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Es war einmal... Hugo Egon Balder und das Cin-Cin-Ballett bei „Tutti Frutti“.

© dpa

Phantasien für Männer - und Frauen: Die Nackten und die Quoten

Nackt-TV: Was bei „Tutti Frutti“ vor 30 Jahren begann, findet in „No Body is perfect“ fast sein Gegenteil.

RTL war jung und brauchte das Werbegeld. Also wurde in Italien das Format „Colpo Grosso“ eingekauft, der 39-jährige Hugo Egon Balder als Moderator engagiert. Was dann, am 21. Januar 1989, auf den Schirm des Privatsenders kam, war eine Erregung öffentlichen Fernsehärgers. Das Cin-Cin-Ballett zog sich vermittels der vollkommen undurchsichtigen Vergabe von Länderpunkten aus, auf den Brustwarzen klebten Früchtchen wie Kirsche, Erdbeere und Zitrone. Parallel mussten die Kandidaten bei falschen Antworten bis auf die Unterwäsche blankziehen. Balder gab den Fernsehluden, sprich die Kommandos zum Freimachen.

„Tutti Frutti“ legte zugleich die Bigotterie in Teilen des Publikums bloß. Die Proteste kamen vor allem von jenen Zuschauern, die vorgaben, RTL – damals übersetzt mit „Rammeln, Töten, Lallen“ – niemals einzuschalten. Dieses Verhalten wiederholte sich bei den ersten Staffeln des „Dschungelcamps“, wie stets nach dem Pfui-Teufel-her-damit-Prinzip.

Die angebliche Erotikgameshow mit 100 Folgen war sexistisch, sie bediente die Phantasien heterosexueller Männer, die Frauen hatten aber auch gar nichts zu sagen – sie waren schlichte Lustobjekte.

Erfolglose Neuauflage 2016

Ob ein Format wie „Tutti Frutti“ heute einen Shitstorm in den sozialen Medien auslösen würde? Die einmalig gebliebene Wiederauflage 2016 löste gar nichts aus – weder Aufregung noch Aufmerksamkeit. RTL Nitro hatte sich verkalkuliert.

In heutiger Zeit ist selbst die Zuschauergeneration, die noch in den 70ern beim Anblick der nackten Brüste von Nastassja Kinski im „Tatort“ oder in den 80ern im Angesicht der barbusigen Corinna Drews in „Kir Royal“ aus dem Fernsehsessel gefallen war, von Nackten auf dem Bildschirm nicht mehr aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Zwar sind die Auszieh-Grenzen zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem kommerziellen Fernsehen weiter existent, doch hat auch bei ARD und ZDF das Kalkül, dass ein nackter Mensch seinen Schau-Quoten-Wert hat, Einzug gehalten. Erinnert sei nur an den damaligen Bremer „Tatort“-Kommissar Nils Stedefreund, den Darsteller Oliver Mommsen im Oktober 2017 full frontal zeigte; für Dramaturgie und Ermittlung bar jeder Notwendigkeit, aber für ein paar „Bild“-Schlagzeilen hat es dann doch gereicht.

Erweiterung der Nacktzone

Das Privatfernsehen seinerseits hat nach „Tutti Frutti“ die Nacktzone stetig erweitert. In zahlreichen Formaten, namentlich in Datingshows, geht es deutlich expliziter und gleichberechtigter zu, Ob in „Adam sucht Eva“(RTL), „Naked Attraction – Dating hautnah“ (RTL 2) oder in „Big Brother“ (Sat 1) werden die Körper der Männer genauso gezeigt und beurteilt wie die der Frauen. Diese Fernseh-Fleischtheken belohnen Attraktivität, sprich den attraktiven Körper. Dass es mittlerweile Frauen und Männer sind, die Brüste wie Brustkörbe, ihre jeweils primären Geschlechtsteile in die Kamera halten, ist ein Fortschritt – aber ist es auch ein riesiger? Dieses Körpermenschen-TV belohnt Selbstoptimierung bis hin zum OP-Tuning.

Fast nimmt es Wunder, dass erst 30 Jahre nach „Tutti Frutti“ quasi das Gegenprogramm gesendet wird: Das am heutigen Montag zum zweiten Mal ausgestrahlte Sat-1-Experiment „No Body is perfect“ ist zwar eine Nacktshow, aber eine mit Botschaft: Menschen können ein positives Gefühl zum eigenen unperfekten Körper entwickeln.

Dieses Nackt-TV bietet Entlastung an, wo ähnliche Formate zur Belastung werden können. Da hat manche Zuschauerin/mancher Zuschauer bestimmt an sich heruntergeschaut und dann den Vergleich mit den TV-Körpern gezogen. Der Bildschirm kann ein böser Spiegel sein.

Und es muss gar nicht der Nackte sein, der über die Seufzerbrücke zwingt. Einer wie Brad Pritt sieht auch angezogen unfassbar gut aus. Joachim Huber

„No Body is perfect“, Sat1 , Montag, um 20 Uhr 15

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