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Auf dem Weg zum Ruhm. Nadia Comaneci und Trainer Bela Karolyi.

© Arte/Bela et Martha Karoly'

Olympische Sommerspiele 1976: Salti für den Sozialismus

Die Kunstturnerin Comaneci sollte vom rumänischen Diktator Ceausescu zur Ikone stilisiert werden.

Es geschah vor fast genau vierzig Jahren, am 18. Juli 1976. Eine unbekannte rumänische Kunstturnerin absolvierte während der Olympischen Sommerspiele in Montréal gerade ihre Kür am Stufenbarren. Mit schwereloser Anmut schlang die junge Frau sich um die Holmen, schrieb Kaligrafien in die Luft und landete nach grazilem Salto traumwandlerisch sicher auf der Matte.

Warum nur bedachten die Wettkampfrichter diese überirdische Leistung mit einer so vernichtenden Wertung? Nach einer Weile erst begriffen 500 Millionen Zuschauer vor den weltweiten Fernsehschirmen, dass die in der Sportgeschichte niemals vergebene Bestnote von der Technik der Anzeigentafel nicht dargestellt werden konnte.

Statt 10,0 zeigten die Leuchtziffern 1,0. Nadia Elena Comaneci, damals 14 Jahre alt, sprengte alle Vorstellungen. Sie verwies die favorisierten Russinnen auf die Plätze und gewann die Goldmedaille. Doch damit fingen ihre eigentlichen Probleme erst an.

Das Leben der Ausnahmesportlerin wurde bereits mehrfach verfilmt. In ihrer Arte-Dokumentation greift die amerikanische Filmemacherin Pola Rapaport auf Nadia Comanecis 2004 publizierte Autobiografie zurück. Zum bewegenden Zeitdokument wird die Filmbiografie, weil sie Comanecis Karriere im Spannungsverhältnis mit Nicolae Ceausescu entschlüsselt.

Der damalige rumänische Staatschef versuchte, Nadia Comanecis Ruhm für seine Propaganda zu nutzen. In bizarren Fernsehinszenierungen musste die populäre Kunstturnerin sich immer wieder vor ihrem Staatschef verbeugen und ihn in vorgeschriebenen Reden lobpreisen.

Ihre Popularität führte den Sozialismus ad absurdum

Sensibel arbeitet die Dokumentation unterdessen heraus, dass die Kunstturnerin ein Produkt jenes gnadenlosen sozialistischen Drills war, der bereits kleine Mädchen unter Profibedingungen trainierte. Vom hungernden rumänischen Volk, das keinen Grund hatte, stolz auf die chronische Misswirtschaft seines Landes zu sein, wurde diese charismatische junge Frau aber gerade nicht als jene „Ikone sozialistischer Perfektion“ verehrt, zu der Ceausescu sie krampfhaft zu stilisieren versuchte.Ihr märchenhafter Erfolg und die weltweite mediale Aufmerksamkeit sprengten das System.

Mit ihrer Ausnahmeposition führte diese junge Frau, die populärer war als Ceausescu, den Sozialismus ad absurdum. Ihre Popularität war dem Staatschef ein Dorn im Auge. Weil Leistung sich zynischerweise nicht lohnen durfte, lebte sie bis zu ihrer Flucht 1989 in bescheidenen Verhältnissen. „Ich hatte Reiseverbot, keine einzige Liebesbeziehung und musste um Essen kämpfen.“ Zwei Brötchen mehr pro Tag? Die hatte sie nur, weil ein Bekannter, der in der Bäckerei arbeitete, sie ihr zur Seite legte.

Mittlerweile lebt Nadia Comeneci als verheiratete Turnlehrerin in den USA. Am Ende des Films tritt sie vor die Kamera und erklärt mit schelmischem Grinsen: „Ich glaube, es ist ein Happy End. Was meint ihr?“

„Nadia Comaneci – Die Turnerin und der Diktator“, Arte, Dienstag, Arte, 21 Uhr 45

Manfred Riepe

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