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"Rohwedder - Einigkeit und Mord und Freiheit", lautet der Titel der Netflix-Doku-Reihe, die sich insbesondere an die jüngere Generation richtet.

© Netflix, Gebrueder Beetz

Netflix-Doku über Rohwedder-Mord: True Crime aus Deutschland

30 Jahre nach der Wiedervereinigung greift Netflix die Ermordung von Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder auf. Es mangelt nicht an Schuldzuweisungen.

Die tödlichen Schüsse vom 1. April 1991 auf den damaligen Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, in seinem Haus in Düsseldorf waren eine Zäsur in der deutschen Geschichte. An diesem Tag endete das, was als friedliche Revolution in der DDR im Jahr 1989 begonnen hatte, auf dramatische Weise.

Wenige Tage vor dem 30-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung am 3. Oktober läuft auf Netflix von Freitag an mit „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ die erste deutsche Dokureihe des US-Streamingdienstes als so genanntes True-Crime-Format. Den Auftrag vergaben die Amerikaner an die Gebrueder Beetz Filmproduktion, wobei der Vierteiler unter der Federführung der mehrfachen Grimme-Preisträger Christian Beetz (Autor und Produzent) sowie Georg Tschurtschenthaler (Autor und Showrunner) entstand.

[„ Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“, Netflix, vier Teile, ab Freitag]

Beim „Berlin Series Festival“ wurde „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ gerade als beste Doku-Reihe 2020 ausgezeichnet. „Die Tatsache, dass der Fall bis heute ungelöst bleibt, wird Spekulationen und Diskussionen im Publikum nicht nur über den Fall selbst, sondern auch über diese Periode der deutschen Geschichte anregen“, begründete Jury-Chef Gero von Boehm die Entscheidung. Zwar wurde ein RAF-Bekennerschreiben gefunden, der oder die Täter konnten jedoch bis heute nicht ermittelt werden, so wie auch bei anderen Attentaten der dritten RAF-Generation.

„Mich hatte schon länger das Thema beschäftigt, dass Deutschland noch immer nicht richtig zusammengewachsen ist“, sagte Christian Beetz dem Tagesspiegel. „Ihr kennt Deutschland immer nur als das Vorzeigeland mit seiner friedlichen Revolution von 1989 und der anschließenden Wiedervereinigung. Aber wir sind auch ein gespaltenes Land. Wir können weiterhin spüren, ob jemand eine Ost- oder eine West-Biografie hat“, machte Beetz dem Europa-Chef von Netflix (hier stand zuerst fälschlich Deutschland) das Thema schmackhaft, als dieser vor zwei Jahren auf die Beetz-Brüder zukam. Als nicht Deutscher konnte der das gar nicht glauben, wo Deutschland doch international als das Musterland schlechthin wahrgenommen wird.

"Die Demütigung ist bis heute spürbar"

Die Treuhandanstalt spielt bei diesen Verwerfungen durch die rigorose Transformation der DDR-Wirtschaft eine bedeutende Rolle. „Da gab es eine Demütigung, die man noch immer spürt. Vor zwei Jahren gingen die Montagsdemos wieder los, mit Pegida und der AfD gab es wieder ganz andere Bewegungen in Deutschland“, erklärte Christian Beetz den Leuten von Netflix.

Detlev Rohwedder war dabei die tragische Figur der deutschen Wiedervereinigungsgeschichte. Theo Waigel, der damalige Bundesfinanzminister, der auch für die Treuhand verantwortlich war, nennt Rohwedder in der Dokumentation gar „einen Märtyrer der deutschen Einheit“. Er ist nicht der einzige, der den in Gotha geborenen Manager als einen Mann schildert, den einerseits die Herausforderung des Amtes interessierte, der allen Anfeindungen zum Trotz aber auch ein Pflichtmensch war, der nicht aufgab.

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Selbst Christa Luft, die als ehemalige Wirtschaftsministerin der DDR das Gebaren vieler westdeutscher Politiker und Manager äußerst befremdlich fand, sagte über Rohwedder: „ Ich hatte den Eindruck, das Rohwedder keiner ist, der mit der Axt an die Aufgabe herangeht, sondern behutsamer und überlegter, nicht euphorisch, nicht auf den eigenen Ruhm bedacht, sondern der etwas hinterlassen will.“ Was jedoch nichts daran änderte, dass viele Ostdeutsche Rohwedder für die massenhaften Betriebsschließungen und den millionenfachen Arbeitsplatzverlust verantwortlich machten.

Rohwedder wurde der meist gehasste und gefährdete Wessi dieser Zeit, der bereits zuvor als Chef von Hoesch in Dortmund den Ruf als Hard-Core-Sanierer erworben hatte.

"Die Treuhand hatte die Drecksarbeit zu machen"

„Die Treuhand wurde wie ein Schutzschild der damaligen Regierung aufgebaut, sie hatte die Drecksarbeit zu machen. Er hat sich redlich bemüht, diese Aufgabe zu meistern“, attestiert Dokumentarfilmer Christian Beetz dem Treuhand-Chef. Oder wie es Richard von Weizsäcker bei dessen Trauerfeier sagte: „Er dem deutschen Volk wahrhaft gedient.“ In der Doku kommen mit dem ehemaligen DDR-Politiker Peter Michael Diestel und Thilo Sarrazin als Umsetzer der Währungsunion diverse Zeitzeugen zu Wort.

Die Herausforderung der ersten deutschen Netflix-Dokureihe bestand auch darin, dass „wir für Deutschland und Europa das Genre True Crime eigentlich neu erfinden mussten. Wir können das Format nicht so bedienen, wie wir es aus Amerika kennen. Gerichtsverhandlungen werden zum Beispiel bei uns nicht aufgezeichnet. Auch gibt es nicht diese Wahnsinns-Archivmaterialien.“

Eine weitere Besonderheit von „Rohwedder“ ist die multiperspektivische Erzählung. Die Dokumentation legt sich nicht auf einen Täter fest. Sie lässt viele Ermittler von einst zu Wort kommen, die zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen kamen. Im BKA war man von der Täterschaft der RAF überzeugt, beim Verfassungsschutz hielt man aber auch eine Racheaktion der Stasi – die durch die Treuhand ihre Vermögenswerte bedroht sah – für möglich, und eine Theorie des LKA in Düsseldorf führte den Mord auf westliche Mächte zurück.

Als „Märtyrer der deutschen Einheit“ wird der 1991 ermordete Detlev Karsten Rohwedder in der Netflix-Doku unter anderem genannt. Trotz RAF-Bekennerschreiben sind viele Fragen zum Attentat ungeklärt, die Täter noch nicht gefunden.
Als „Märtyrer der deutschen Einheit“ wird der 1991 ermordete Detlev Karsten Rohwedder in der Netflix-Doku unter anderem genannt. Trotz RAF-Bekennerschreiben sind viele Fragen zum Attentat ungeklärt, die Täter noch nicht gefunden.

© Netflix/Gebrueder Beetz

„Rohwedder“ greift alle drei Alternativen auf, exerziert sie durch, indem die Doku sie nach der klassischen kriminalistischen Methode Motiv und Handlungsmöglichkeit durchspielt und mit den vorhandenen Spuren abgleicht.

Einen ähnlichen multiperspektivischen Ansatz hat Christian Beetz bereits bei seiner sechsteiligen Dokumentation „Leb wohl, Genossen!“ über den Zusammenbruch der Sowjetunion verwendet. Mit einem großen Unterschied: „Rohwedder“ soll die dunklen Seiten der Wiedervereinigung dem jüngeren Netflix-Publikum näherbringen, jenen Zuschauern zwischen 20 und 30, die mit der Zeit nichts zu tun hatten. „Bei Test-Screenings haben wir festgestellt, dass denen Rohwedder gar nichts sagt. Das ist für die eine Hunderasse. Auch die RAF kennen die Jüngeren zum Teil gar nicht. Das halten sie für eine Hip-Hop-Band.“

Rohwedders Witwe verstarb während der Produktion

Eine weitere Herausforderung bestand darin, Rohwedder nahbar zu zeigen. Rohwedders Kinder wollten sich nicht äußern. Nur Ehefrau Hergard, die bei dem Attentat ebenfalls verletzt wurde, sagte ein Gespräch zu, starb aber während der Produktion. Sie hatte die Sicherheitskräfte wegen der unzureichenden Schutzmaßnahmen – anders als im Erdgeschoss waren die Fenster in der ersten Etage nicht durch Panzerglas geschützt, obwohl die Familie nach ihrer Schilderung darauf gedrungen hatte – massiv kritisiert.

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Für die Gebrüder Beetz war die Arbeit mit Netflix eine völlig neue Erfahrung. Anders als beim deutschen Fernsehen war die Produktion vollfinanziert, ganz ohne Diskussion über Tarife und Bankkredite. Bemerkenswert war für Christian Beetz überdies die absolute Freiheit, die Netflix den Machern von „Rohwedder“ gegeben hat. „Mach mal, was du denkst. Wir sind dein Sparringpartner und weisen vielleicht ab und zu darauf hin, dass wir eine Entertainment-Plattform sind.“

Selbst in der Frage, wie lang jede Episode ist, habe man Freiheiten, die es im durchformatierten linearen Fernsehen nicht gibt. „Bei Netflix heißt es: ,Die Story diktiert die Länge‘.“

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