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Peter Kurth (Szenenfoto aus "1929 - Das Jahr Babylon")

© rbb/zero one film GmbH

Polizist aus "Babylon Berlin": Peter Kurth – der späte Star

Nach langer Bühnenrundreise ist Peter Kurth Schauspieler der Stunde, ob in „Babylon Berlin“ oder im Deutschen Theater.

Peter Kurth hat zweieinhalb Minuten. In dieser Zeit, so sagt sein Regisseur, solle er zeigen, was seine Figur zwischen den Monologen noch alles machen könne. Ohne Requisiten, aber mit Geräuschen. Peter Kurth steht auf der Bühne, Licht erhellt sein Gesicht, er beginnt. Er pfeift wie ein Wasserkocher. Er quietscht wie eine Tür. Er jault wie ein Hund. Das Leben erwacht.

Am Deutschen Theater in Berlin probt er das Stück „Die stillen Trabanten“ nach dem Roman von Clemens Meyer. Darin spielt er einen Wachmann, der in der Dunkelheit, von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens, seine Runden um ein Flüchtlingsheim dreht. Seit Jahrzehnten arbeitet sein Held im Wachschutz, er ist in diesem Job einsam und alt geworden. „Die Nächte waren öde und endlos“, liest Kurth aus dem Text, „sie waren wie dunkle Tage, die sich berührten, und als sie aufhörten, öde zu sein, wurden sie noch endloser und dunkler ...“

Schon nach diesen ersten kurzen Zeilen glaubt man, dem Leben des fremden Mannes nah zu sein. In seiner Erinnerung, seiner Traurigkeit, seiner Sehnsucht. Wer die Stimme von Peter Kurth kennt, weiß um ihre Wirkung. Es ist, als würde sie in ihrer Mischung aus mecklenburgischer Nasalität und Tiefe den gebrochenen Charme aller seiner Charaktere tragen. Sie kann stark sein wie ein Fels und sensibel wie ein Fisch.

Newcomer des deutschen Films

Peter Kurth ist 61 Jahre alt und trotzdem so etwas wie ein Newcomer des deutschen Films. Seit er vor zwei Jahren mit dem Kinofilm „Herbert“ den Deutschen Schauspieler- und Filmpreis gewann, spielt er in den ganz großen Produktionen mit. „Tatort“, „Die Protokollantin“, „Babylon Berlin“. Wie ein Blitzgewitter scheint sich der Erfolg über ihm entfacht zu haben. Aber er ist das Ergebnis eines langen Weges, der sich auch an den Stationen festhalten lässt, die ihn kreuzten: Güstrow, Goldberg, Schwerin, Rostock, Magdeburg, Stendal, Chemnitz, Leipzig, Hamburg, Berlin, Stuttgart. Seine Vita liest sich wie ein deutscher Reiseroman.

Er kommt zu Fuß in ein Café in Prenzlauer Berg. Hemd, leichte Jacke, die Haare zurückgekämmt. Er setzt sich seitwärts auf den Stuhl, sodass man ihn oft nur im Profil sehen kann. Charakterkopf mit großer Nase. Er ist erkältet, weshalb er einem bei der Begrüßung lieber nicht die Hand gibt. Kaffee, Zigarette, Spekulatius. „Hmmmh“, schwärmt er und denkt an Weihnachten. Gerade ist er aus Frankfurt am Main gekommen, wo er mit Ulrich Tukur einen neuen „Tatort“ gedreht und darin einen Museumsdirektor gespielt hat. „Tukur-,Tatorte‘ sind ja sehr speziell“, sagt er. „Es hat sehr viel Spaß gemacht, ein bisschen Schießen und so.“

1957 wurde er in Güstrow geboren. Zwölf Jahre nach Kriegsende, ein Jahr nach der Gründung der Nationalen Volksarmee und vier Jahre vor Mauerbau. In Goldberg wuchs er auf. Diesen Ort nennt er scherzhaft „Die Stadt der drei Lügen“. Dort gebe es weder Gold noch Berge, und es sei auch keine Stadt, sagt er. Aber Goldberg hatte ein Kino. Und jeden Sonntag, Mitte der 60er Jahre, um 14 Uhr 30, saß Peter Kurth dort und schaute sich einen Film an. Bei Regen, Schnee, Sonne. „Dick und Doof“, drei Folgen hintereinander, oder aber zum zwölften Mal „Der Kapitän vom Tenkesberg“. Dieser Mantel- und Degenfilm aus Ungarn war sein Lieblingsfilm. Er erzählt die Geschichte vom ungarischen Robin Hood, dem „Kapitän“, der Anfang des 18. Jahrhunderts sein Land von den Habsburgern befreien will. Einer der Bauern ist Jakob Buga, ein braver und ehrlicher Mann mit Zwirbelbart und Pelzmütze, der jeden bekämpfen kann, weil er die Kunst der Waffen virtuos beherrscht: Peitsche, Messer, Axt. Peter Kurth sagt, dass dieser Jakob Buga wohl der Auslöser für seinen Beruf gewesen sei. Er wollte so sein wie er.

Kein großer Erzähler

Jetzt, 50 Jahre später, kann sich der Schauspieler gar nicht mehr daran erinnern, wie viele Rollen er schon gespielt hat. Er mag seine Figuren auch nicht erklären. Er ist eigentlich kein großer Erzähler und eher zurückhaltend, wenn es um seine Privatsphäre geht. Mitunter klingen seine Sätze, als würde er sie gerade aufschreiben: langsam und verschlungen. Manchmal wundert er sich, was er doch ausplaudert. Dann sagt er: „Das wird gestrichen“ oder „Das wird aber nicht gedruckt“. Dabei hebt er seinen Zeigefinger wie früher der Lehrer und lächelt verschmitzt. Seinen Beruf beschreibt er einmal so: „Ich vermiete mich und mein Gesicht, wenn Leute es brauchen.“

Es war die Nationale Volksarmee, die Peter Kurth zur Schauspielerei führte. Nach dem Abitur ging er als Panzerfahrer nach Schwerin. Wer Jakob Buga verehrt, wird kein Mann der Leichtpistole. Drei Jahre lang fuhr er mit 750 PS unterm Hintern durch Wald und Wasser, über Wiesen und Äcker. Er fand es nie langweilig, aber wenn er heute zurückschaut, fragt er sich: Warum? In dem Hochglanzmagazin „Armeerundschau“ entdeckte er eine Anzeige der Leipziger Schauspielschule, die nach neuen Studenten suchte.

Er redet nicht viel über seine Studienzeit. Er verbrachte sie in Rostock, nachdem er in Leipzig abgelehnt worden war. „Draußen habe ich mehr gelernt“, meint er. Draußen. Das war die DDR mit 100 000 Quadratkilometern Fläche, 16 Millionen Einwohnern und mehr als 200 Theatern in 80 Städten. Das Deutsche Theater in der Hauptstadt war der Olymp. Dort wollten alle hin, auch er. Aber wer nicht von der renommierten Ernst-Busch-Schule in Berlin, sondern aus Rostock kam, musste kämpfen, sagt Peter Kurth. Seine erste Station war das „Theater für junge Zuschauer“, ein Kinder- und Jugendtheater in Magdeburg. Dort spielte er sich den Arsch wund, wie er sagt. Russische Märchen und tschechische Mythen. Schulklassen und Familien. Hansakekse und Erdnussflips. Er war der Held für kleine Leute: groß und stark, mit Bart, tiefer Stimme und einem Hühnerbein zwischen den Zähnen. Er sagt, er habe in dieser Zeit gelernt, zu sich selbst zu stehen. Oder anders ausgedrückt: „Egal, an welchem Theater man spielt, man muss einen Stolz für seinen Beruf haben.“

Halb Ost, halb West

Jeder Schritt in seine Zukunft wirft auch einen Blick in seine Vergangenheit. In drei Jahren wird Peter Kurth jeweils die Hälfte seiner Karriere an Theatern im Osten und Westen des Landes verbracht haben. Man könnte sein Leben anhand von Zahlen erzählen, seit 37 Jahren steht er auf der Bühne, jede neue Spielzeit zwei neue Rollen. Oder mit den Häusern, an denen er spielte, Theater der Altmark, Thalia Theater, Staatsschauspiel, Maxim Gorki Theater. Man könnte es am Beispiel seiner Figuren erzählen, „Bahnwärter Thiel“, „Galilei“, „Onkel Wanja“, „Nathan der Weise“. Wie ein Wanderer, sagt Peter Kurth, habe er jede Erfahrung in sein „Ränzlein“ gepackt.

Seitdem das neue Jahrtausend angefangen hat, dreht er auch fürs Kino und Fernsehen. Richtig wahrgenommen hat man ihn dort vor drei Jahren. In dem Film „Herbert“ von Thomas Stuber spielte er die Hauptrolle, einen in die Jahre gekommenen Boxer, der seinen letzten Kampf gegen die Nervenerkrankung ALS verliert. Aus dem einstigen Kraftpaket wird ein zitternder Held, dessen Muskeln und Energie nach und nach schwinden. Selten hat man auf der Leinwand einen körperlichen Verfall dermaßen vor Augen geführt bekommen. Aber Herbert stürzt nicht ab, er leuchtet im Fallen. Weil Peter Kurth unter seiner Rüstung die Verletzlichkeit seiner Figur so zum Vorschein bringt, dass er ihr zum Abschied eine unvergessliche Würde verleiht. Am Ende ist Herbert ein Sieger.

Sittenpolizist Bruno Wolter

Gerade ist er als Oberkommissar der Sittenpolizei Bruno Wolter in der umjubelten Serie „Babylon Berlin“ zu sehen. Ein geheimnisvoller Typ, ein Grenzgänger, von dem man nie weiß, ob er gut oder böse ist, ein Schuft oder ein Mensch mit Herz. Peter Kurth sagt über ihn: „Er ist eine schillernde, interessante Figur. Er übernimmt Verantwortung, aber er trifft zugleich Entscheidungen, die er nicht gerne fällt.“ Für seine Darstellung wird er vom Feuilleton gefeiert, die „FAZ“ stellt ihn in eine Reihe mit Heinrich George.

Vor zwei Jahren bekam er den Deutschen Schauspielerpreis. Dieser Preis wird von Kollegen verliehen. Er saß unter ihnen, als er seinen Namen hörte. Gerührt erhob er sich, er hatte Tränen in den Augen. Als er am Mikrofon stand, schwieg er sehr lange. Dann sagte er kurz: „Danke.“ Peter Kurth ist ein alter Hund auf der Bühne. Für einen Moment hatte es ihm die Sprache verschlagen.

„Babylon Berlin“, ARD, Donnerstag, 20 Uhr 15, Folgen vier bis sechs;

„Die stillen Trabanten“, Deutsches Theater, Kammerspiele, Premiere am 11. November

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