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Neues Magazin "Hygge": Lasst Kerzen um uns sein

Eine Pseudobullerbüwelt: Das neue Magazin „Hygge“ beschwört das Leben als Wir-Schnulze.

Bis gestern war ich ein einigermaßen friedfertiger Mensch. Dann habe ich zu viele Glückspillen geschluckt. Ist mir gar nicht bekommen. 162 Seiten Heilsversprechen und geballte Fröhlichkeit, „Abendbrot beim Abendrot“ und Auf-ewig-Sommerferien-Feeling, dieses ganze Zimtschneckenbacken, Tomateneinwecken und Sich-selig-Singen haben mich ganz unhyggelig aggressiv gemacht.

Schuld ist „Hygge“, das neueste Magazin von Gruner & Jahr, das genau so heißt wie das dänische Wohlgefühl, das die Deutschen seit letztem Jahr für sich entdecken. Seit ihnen eine ganze Welle von Artikeln und Büchern erklären, was es mit der dänischen Gemütlichkeit auf sich hat, und wie man sie nachahmen kann.

Hat nur noch diese Zeitschrift gefehlt. „Einfach glücklich sein“, verspricht der Titel und darunter: „Gemeinsam kochen, lachen, Beeren sammeln“. Grrh. „Sag uns deine Meinung!“, werde ich aufgefordert. Könnt ihr haben: Ich möchte nicht geduzt werden. Und schon gar nicht so penetrant gewirt. „Es ist Sonntag, und wir haben nur eine Verabredung – mit uns selbst.“

Oder, der Gipfel der Wir-Schnulze, auf der letzten Seite: „Noch hat die Dunkelheit nicht ihre schwarzen Fühler ausgestreckt. Noch dürfen wir schweben zwischen Tag und Nacht und uns verzaubern lassen von diesem Licht, das die Welt magisch erscheinen lässt.“ Da werde ich ganz egoman.

Sicher, die Welt ist böse und Trump ein höchst gefährlicher Idiot. Man traut sich ja kaum noch, die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen, welches Grauen schlägt einem heute entgegen. Je dramatischer die Wirklichkeit, desto größer die Sehnsucht nach einer heilen Gegenwelt. Nur gibt es die nicht mal in Dänemark.

So ironiefrei ist Astrid Lindgren nie gewesen

Und schon gar nicht kann man sich das Glück einverleiben, indem man so viel Kaffee trinkt wie die Dänen (5,3 Kilo Bohnen im Jahr, lernt der Leser) und Süßes verputzt (8,2 Kilo, doppelt so viel wie der Durchschnittseuropäer). Oder indem man der Anleitung zum Hyggesein in zehn Punkten folgt: Lasst Kerzen, Kissen und Gelassenheit um mich sein.

Das Magazin, auf dem heute üblichen matten Papier gedruckt, ist ein Produkt des landlustigen, harmonieseligen Zeitschriftenzeitalters. Nicht, dass alles Unsinn wäre, was man, für fünf Euro, in dem Heft lesen kann. Natürlich ist es (meistens) schön, Zeit mit Freunden zu verbringen, wäre es gut, die Menschen würden das Essen einfach genießen, statt Kalorien und Vitamine zu zählen. Auch dass das Singen in der Gruppe, dem hier ein Artikel gewidmet ist, oder das Wandern (ebenso) für die Gesundheit äußerst bekömmlich sind, ist wissenschaftlich bewiesen.

Aber die Penetranz und Eindimensionalität der Glücksbeschwörung, die Plumpheit der Lebensweisheiten und Ratschläge ist schwer erträglich. Da wird, natürlich mit vielen sonnigen Fotos, eine Pseudobullerbüwelt ausgebreitet. So zahnlos und ironiefrei ist Astrid Lindgren nie gewesen.

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