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Eines der leisesten und besten Fernseherlebnisse unserer lauten Zeit. Die beiden arbeitslosen Endvierziger Hannes (Ronald Zehrfeld, rechts) und Ralle (Felix Kramer) warten wieder irgendwo in Brandenburg auf den Bus.

© rbb/Maor Waisburd

Neue Staffel von „Warten auf'n Bus“: Wartehäuschen ohne Godot

Tiefgang mit Humor: Die Fortsetzung der hinreißenden Brandenburger Tragikomödie im RBB.

Ostdeutsche, das lehrt uns jede Statistik, sind im wiedervereinigten Land fast überall unterrepräsentiert, wo die Räder Richtung Zukunft rollen. Politik, Kultur, Wirtschaft, selbst im Sport hat das turbokapitalistische Fußballinvestment RB Leipzig allenfalls dem Namen nach DDR-Wurzeln. Der Rest? Regionalliga.

Erstligareif sind die fünf ehemals neuen Länder höchstens dort, wo das Getriebe nach Rückwärtsgang klingt: Strukturschwäche, Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit, Leerstand, verblühte Landschaften also, in denen die RBB-Serie „Warten auf’n Bus“ vor zwei Jahren zum Meisterwerk der Abstiegsbeobachtung wurde.

Ein staubgraues Wunder: Zwei Männer mittleren Alters verbrachten Tag für Tag an einer Haltestelle irgendwo im Nirgendwo der brandenburgischen Provinz. Hannes und Ralle, zu LPG-Zeiten fest angestellte Techniker, hat das wiedervereinigte System so oft in die Ärsche getreten, bis sie auf der Plastikbank ihres Wartehäuschens förmlich festgewachsen sind.

Über acht Episoden von bezaubernder Ereignislosigkeit haben wir diesen Wendeverlierern beim Wendeverlieren zugesehen, besser noch: zugehört.

Denn ihre Hauptbetätigung bestand im Philosophieren über alles oder nichts, und das taten sie so glaubhaft, dass die Grimme-Jury sich schämen sollte, statt dieser stillen TV-Perle das – bei allem Respekt – zu laute Strasscollier der „Carolin Kebekus Show“ prämiert zu haben. Schön, dass sich der RBB von dieser Fehlentscheidung nicht unterkriegen und eine Fortsetzung drehen ließ. („Warten auf’n Bus“, RBB, Samstag, alle sieben Folgen ab 20 Uhr 15 und in der ARD-Mediathek)

Die beste Nachricht der vierten Corona-Welle lautet demnach: Hannes und Ralle sind zurück. Und wie. Ersterer trägt erstmals kein abgetragenes Funktionspolyester von KiK, sondern den abgetragenen Anzug von Opa, was Letzterer in seiner Windjacke von vorgestern schon deshalb kaum erträgt, weil ihm der erste Arbeitsmarkt den einzigen Ansprechpartner auf Augenhöhe streitig machen könnte. Konjunktiv. Denn am Ende der Auftaktfolge wird Hannes sein Bewerbungsgespräch natürlich vermasselt haben.

Ein Talent zur absurden Wahrhaftigkeit

Ob wegen des Stellenprofils, das anders als erwartet doch keinen Landschaftsgärtner, sondern einen Facility Manager vorsah, oder wegen des Biers, das ihm der spürbar eifersüchtige Freund zum Abschied zwischen Leberwurstbrote und Schokoriegel in den Fresskorb gepackt hatte?

Schwer zu sagen, aber bei aller Tragik gut für den Fortgang der Geschichte. Denn die bedarf der Hoffnungslosigkeit zweier Ladenhüter des Arbeits- und Heiratsmarktes – aber nicht, weil man ihnen beim Würdeverlust beiwohnen will. Der nämlich, so viel vorweg, bleibt erneut in weiterer Ferne als eine Festanstellung bei Tesla unweit ihrer Bushaltestelle.

Ob die Sache mit der Würde gelingt, war allerdings fraglich. Schließlich hatte der vielfach preisgekrönte Nischenbeobachter Dirk Kummer die Regie nach einer Staffel abgegeben. Wenngleich an den ähnlich begabten Fabian Möhrke, der in Formaten von „Eichwald, MdB“ bis „Frau Jordan stellt gleich“ ein Talent zur absurden Wahrhaftigkeit beweist, das auch hier zum Einsatz kommt.

Abermals nach Drehbüchern von Oliver Bukowski skizziert der Siebenteiler also wieder leistungsgesellschaftliche Randlagen, die in jeder der abgerundet 12 600 Sekunden Sendezeit authentischer sind als ein Jahr „Real Life“ bei RTLzwei.

Immerhin behält der neue Regisseur dafür zwei Schauspieler, die das Freiluftkammerspiel schon zuvor mit herzergreifender Anteilnahme zur Vollendung brachten. Den Ostberlinern Felix Kramer und Ronald Zehrfeld als Brandenburger Ralf Paschke und Johannes Ackermann zuzuschauen, ist eines der leisesten Fernseherlebnisse unserer lauten Zeit. Zehn Minuten erleben wir Ralle beim Warten auf Hannes. Es passiert, Achtung: nichts, also alles.

Regulativ, Mahnung, Nemesis und Sehnsucht

Von Apathie über Panikattacke bis Alkoholentzug plus Übersprungshandlung und zurück dekliniert der Kiezschauspieler alle Aggregatzustände der vermeintlichen Nutzlosigkeit kapitalistischer Verwertungsmechaniken durch. Keiner davon ist langweilig.

Dafür sorgen auch diesmal klug gewählte Sidekicks, allen voran Jördis Triebel als Busfahrerin Katrin – Regulativ, Mahnung, Nemesis und Sehnsucht dieser Paradebeispiele desperater Beharrlichkeit in einem.

Wenn sie oft gegen-, öfter miteinander die Kloake aus gekränktem Stolz und populistischem Trotz ringsum überspringen, tun sie dies für alle Abgehängten, Ausgegrenzten, Enttäuschten der perspektivlosen Erde am Rande prosperierender Metropolen. Das Besondere aber ist: Sie lassen diesen Anspruch nicht raushängen, sondern spielen ihn einfach mit.

Für Außenstehende bedürfte es manchmal der Untertitel, so breit zerkauen Kramer und Zehrfeld ihren Poetry-Slam über die Verhältnisse. Aber man muss nicht jedes Wort dieser ostdeutschen Wartehäuschen-Version von Godot verstehen, um die Tragikomik zu erkennen. Oft reicht dafür ein Blick unters eingebrannte Stirnrunzeln dieser kämpferischen Loser. Sie gehen weitere sieben Teile lang vom Ohr über die Seele ins Gehirn und sorgen dort für klärende Heiterkeit. Nächstes Jahr hoffentlich grimmepreisgekrönt.

Jan Freitag

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