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Erst sollen sie, dann wollen sie ein Team werden. Melly Böwe (Lina Beckmann, links) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) ermitteln zusammen in Rostock.

© dpa

Neue Kommissarin im ARD-Krimi: Bukow ist weg, Bochum ist nah

Gelungene Premiere: Lina Beckmann ersetzt Charly Hübner im Rostocker "Polizeiruf 110"

Der Neustart im Rostocker „Polizeiruf 110“ ohne Charly Hübner alias Sascha Bukow fällt schwer, insbesondere Katrin König (Anneke Kim Sarnau). Wie gelähmt liegt sie morgens im Bett. Und den Sauerteig knetet sie so gewalttätig durch, als sei der ihr persönlicher Feind. König leidet sichtlich unter dem Verlust ihres Kollegen und Geliebten Sascha Bukow, der sich in der letzten Folge aus dem Staub gemacht hatte. Mit dem Angebot von Kommissariatsleiter Henning Röder (Uwe Preuss), Bukows Stelle zu übernehmen, mag sie sich noch nicht auseinandersetzen.

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Die vom zweifachen Grimme-Preisträger Stefan Krohmer inszenierte Episode „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“ markiert einen Zwischenschritt in der Krimi-Reihe von der Ostsee: Bukows Halbschwester Melly Böwe (Lina Beckmann), die ebenfalls Polizistin ist, aber im fernen Bochum lebt, macht sich auf den Weg, um ihren verschwundenen Neffen zu suchen, ist aber noch nicht endgültig in die alte Heimat Rostock zurückgekehrt.
Zwölf Jahre lang hatte Charly Hübner den Sascha Bukow furios gespielt – als Polizisten, der sich nie ganz von seiner kriminellen Vergangenheit befreien konnte. Kurioserweise tritt nun Hübners Frau dessen Nachfolge an: „Die Fußstapfen sind wahnsinnig groß“, gab sich Böwe-Darstellerin Lina Beckmann in einem Interview bescheiden.

Auf der Theaterbühne zählt sie mittlerweile zu den bedeutendsten Schauspielerinnen in Deutschland. Beckmann gehört zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg und sorgte zuletzt in der Rolle als Richard III. bei den Salzburger Festspielen für Furore.

[„Polizeiruf 110“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15]

König und ihr Team ermitteln in einer schrecklichen Tragödie: Die alleinerziehende Rieke Sommer, 38, liegt erstochen auf dem Boden ihres Hauses. Auch ihr 16-jähriger, nach einem Unfall an sein Bett gefesselter Sohn David ist gestorben – weil sich niemand mehr um ihn kümmern und die Katheter versorgen konnte. Gleichzeitig ist Max Wagner (Alessandro Schuster), ein Freund Davids aus der Nachbarschaft, abgetaucht. Jule Genth (Susanne Bormann), Max' Pflegemutter, hatte Melly Böwe, Max' Tante, in Bochum alarmiert. Und weil Jule auch eine gute Freundin der getöteten Rieke Sommer war, begegnet sich das weibliche „Polizeiruf“-Duo das erste Mal bei der Familie Genth; ein unerfreuliches Wiedersehen für König, denn die Bochumer Kollegin weist sie in die Schranken: Sie selbst werde Max suchen, „du bitte nicht“.

Flüchtiges Erinnern

König und Böwe kennen sich bereits flüchtig. Bukows Halbschwester war in der im vergangenen Jahr ausgestrahlten Episode „Sabine“ zur Trauerfeier für Veith, den gemeinsamen Vater, angereist. Sascha hatte sich für sein Verhalten als großer Bruder entschuldigt, Melly schien jedoch noch nicht bereit, Frieden zu schließen und war schnell wieder davongeeilt. Wie es scheint, hat sie sich stärker von ihrer Familie gelöst als ihr Halbbruder, aber der persönliche Hintergrund der Figur bleibt vorerst noch ziemlich unklar. Die familiären Beziehungen und persönlichen Hintergründe sind in diesem Familiendrama ohnehin schon unübersichtlich. Nachdem Melly Böwe Zutrauen zu Katrin König gefasst hat, erfährt man weitere Details: Max' Vater, berichtet Böwe, ist ein Mitglied der osteuropäischen Mafia. Vor fünf Jahren hatte der Sohn seine Familie verlassen. Nach einem langen Krankenhaus-Aufenthalt wurde der an psychotischen Schüben leidende Max von Jule und Holger Genth (Jörn Knebel) als Pflegekind aufgenommen, ist nun aber in die Drogensucht abgerutscht. Im Gegensatz zu dem Personal-Puzzle scheint der Kriminalfall von Anfang an klar. Zu Beginn des Films wehrt sich Max gegen einen zudringlichen Autofahrer, der ihn nachts irgendwo aufgelesen hatte, mit einem Messer – der Tatwaffe?

Handlung verzettelt sich nicht

Drehbuch-Autor Florian Oeller und Regisseur Krohmer gelingt das Kunststück, sich trotz der neuen Hauptfigur und den komplexen Beziehungen nicht zu verzetteln. Dass Max ausgerechnet in die Hütte der schwerkranken Ursula (Anika Mauer) einbricht und bei ihr neuen Halt zu finden scheint, ist zwar arg konstruiert, bietet aber Trost in einer trostlosen Geschichte. Und Lina Beckmann? Bei ihrem Einstand verleiht sie Melly Böwe Souveränität und Ausgeglichenheit. Nichts deutet auf weiblichen Zickenkrieg hin, die Frauen nähern sich behutsam an, und am Ende scheint die Chemie zu stimmen. Ohne Bukows derbe Männlichkeit hält ein anderer Tonfall Einzug. Und das Team, zu dem weiterhin der breitbeinige Anton Pöschel (Andreas Guenther) und der ruhige Volker Thiesler (Josef Heynert) gehören, muss sich neu sortieren. Krohmer und Oeller legen dabei keine Eile an den Tag, setzen nur erste Pflöcke. Der Serien-Charakter des Rostocker „Polizeirufs“ mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Figuren bleibt unspektakulär gewahrt.

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