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Für Westdeutsche war ein Besuch West-Berlins quasi staatsbürgerliche Pflicht. Auf dem Motiv von 1970 darf das Brandenburger Tor mit der Mauer nicht fehlen.

© MfK

Postkarten-Ausstellung in Berlin: „Unanständige Form der Mitteilung“

Seit 150 Jahren werden Postkarten verschickt. Eine Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation fördert auch Bedenkliches zutage.

Ob Urlaubsgruß, Werbung, Unterhaltung oder Propaganda: Die Postkarte ist in den 150 Jahren seit ihrer Erfindung schon Medium für vieles gewesen. In Zeiten von Whatsapp & Co. ist es kaum mehr vorstellbar, dass das kleine Stück Papier früher einmal das Mittel der Wahl war, um sich schnelle Botschaften zu schicken – und doch begründete dies ihren Anfangserfolg.

Im Berliner Museum für Kommunikation ist die erste weltweit verschickte Postkarte zu sehen. Sie diente der Verabredung eines Besuchs und wurde am 1. Oktober 1869 im damaligen Österreich-Ungarn von Perg bei Linz nach Kirchdorf geschickt.

Das Museum feiert den runden Geburtstag ab Mittwoch mit der Ausstellung „Mehr als Worte. 150 Jahre Postkartengrüße“ [„Mehr als Worte. 150 Jahre Postkartengrüße“. Bis 5. Januar 2020. Museum für Kommunikation Berlin, Leipziger Straße 16. Dienstag, 9 bis 20 Uhr, Mittwoch bis Freitag 9 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertage 10 bis 18 Uhr; mehr Infos unter www.mfk-berlin.de].

Zu sehen sind rund 500 Exemplare: reine Textkarten, wie sie zu Beginn üblich waren, aber auch neuere Urlaubs- oder Jux-Motive. Postkarten spiegelten als Medium stets auch die Gesellschaft.

Dazu gehört Erotik ebenso wie zensierte Lebenszeichen aus Konzentrationslagern. Selbst Nachrichten wurden früher noch nach wenigen Tagen auf Postkarten gebannt. So wird in der Schau eine Karte ausgestellt, die den Brand des Hamburger „Michels“ im Jahr 1906 zeigt.

Der Erfolg der Postkarte sei schnell gekommen, erzählt Sammlungsleiter Veit Didczuneit. In den ersten drei Monaten nach ihrer Einführung wurden in Österreich bereits drei Millionen Stück verschickt. Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 schrieben Soldaten und ihre Angehörigen die „Correspondenz-Karte“ millionenfach als kostenlose Feldpostkarte.

Dabei hatten Kritiker am Anfang durchaus Bedenken. Von einer „unanständigen Form der Mitteilung auf offenem Postblatt“ war die Rede. Man befürchtete zurückgehende Einnahmen der Post, dass die Dienerschaft Nachrichten an die Herrschaft lesen könnte und dass die Postkarte der „Totengräber des Briefes“ sein würde, sagt Didczuneit.

„Guten Abend!“ und „Gute Nacht!“

Die Vorteile lagen allerdings auf der Hand: Postkarten trafen den Nerv der Zeit, sie erfüllten anders als der strengere Brief ein Bedürfnis nach vereinfachtem und raschem Informationsaustausch, wie der Sammlungsleiter erläutert.

Auch Unternehmen erfreuten sich der neuen Möglichkeiten. Mit fünf Pfennig kostete die Karte nur halb so viel Porto wie der Brief. Selbst mit den zusätzlichen Kosten für die Karte von zehn bis 20 Pfennig war sie unschlagbar günstig. Beim damals noch üblichen Telegramm wurden dagegen laut Didczuneit für ein einziges Wort schon fünf Pfennig fällig.

Dass die Postkarte auch als schnelles Medium nutzbar war, dafür sorgten die Zusteller, die zu Hochzeiten in der Kaiserzeit in Großstädten mehrmals am Tag auslieferten.

Am 22. Juni 1904 erhielt etwa ein „Fräulein Anna“ von einem Verehrer – beide lebten in Karlsruhe – vier Postkarten an einem Tag. Jeweils zur passenden Tageszeit hieß es „Guten Morgen!“, „Guten Tag!“, „Guten Abend!“ und „Gute Nacht!“, garniert mit einem Liebesgruß.

Den wahren Durchbruch brachte indes noch etwas anderes. „Die Postkarte kam zum Erfolg, indem sie zur Ansichtskarte wurde“, meint der Museumsexperte. Auf der Adressseite aufgeklebte Bildchen kurbelten schnell den Verkauf an, wurden immer größer, bis sich das Aussehen der Postkarten der heutigen Form annäherte.

Die Bilder wanderten zunächst auf die Mitteilungsseite, bevor sich – in Deutschland ab 1905 – die geschriebene Mitteilung auf einer Seite den Platz mit der Adresse teilen musste.

Inzwischen ist die Bedeutung der Postkarte jedoch gesunken. Beförderte die Bundespost 1982 noch 877 Millionen Stück, waren es zuletzt meist deutlich weniger als 200 Millionen im Jahr. Doch auch in Zeiten von Messenger-Apps schicken einer Bitkom-Umfrage zufolge noch 55 Prozent der Deutschen aus dem Urlaub eine Karte.

Glaubt man Witzen, gelten die Deutschen indes nicht nur als Reise-, sondern auch als Postkartenweltmeister. Kurator Didczuneit weiß einen: „Herr und Frau Müller kommen in den Himmel. Was machen sie? Sie verlangen nach Ansichtskarten, um nach Hause zu schreiben.“ Alexander Riedel (KNA)

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