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Ottilie von Faber-Castell (Kristin Suckow) erbt das Unternehmen.

© ARD Degeto/Martin Spelda

"Ottilie von Faber-Castell: Eine mutige Frau": Vorreiterin der Emanzipation

Der Drei-Stunden-Film "Ottilie von Faber-Castell: Eine mutige Frau" erinnert an "Downtown Abbey" - und geht doch einen eigenen Weg

Das Fernsehkapitel „Downton Abbey“ ist abgeschlossen, aber die Sehnsucht nach dem Stoff wird nie gestillt sein. Ehe der neue Kinofilm, natürlich mit Maggie Smith, vom kommenden Donnerstag an für weitere Bedarfsbefriedigung sorgen wird, geht die ARD in die nämliche Spur. 183 und keine Minute weniger wird die Geschichte der „Ottilie von Faber-Castell“ ausgebreitet. Der Untertitel zeigt die Perspektive der Fernsehbiographie an: „Eine mutige Frau“. Wobei die Genrebezeichnung nicht ganz stimmt. Das Drehbuch von Claudia Garde folgt dem Roman „Eine Zierde in ihrem Hause: Die Geschichte der Ottilie von Faber-Castell“ von Asta Scheib und sie folgt der Vorlage „frei“, wie es im Presseheft heißt. Soll heißen: Das Gerüst der historischen Fakten wackelt nicht, drumherum wurde elaboriert, ausgebaut wie zusammengeführt, um eine Zeit- und Lebensspanne von mehr als 20 Jahren in eine stringente Filmhandlung zu übersetzen, vieles, aber eines darf sie nicht: langweilen, auf dass mehr und mehr Zuschauerinnen und Zuschauer über drei Stunden Ausstrahlung verloren gehen .

Und natürlich sind Leben und Umstände der „Bleistift-Prinzessin“ im Kaiserreich am Ende des 19. Jahrhunderts dramatisch. Mit 16 Jahren wird Ottilie (Kristin Suckow) von ihrem 76-jährigen Großvater Lothar von Faber (Martin Wuttke) als Alleinerbin und Leiterin des florierenden Unternehmens eingesetzt. „Sie wird alles lernen von der Pike auf und dann ihre Vorgesetzte sein“, verkündet der Patriarch den erstaunten Direktoren. Was Faber nicht sagt: Bei seinen männlichen Nachkommen gab es tragische Todesfälle, und seinem Bruder sollte das Unternehmen keineswegs in die Hände fallen. Er trifft seine Entscheidungen als hartgesottener Geschäftsmann und entschlossener Dynastiker.

Matriarchat engt ein

Ottilie von Faber-Castell, forsch und intelligent, wächst vor und nach dem Tod des Großvaters an ihren Aufgaben und Herausforderungen. Da ist das Matriarchat aus Enkelin, Mutter Bertha (Maren Eggert) und Ottilie Senior (Eleonore Weisgerber), sowohl die Mutter und noch stärker die Großmutter zweifeln an Ottilies Befähigung zur Firmenleitung. Das Direktorium schweigt murrend.

Und dann sind da noch die beiden Offiziere Alexander von Faber-Rüdenhausen (Johannes Zirner) und Philipp von Brand zu Neidstein (Hannes Wegener). Beide buhlen um Ottilie, bei dem ehrgeizigen Alexander ist das Kalkül um Ansehen, Einfluss und Vermögen noch größer als die Liebe. Philipp dagegen, mehr schöngeistiger Gentleman, liebt bedingungs-, aber erfolglos. Alexander macht das Rennen, offenbar lässt sich Ottilie neben aller Enttäuschung über den zaudernden Phlipp auch vom großväterlichen Rat beeinflussen, bei der Partnerwahl sich nicht von Gefühlen, sondern von vom Familien- und Firmeninteresse leiten zu lassen.

Ottilie von Faber-Castell wird aber das enge Korsett von gesellschaftlicher Konvention, familiären Widerständen und einer kinderreichen und zugleich mehr und mehr unglücklichen Ehe wenn nicht sprengen, so doch erweitern wollen. Sie ist, im Rahmen ihrer Zeit, eine mutige Frau, eine Frau, die in ihrer Zeit lebte und zugleich über sie hinaus.

Der Drei-Stunden-Film der Degeto zieht das große Panorama auf. Der Lebensweg der adligen Firmenchefin wird verbreitert durch Kabale und Liebe in Familie, Verwandten und Freunden, erfährt Parallelisierung in Arbeiterschaft und Bediensteten, namentlich im Dienstmädchen Lena Klenke (Anna Vasbender), die zu Ottilies Vertrauter wird.

Codes des Adels

Drehbuchautorin Claudia Garde hat den Ehrgeiz, die Codes, sprich die Verklausulierungen, Tarnungen und Masken, die jede und insbesondere die adlige Schicht kennzeichnete, punktierte und drangsalierte, in den Figuren wie in den Irrungen und Wirrungen der Handlung erkennbar zu machen, sprich als Gestus herauszupräparieren. Bei den starken und den schwachen Frauen, bei den starken und den schwachen Männer. Bei den Gender-Fragen wie Frauen in Führungspositionen hat der Film seine (aktuellen) Höhepunkte, die die Längen des Cinemascope-Formats verkürzen. Die Fans dieser Glanz-und-Elend-Epoche (ohne Kurtisanen) werden ihre helle Freude haben, jene, die schon mit „Downtown Abbey“ ins Grübeln kamen, können ihre Skepsis wieder aktualisieren. Doppelt unterstrichen: „Ottilie von Faber-Castell – Eine mutige Frau“ hat deutlich mehr Ambition als dieser Adel-Schmonzes wie „Das<TH>Erbe der Guldenburgs“. Zugleich werden Zeitgeschichte und ZeitzeugInnen derart verwoben, dass die handelnden Personen immer vor die gesellschaftlichen Brüche jener Zeit geschoben werden. Die Zeit wirkt zeitlos, selbst die Katastrophe des Ersten Weltkriegs hinterlässt nur einen Kartzer an des Grafen Alexander Stirn.

Regisseurin Garde arbeitet nicht gegen die Drehbuchautorin Garde an, sie sucht und findet die passenden Bilder zur Vorlage. Da muss auch die Kamera von Felix Cramer nicht übertreiben, was Szenenbild (Martina Brünner) und Kostümbild (Petra Kray) leisten, das illustriert und exemplifiziert eine Atmosphäre, die Aussagekraft und Eindrücklichkeit in sich vereint. Selbst wenn die güldene Sonne sich gerne über den Stammsitz erbricht und die Walle-Walle-Musik jeden Bleistift zum Zerspringen bringt.

Großartiger Martin Wuttke

Was die Produktion vom Melo-Kitsch fernhält, das ist die Besetzung. Kristin Suckow spielt sich ohne Mühe in die Rolle der Titelfigur, sie ist glaubhaft, wenn sie resolute Kämpferin, sie ist glaubwürdig, wenn sie romantische Frau ist. Diesen Ansprüchen folgen auch Johannes Zirner, eine Eleonore Weisgerber oder ein Hans Wegener. Und trotzdem wäre es ein Gewinn gewesen, wenn der große Martin Wuttke seinen eigenständigen, individuell geprägten Clanchef Lothar von Faber nicht so früh ins Grab hätte spielen müssen.

Gut, „Ottilie von Faber-Castell – Eine mutige Frau“ hat keine Figur wie die Dowager Countess of Grantham, diese wandelnde Antithese in der Interpretation von Maggie Smith. Eine sehr besondere Frau, zu bestaunen ab 19. September im Kino.

„Ottilie von Faber-Castell – Eine Mutige Frau“, ARD, Samstag, 20 Uhr 15

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