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Porträt: Heimatrettung

Georgios Pappas deutet als Deutschland-Korrespondent des griechischen Fernsehens das Euro-Orakel von Berlin.

Wie alle Griechen wartet Georgios Pappas derzeit auf Hilfe aus Deutschland. Nur, dass er von den Deutschen keine Milliarden will, sondern einfach nur einen Telefonanschluss für sein neues Büro. Zehn Tage soll es dauern, bis Pappas endlich wieder telefonieren kann, auch ins Internet kommt er so lange nur mit dem Handy. Es ist eine mittelschwere Katastrophe, denn Pappas ist Deutschland-Korrespondent für den größten griechischen Fernsehsender ERT (Ellinikí Radiofonía Tileórasi) und die auflagenstärkste Tageszeitung „Ta Nea“ („Die Nachrichten“). „Ein Journalist ohne Internet?“, fragt Pappas, und gibt die Antwort gleich selbst: „Das geht doch gar nicht.“

Doch, es geht. Nicht gut, wie ein Land ohne Geld, aber irgendwie funktioniert es. Per Handy gibt Pappas in diesen Tagen drei Mal täglich den neusten Stand in Sachen Griechenlandrettung durch – live in den griechischen Nachrichten. Morgens, nachmittags, abends, ständig muss er erklären, was die Deutschen vorhaben. Was in Berlin Griechenlandrettung heißt, ist in Griechenland Heimatrettung.

Wenn Pappas im Fernsehen spricht, sehen die Griechen nur sein Foto, ein Mann Anfang 50 mit schlanker Nase und grau gewellten Haaren. ERT ist Staatsfernsehen und Live-Schalten sind zu teuer. Georgios Pappas ist so etwas wie ein Orakel, er kennt die Zukunft seines Landes als Erster, weil sie anderswo entschieden wird. Nämlich hier, direkt gegenüber von seinem neuen Büro. Der Ausblick ist toll: Kanzleramt, Paul-Löbe-Haus, und – mit ein wenig Verrenkung – die Kuppel des Bundestages, heute samt millimeterdünner Schneeschicht. Trotzdem ist er noch nicht so richtig warm geworden mit diesem Raum, die Heizung macht, was sie will, und ausgepackt hat er auch noch nicht alles. Das Billy-Regal ist ziemlich leer, aber ein Habermas steht schon drin, der hat Gewicht: „Zur Verfassung Europas“. Daneben steht ein noch dickeres Buch: „Hellas verstehen“ .

Pappas tippt gerade Themenvorschläge für die Zeitungsredaktion, nicht alle drehen sich um den Euro, aber alle haben irgendwie mit ihm zu tun, etwa die Migration von gut ausgebildeten Griechen nach Deutschland. Auch das von deutschen Politikern geforderte NPD-Verbot interessiert die Griechen, weil seit Neuestem auch in Athen Neonazis im Parlament sitzen. Via Handy fliegen die Mails langsamer als sonst nach Griechenland. Während Pappas wartet, lässt er eine alte Zwanzig-Lepta-Münze um den Finger kreisen, die an seinem Schlüsselbund hängt. Bevor es den Euro gab, waren 100 Lepta eine Drachme. Ginge es nach Markus Söder von der CSU oder Frank Schäffler von der FDP, würde Pappas bald wieder damit bezahlen können.

Frank Schäffler ist bei Weitem nicht der Einzige, der Griechenland aus der Euro-Zone haben will, aber er ist der Lauteste. „Ich weiß nicht, wie viele Deutsche den Namen Frank Schäffler kennen“, sagt Pappas. „Ich weiß nur, dass ihn fast jeder Grieche kennt.“ In Griechenland gebe es die Tendenz, sagt er, den Deutschen zu sehen, nicht den FDPler, der aus innenpolitischem Kalkül heraus auf die Arbeitsmoral der Griechen schimpft. Georgios Pappas steht zwischen den Fronten, er muss vermitteln. Manchen Politikern wirft er „interkulturelle Inkompetenz“ vor, nicht nur den Hardlinern. Kürzlich sprach CDU-Fraktionschef Volker Kauder davon, wir Deutsche müssten die Wettbewerbsfähigkeit aller europäischen Länder erhöhen. „Wir müssen“, wiederholt Pappas, „in allen europäischen Ländern“. Diese Wortwahl zeige die deutsche Dominanz, sagt er. Da bekämen viele Europäer Angst.

Die Mails sind raus, dann muss er runter ins Erdgeschoss, wo die Pressekonferenz der Bundesregierung stattfindet. Die Moderatorin ist bemüht, alle Anwesenden mit Namen anzusprechen. Das klappt nicht bei jedem, ist bei Herrn Pappas aber kein Problem. Er ist immer da, schließlich geht es um die Zukunft seines Landes.

Griechenland ist Punkt drei der Tagesordnung, gleich nach dem israelischen Siedlungsbau und den deutschen Panzerverkäufen an Saudi-Arabien. Georgios Pappas beugt sich zum Mikrofon und fragt, warum die Kanzlerin im jüngsten Interview einen Schuldenschnitt nicht mehr ausschließe. Die Frage geht an den rotwangigen Regierungssprecher Steffen Seibert. Bei allem Respekt, antwortet Seibert, Pappas habe die Kanzlerin wohl falsch interpretiert. Das Wort „Schuldenschnitt“ sei in ihrer Antwort nicht einmal vorgekommen. Pappas hakt nach, stellt dieselbe Frage noch einmal mit anderen Worten. Seibert sagt, Herr Pappas sei wohl etwas zu fantasievoll, bei allem Respekt. Andere Journalisten springen Pappas zur Seite, sie sagen, sie hätten die Kanzlerin genau so verstanden. Seibert wiegelt ab, dann sind andere Themen dran.

Kaum ist die Pressekonferenz beendet, steht Pappas schon vorn, lehnt auf dem Tisch der Sprecherin des Finanzministeriums. Vielleicht bekommt er noch einen Halbsatz, der sich auf dem Flug nach Griechenland in eine große Nachricht verwandelt. Hier auf der Pressekonferenz wird klar, dass nicht Georgios Pappas das Orakel ist, sondern die Regierungssprecher. Sie sagen Sätze, die nichts zu bedeuten scheinen, das haben sie lange geübt. Aber manchmal haben diese Sätze eine kleine Unebenheit, an der sich die Journalisten festfragen, die sie auslegen können. Das ist ihr Job. In ein paar Stunden, in den 20-Uhr-Nachrichten von ERT, wird Georgios Pappas seinen Landsleuten wieder erzählen, was das Orakel von Berlin heute über ihre Zukunft gesagt hat.

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