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Medien: Missionar für die Einheit

Der Journalist und ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal ist tot / Von Reinhard Appel

Die Nachricht vom plötzlichen Tod meines langjährigen Kollegen Gerhard Löwenthal erreichte mich am Sonntagabend kurz vor der „Tagesschau“. Sie schockierte mich, weil ich zwei Tage zuvor von der „Welt“ zu einem Geburtsartikel für ihn aufgefordert worden war. Ich ließ die zwölfjährige Zusammenarbeit mit ihm noch einmal Revue passieren und habe auf sein Bedauern reagiert, dass nach der Wiedervereinigung, an die er in seinen Sendungen im Unterschied zu anderen niemals zweifelte, niemand zu ihm gekommen sei, um zu sagen: „Mensch, Löwenthal, Sie hatten Recht.“

Ich bescheinigte ihm als damaliger Chefredakteur des ZDF und Anhänger der Ostpolitik Willy Brandts – die er bekämpfte –, dass sein beharrlicher Glaube an die Wiedervereinigung vorbildlich war. Am gestrigen Sonntag, seinem 80. Geburtstag, hoffte ich auf ein Telefongespräch mit ihm, wie wir es in der Vergangenheit, auch nach seinem Ausscheiden aus dem ZDF, immer wieder einmal geführt hatten. Aber das Telefonat blieb aus. Man möchte mit dem Schicksal hadern.

Ein Dankwort hätte Gerhard Löwenthal so gut getan, denn obwohl er nach seinem Abschied vom ZDF immer wieder die Öffentlichkeit suchte, sicher auch um Bestätigung zu erfahren, war es, auch wegen einer gewissen Gebrechlichkeit, einsam um ihn geworden.

Im ZDF war Löwenthal eine Institution, eine zunehmend unbequeme Institution, gewiss. Für ihn war Journalismus ideologischer Kampf. Er, der einst in Berlin Willy Brandt sehr schätzte, kämpfte dann von 1969 an verbissen gegen die Ost und Aussöhnungspolitik des Kanzlers der sozialliberalen Regierung und organisierte in bestimmten Medien Kampagnen, veröffentlichte Geheimpapiere von Egon Bahrs Verhandlungen in Moskau. Um Flüchtlingen aus der DDR zu helfen, initiierte und unterstützte er die „Aktion Hilferufe von drüben“, was in Einzelfällen zu Verhaftungen führte und deshalb eingestellt werden musste.

Die SED-Führer waren für ihn „rote Nazis“, menschenverachtende Kommunisten, von denen unsere Landsleute befreit werden mussten. Auf welche Weise das erreicht werden könnte, hat Löwenthal nicht erklären können, aber seiner Meinung nach auf keinen Fall durch die Anerkennung der DDR. Deshalb bekämpfte er die Vertragspolitik Willy Brandts und die „Anpasser“ im Westen, die nicht mehr an das Ende der Spaltung glaubten. Manche wiederum hofften auf eine Wiedervereinigung, aber sie hegten Zweifel. Löwenthal jedoch war ein kämpferischer Missionar ohne Zweifel.

Gerhard Löwenthal wurde am 8. Dezember 1922 in Berlin als Sohn eines jüdischen Fabrikanten geboren. Seine Großeltern kamen im KZ Theresienstadt ums Leben; er selbst und sein Vater waren zeitweise in Sachsenhausen inhaftiert. Er lernte Optiker und überlebte den Krieg in einer Berliner Optikerwerkstatt, die Brillen auch für die SS herstellte. Nach dem Krieg begann Löwenthal ein Medizin-Studium, aber er brach es ab, um Reporter beim RIAS zu werden, bei dem er es zum stellvertretenden Programmdirektor brachte. 1963 kam er zum ZDF, übernahm das Europastudio in Brüssel, bis ihn Gründungsintendant Karl Holzamer – mit Unterstützung der SPD – zum Chef des „ZDF-Magazins“ berief.

In der ARD war erfolgreich das zeitkritische Magazin „Panorama“ von Peter Merseburger etabliert worden. Das ZDF wurde als „Unterhaltungsdampfer“ oder auch als „Herz-Jesu-Fernsehen“ (Günter Gaus) bezeichnet. Dem wollte man im ZDF ein offensives Magazin entgegensetzen, welches ebenfalls hohe Aufmerksamkeit oder Aufsehen erregen konnte. Dafür schien Gerhard Löwenthal der richtige Mann. Er ließ sich Privilegien vertraglich zusichern, so zum Beispiel die direkte Unterstellung unter den Chefredakteur und die Berufung zum Moderator und Redaktionschef ohne Zeitbegrenzung.

Im Fernsehrat des ZDF haben jahrelang die Sendungen Löwenthals auf der einen und die Sendungen Hanns Werner Schwarzes auf der anderen Seite in Umfragen und Angriffen eine herausragende Rolle gespielt. Die Sozialliberalen polemisierten gegen das „ZDF-Magazin“ und die Konservativen gegen „Kennzeichen D“. Schließlich gelang es mir, ein Richtlinienpapier über den Freiheitsraum eines zeitkritischen Meinungs-Magazins im Unterschied zu Nachrichten-Sendungen bei den Gremien durchzusetzen.

Vom 8. Januar 1969 an – in einer seiner ersten Sendungen trug er zum Sturz von Bundestagspräsident Eugen Gerstenmeier (CDU) bei – bis zu seinem Ausscheiden 1987 moderierte Löwenthal 585 Magazinsendungen ohne eine Unterbrechung. Bis in die Anfänge der 80er Jahre hinein erzielte er, vor allem auch in der DDR, hohe Resonanz. Nach dem Sturz Helmut Schmidts und der Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler hoffte er vergeblich auf einen Kurswechsel in der Ostpolitik. Danach geriet Löwenthal in eine gewisse Isolierung. Er suchte Echo für seine Thesen und Meinungen, wo er sie finden konnte, auch bei rechtskonservativen Organisationen. Seine klare antinationalsozialistische Einstellung blieb davon unberührt. Mit dem 65. Lebensjahr wurde er, gemäß der ZDF-Statuten, pensioniert, was er als „Zwangspensionierung“ qualifizierte. Er verbat sich ein Abschiedsfest und erlaubte nur mir, seinem Chefredakteur, ein Abschiedsessen, weil unsere Kollegialität trotz gegensätzlicher Ansichten nie gelitten hatte.

Der Autor war von 1976 bis 1988 ZDF-Chefredakteur.

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