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Noch bis Oktober in der ZDF-Mediathek: Der Klaus-Lemke-Film "Neue Götter in der Maxvorstadt".

© ZDF

Neuer Film mit Klaus Lemke: Der bewegende Mann

Kunstszene, Skandalvideo, Callgirls, Götter: Regisseur Klaus Lemke setzt in seinem neuen Film der Münchner Maxvorstadt ein Denkmal.

Starten wir mal mit einer schönen Gesprächseröffnung. Handy-Anruf bei Klaus Lemke, kurz vor der TV-Premiere seines neuen Films im ZDF. „He, Digger! Wie ist es in Berlin?“ So eine Begrüßung droht das eher normal-distanzierte Verhältnis des Kritiker zum Schauspieler/Regisseur sofort auszuhebeln, jedoch, was heißt das schon: „normal“? Bei einem Künstler der, sorry, Klaus, bald 80 wird und Jahr für Jahr Filme voller Kraft und Energie über Außenseiter, Sex, Klein-Kriminetten auf Leinwand und Bildschirme wirft, die aussehen, als wären sie von einem 20-, 30- oder 40-Jährigen gedreht und geschrieben.

Das Wort „Schreiben“ kann man im Falle Lemke gleich mal streichen. Auch seine Tragikomödie „Neue Götter in der Maxvorstadt“, die gerade auf dem Münchner Filmfest uraufgeführt wurde, folgt dem seit seinem Durchbruch mit dem „Rocker“-Film in den 1970ern verfolgten Motto: nicht viel Nachdenken, die Leute erschlagen mit der Menge der Dinge, kein Drehbuch, viel Laiendarsteller, keine staatliche Förderung, kaum Budget und 50 Euro für jeden Schauspieler pro Drehtag bar auf die Hand. Es geht, so Lemke, nicht darum, wie man die Kamera, sondern wie man den Zuschauer bewegt.

Nach seinen Ausflügen in Hamburg („Finale“, „Dancing with Devils“) und in Berlin („Berlin für Helden“) ist einer der letzten deutschen wilden Filmenmacher aus der Garde Erler, Klick & Co. wieder dort gelandet, wo vieles angefangen hat, in München. Genauer, in der Maxvorstadt. Seine Stammgegend, und auch, wenn Lemke, wie er erzählt, vor Kurzem aus seiner Wohnung wegen Eigenbedarfs vertrieben wurde, er wohne weiter dort. Das sei in der Miete leider nur deutlich teurer.

Kurzer Dienstweg zum Dreh, immerhin. Kenntnisse der durchgentrifizierten Maxvorstadt können nicht schaden, um den Irritationen zu folgen, die auch Lemkes neuestes Werk durchziehen und schon mal beim Titel anfangen. Eine Inhaltsangabe? Gestaltet sich schwierig. Die klassische HeldInnen-Reise ist Lemkes Film-Ding nicht (oder vielleicht doch, und wir haben es nur noch nicht verstanden).

"Ich glaube, ich breche den Film jetzt ab.“

Auf der Flucht vor ihrem Ex-Lover versteckt sich Judith (Judith Paus) auf der Toilette im Keller der Münchner Kunstakademie. Mit einem Skandalvideo will sie die Kunstszene ärgern. Sie zieht mit dem Penner Jürgen betrunken durch die Maxvorstadt. Dabei wird sie fotografiert, das Foto ein Renner bei Instagram, was die junge Frau irgendwie aus der Bahn wirft. Dann ist Jürgen weg. Judith schläft mit einem Copy-Shop-Betreiber, flieht in die Arme eines Kurators, dem sie sich als „Callgirl für Geister“ anbietet.

So weit, so gut, so manchmal auch grotesk, so Lemke-like. Es gibt, vor allem mit Protagonistin Judith Paus, wieder jede Menge Klaus-Lemke-Mädchen, wobei es – anders als zu Zeiten einer jungen Iris Berben oder Cleo Kretschmer, die Lemke mitentdeckt hat – mit #MeToo gar nicht so einfach ist, das zu sagen: „die Mädchen“ eines Regisseurs.

Man muss sich nur die letzte Szene des Films anschauen, um zu verstehen, dass die Diskussion hier nicht passt. Abgesehen davon, dass diese Mädchen-und-„Digger“-Geschichten bei Lemke immer auch ein wenig attitüdenhaft sind.

Viel spannender ist die dekonstruktive Methode. Mittendrin, in Filmminute 35, taucht der Meister persönlich auf. Lemke wendet sich an die Zuschauer: „An der Stelle des Films, genau jetzt sollte hier in der Tiefgarage mit fiebrig-schäbiger Eleganz und im schwarzen Anzug Scorpio stehen. So ein bisschen unheimlich, so ein bisschen Voodoo. Aber Detlef Bothe, den ich für die Rolle des Bösen brauch’, ist die letzten Tage nicht ans Telefon gegangen. Ich habe ihn auch nirgends sonst gesehen. Dumm ist nur, dass ich niemanden sonst kenne, dem ich glaubhaft einen Bösen zutraue. Ich habe bis zum letzten Moment gehofft, dass er noch kommt. Aber der letzte Moment war vorhin. Ich glaube, ich breche den Film jetzt ab.“

Ein Regisseur beendet den Dreh vor laufender Kamera und macht das Scheitern zum Thema. Intensiver kann Fernsehen/Kino kaum sein. So ist es.

„Neue Götter in der Maxvorstadt“, ZDF, Montag, 0 Uhr 05. Bis Oktober in der Mediathek des ZDF.

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