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Medien: Mein Schmerz heißt Katja

Kommissar Tauber hat einst einen Arm und eine Frau verloren. Das muss er im neuen „Polizeiruf 110“ verarbeiten

Phantomschmerzen nennt man das. Wenn einem ein Körperteil schmerzt, den man gar nicht mehr hat. Meist ein Bein oder ein Arm. Dem Münchner Kommissar Tauber (Edgar Selge) fehlt ein Arm. Und manchmal, da schmerzt oder juckt dieser Arm noch. Jahre ist das nun schon her, dass er ihn verloren hat. Bei einem Einsatz war das, damals, als er drei Bankräuber jagte, irgendwo über den Dächern der Isar-Metropole. Einen von ihnen hat er gar vorm sicheren Sturz in den tiefen Tod gerettet, Katja (Catherine Flemming) nämlich, die Frau im Trio. In die hat sich Tauber denn auch prompt verliebt. Damals.

Aber manchmal ist das ja so mit der Vergangenheit, da schwappt sie urplötzlich hoch an die Oberfläche, in die Gegenwart hinein. Dann ist Katja wieder unverhofft in Taubers Leben, deutlich, allzu deutlich sichtbar an der Oberfläche, landet sie doch abermals mit den kriminellen Brenner-Brüdern Jako (Thure Riefenstein) und Zach (Wolfgang Maria Bauer) einen Coup. Diesmal wird ein Juweliergeschäft überfallen, und der brachiale Jako, mit dem Katja zusammen ist, erschießt beim Überfall die Goldschmiedin. Einfach so. Das hält Jako schon immer so. Und eigentlich, ja eigentlich will Katja lange schon weg von ihm. Doch die Angst hält sie bei ihm – bis sie Jürgen Tauber eines Tages wieder gegenübersteht.

Ungewöhnlich ist er abermals, dieser nunmehr zwölfte „Polizeiruf 110“ des Bayerischen Rundfunks („Tiefe Wunden“, in der ARD um 20 Uhr 15), in dem Edgar Selge einmal mehr den einarmigen, süffisant-ironischen, eher verkopft-melancholischen Kriminalhauptkommissar Jürgen Tauber gibt und Michaela May als seine Kollegin Jo Obermaier das erdig-bayerische Pendant verkörpert.

Tauber, der Kopf, und Obermaier, der Bauch – gemeinsam erreichen sie längst schon „Tatort"-Niveau. Es ist dies das fünfte Mal, dass sie zusammen im heimeligen München ermitteln (und das erste Mal, dass Münchens Oberbürgermeister Christian Ude mitspielt). Überdies unter der Regie des 42-jährigen italo-amerikanischen Regisseurs und Autors Buddy Giovinazzo aus New York, der bereits mit US-Größen wie Tim Roth und James Russo gearbeitet hat. Giovinazzos jüngster Roman soll von Regie-Star Tony Scott 2004 verfilmt werden. „Potsdamer Platz“ heißt dieser Stoff, und Giovinazzo ist inzwischen schon nach Berlin umgezogen.

All das mag für einen „Polizeiruf“ auch ungewöhnlich sein. Zudem ist „Tiefe Wunden", geschrieben von Christian Limmer, zweifelsohne der wohl privateste Film dieser Reihe. Ganz um Tauber dreht sich diesmal alles, um seine verlorene Liebe, für die sein verlorener Arm stehen mag. Oft dreht sich die Kamera um den deutlich verdüsterten Edgar Selge, fängt ihn im Close Up ein, mitunter minutenlang, zeigt ihn mutterseelenallein auf dem Dach, mit Blick über München, immer wieder, manchmal fast bewegungslos.

Dieser Mann, dieser lonesome cowboy, er lebt mit „tiefen Wunden", von denen bisher seine Kollegin und irgendwie mütterliche Freundin Jo Obermaier nichts ahnte. Nur langsam gibt er die Geschichte um den Verlust seines Armes preis, eine Geschichte, die untrennbar mit Katja, mit seiner Katja verbunden ist. Das spielt gerade Edgar Selge wieder ganz wunderbar, mit einem verhaltenen Gestus, dessen minimalistische Reduktion die eigentliche darstellerische Größe ist. Ungewöhnlich ist er, dieser BR-„Polizeiruf 110", sehr privat und durchaus gewagt. Und bei alledem wird er immer besser.

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