zum Hauptinhalt
Der deutsche Journalist und Schriftsteller Peter Merseburger ist im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben.

© dpa

Peter Merseburger ist tot: Zeitgenosse der Tiefen und Untiefen deutscher Geschichte

Höchst streitbar und umstritten: Der ARD-Journalist und Publizist Peter Merseburger ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Seinen Ruhestand verbrachte er in Berlin, mit einem Zweitdomizil in den  Sommermonaten  in seinem Ferienhaus in Südfrankreich. Dass Peter Merseburger für seinen Lebensabend die wieder gewonnene deutsche Hauptstadt wählte, hatte jedoch seine innere Konsequenz. Denn der junge Journalist hatte im Frühjahr 1948 den wortgewaltigen Ernst Reuter vor dem Reichstag erlebt, er war in der Stadt, als die Mauer gebaut wurde und er hatte in den achtziger Jahren als Fernseh-Korrespondent aus Ost-Berlin berichtet. Auch deshalb wurde Berlin der Ort für die letzte Phase eines langen journalistischen Lebens.

[Der tägliche Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leser:innen informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]

Das hatte seine Höhepunkte in den siebziger Jahren, in denen er zu der Phalanx der jungen Journalisten  gehörte, zu den Ruge und von Paczensky, Gütt, Casdorff und Heigert, die  damals für die deutsche Öffentlichkeit die kritische Fernsehpublizistik erfanden. Als Leiter von "Panorama", dem Magazin des NDR, war er damals eine höchst streitbare - und umstrittene - Größe, der mit in charakteristischer Manier vorgeschobenen Kopf die Republik gleichsam auf die Hörner zu nehmen schien. Ein kritischer Zeitgenosse blieb er, doch auf den weiteren Stationen seiner Laufbahn, erst Washington, dann Ost-Berlin und schließlich London, pendelte sich sein Temperament ein auf die Maßstäbe eines aufgeschlossenen, urbanen Weltbildes. Gab es da einen Wandel, gar eine  Zäsur? Wohl nicht mehr als es sich für ein Leben versteht, das mit Offenheit für die Zeitläufte, großem intellektuellem Interesse und  humaner Anteilnahme gelebt worden ist.

Tiefen und Untiefen deutscher Geschichte

Und das zumal in den Anfängen noch hineingeraten war  in die Tiefen und Untiefen der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts. In seinem letzten Buch, seinen  im vergangenen Jahr erschienenen Lebenserinnerungen, den „Erinnerungen eines politischen Zeitgenossen“, das er  „Aufbruch ins Ungewisse“ nannte,  hat er davon erzählt. Geboren 1928 im thüringischen Zeitz, verbanden sich Kinder- und Jugendjahre in einer Nische  fast noch intakter  Bürgerlichkeit mit den Wirren von Flakhelfer-Einsatz, Krieg und und Zusammenbruch. Die Auseinandersetzungen um den Weg der Bundesrepublik in den fünfziger und sechziger Jahren, in Nachkriegszeit, Adenauer-Ära und sozialliberalen Anfängen  wurden der Stoff, aus dem sich Merseburgers Ansichten und Überzeugungen bildeten.

Erstes Buch galt Kurt Schumacher

Noch seine „Zweit- und Alterskarriere“ - wie er  die Existenz als zeithistorischer Autor nannte, die er mit seinem Ruhestand begann - hing mit diesen Erfahrungen zusammen. Denn das erste Buch galt Kurt Schumacher, dem bedeutenden und glücklosen ersten Nachkriegsvorsitzenden der SPD, und zwar nicht dem sozialistischen Theoretiker, sondern der vergessenen historischen Gestalt, die er dem Vergessen-Sein entreißen wollte.  Aus diesen Anfang ist inzwischen ein beeindruckendes Alterswerk geworden. In seinem Mittelpunkt steht eine große Willy-Brandt-Biographie, die wohl das gelungenste, lesbarste und zugleich wissenschaftlich anspruchsvolle Bild des großen Nachkriegspolitikers bietet. Dazu sind Biographien von Rudolf Augstein und Theodor Heuss gekommen. Einen besonderen Rang besitzt Merseburgers Buch über die Rolle Weimars in der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte ein: „Mythos Weimar“ - wie es betitelt ist - buchstabierte das ganze Panorama von deutscher Größe und Schmach anhand der Geschichte der Stadt.

Hellwach und bis zuletzt Zeitgenosse

Auch Merseburgers Spätkarriere galt insofern dem Ringen um ein aufgeklärtes humanes, politisches Bewusstsein, also - wenn man so will - dem großen Thema der  deutschen Nachkriegsgeschichte und jener Generationen, die die Bundesrepublik im Streit der Meinungen und mit ihrem Wirken und Wollen geformt haben. Peter Merseburger gehörte mit seinem Leben und Streben zu ihnen, in exemplarischer Weise. Hellwach und bis zuletzt als Zeitgenosse präsent ist er am Dienstag im Alter von dreiundneunzig Jahren gestorben.

Zur Startseite