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Die Schlussnummer. 80 Jahre lang existierte die "Magyar Nemzet" ("Ungarische Nation").

© Magyar Nemzet

Medienfreiheit in Ungarn: Letzte oppositionelle Tageszeitung kurz nach Orbán-Wahl eingestellt

"Magyar Nemzet" enthüllte im Wahlkampf wichtige Korruptionsfälle. Der Besitzer erklärte nach dem klaren Wahlsieg Viktor Orbáns nun das Ende der Zeitung.

Wenige Tage nach dem erneuten Wahlsieg von Ministerpräsident Viktor Orbán ereilte die ungarische Presse ein Schlag: Die konservative Tageszeitung „Magyar Nemzet“ wurde am Mittwoch zum letzten Mal publiziert. „Wir stehen noch unter Schock“, sagte der stellvertretende Chefredakteur Zsombor György dem Tagesspiegel.

Damit stellte die letzte überregionale Tageszeitung Ungarns, die noch nicht in regierungsnahen Händen ist, ihr Erscheinen ein, offiziell aus finanziellen Gründen. Die Mitarbeiter erfuhren am Dienstag von der Entscheidung des Investors Lajos Simicska.

„Magyar Nemzet“ wurde 1938 gegründet und überlebte sowohl das faschistische Horthy-Regime als auch den Staatssozialismus. Während dem Ungarn-Aufstand 1956 galt es als führendes Organ des Volksaufstands und spielte auch während der Wende eine bedeutende Rolle. „Wir sollen am Donnerstag einen Vortrag zum 80. Jubiläum in einer Universität halten“, sagt György. Über die Vergangenheit könne man viel erzählen, sagt der stellvertretende Chefredakteur. Über die Zukunft wisse man nichts.

Die zweite Schließung einer großen Tageszeitung

Der Fall erinnert an den Verkauf und die Schließung der ebenfalls regierungskritischen „Népszabadság“ im Oktober 2016. Auch damals wurden finanzielle Gründe aufgeführt. Die Zeitung berichtete jedoch regelmäßig über Korruption in Regierungskreisen.

Auch die Schließung der „Magyar Nemzet“ hat wohl politische Hintergründe: Inhaber Simicska, ein langjährigen Schul- und Studienfreund Viktor Orbáns, wandte sich 2014 nach einem Zerwürfnis gegen den Politiker. Besonders im vergangenen Wahlkampf veröffentlichte die Zeitung wichtige investigative Recherchen, etwa über Korruption mit EU-Geldern durch Firmen, die mit Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz in Zusammenhang stehen.

Die versammelte Redaktion der "Magyar Nemzet" verabschiedet sich in der letzten Ausgabe am 11. April. Sie hoffen, dass sie zurückkehren können.
Die versammelte Redaktion der "Magyar Nemzet" verabschiedet sich in der letzten Ausgabe am 11. April. Sie hoffen, dass sie zurückkehren können.

© Magyar Nemzet

Kritische Berichterstattung lohnt sich nicht mehr

Das hatte Folgen: „Die letzten Jahre haben wir mit sehr starken Gegenwind kämpfen müssen“, sagte der stellvertretende Chefredakteur György. Fidesz-Politiker haben mit Journalisten der Zeitung geäußert nicht mehr gesprochen, und es soll laut György mehreren Behörden verboten worden sein, die Zeitung weiter zu abonnieren. Die Auflage sank seit 2014 um die Hälfte auf etwa 15.000 Exemplare. Die Zeitung etablierte sich aber immer mehr als qualitatives und kritisches Medium.

Simicska hatte ebenfalls viel Geld in den Wahlkampf der Jobbik investiert, einer rechtsextremen Partei, die sich im letzten Wahlkampf als Volkspartei etablieren wollte. Er erhoffte sich dadurch eine Schwächung seines Erzfeindes Viktor Orbán.

Nach der Wahl am 8. April scheint der Investor überzeugt zu sein, dass es sich nicht mehr lohne, im System Orbán Geld in eine kritische Presse zu investieren. Auch das zu Simicska gehörende Lánchíd Rádió stellte seinen Betrieb am Dienstag ein. Der Fernsehsender Hír TV bleibt, mit Einschränkungen, bestehen.

Am 8. April wurde Viktor Orbán mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bestätigt.
Am 8. April wurde Viktor Orbán mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bestätigt.

© Attila Volgyi/dpa

Unabhängige Medien bangen um Zukunft

Nach dieser Entscheidung bangen auch die wenigen übrigen regierungskritischen Medien um ihre Zukunft. Öffentlich-rechtliche Sender und regionale Zeitungen in Ungarn transportieren die Standpunkte der Regierung, aber es gibt noch einige reichweitenstarke und unabhängige Onlinemedien. Auch der quotenstarke Fernsehsender RTL Klub, der zur deutschen RTL-Gruppe gehört, konnte bisher trotz Schikanen der Regierung, wie einer erhöhten Werbesteuer, eine kritische und objektive Berichterstattung aufrechterhalten.

„Magyar Nemzet“ hofft nun aufgekauft zu werden. Ein Angebot kam schon: Der 26 Jahre junge Politiker Péter Ungár, Sohn des Immobilienmilliardärs András Ungár und der Fidesz-nahen Historikerin Mária Schmidt, erklärte auf Facebook, dass er das Erbe von seinem Vater, „zum Nutzen der gesamten Nation“ in die Zeitung investieren möchte. Doch noch ist unklar, ob Simicska überhaupt verkaufen will.

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