkshows Verrückte sitzen. All das haben die Deutschen schließlich gelernt. "Der Neue in der Klasse wird immer skeptisch angeschaut." Und dann erzählt Heerdegen noch, wie fassungslos seine Freunde waren, als er ihnen sagte, dass er zu Premiere World geht.

In der vergangenen Woche hat Kirch einen leitenden Angestellten verloren und einen taktischen Rückzug angeordnet. Wer weiß, vielleicht war es die Woche der Wende, einer Wende zum Erfolg sogar. Manfred Puffer, der Chef von Premiere World, hat den Sender im Streit verlassen. Und die großen deutschen Programm-Produzenten haben sich auf eine gemeinsame Decoder-Technik geeinigt, Kirch hat auf sein Monopol verzichtet. Alle dürfen jetzt mitspielen. Das Publikum soll mehr digitales Fernsehen geboten bekommen, die Verlockung soll wachsen. Am Ende werden die Kunden ja doch nicht an Kirch vorbeikommen. Ein Sieg des digitalen Fernsehens kann nur ein Sieg für Leo Kirch sein.

Am Mittwochabend, dem 12. September 2001, einen Tag nach der Katastrophe, zeigte Premiere World auf dem ersten Sportkanal, dort, wo das Spiel Feyenoord Rotterdam gegen Bayern München hätte laufen sollen, einen schwarzen Bildschirm mit weißer Schrift, drei Stunden lang. "Angesichts der Terroranschläge in den USA wurden alle für heute angekündigten Spiele der Uefa-Champions-League abgesagt." Die Zukunft des Fernsehens wurde durch die Gegenwart gezwungen, ein Bild aus der Vergangenheit zu zeigen. Diesmal.

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