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Zu eng beieinander? Gesundheitsminister Jens Spahn im ARD-Interview.

© imago images/Christian Spicker

MEDIA Lab: Zwischen den Extremen

Neue Studien werfen die Frage auf, ob manche Medien in der Coronapandemie nicht doch zu regierungsnah berichten.

Der Kampf um die Deutungshoheit in der Corona-Pandemie wird immer verbissener ausgetragen. Dabei droht unterzugehen, wie heimtückisch und damit eben doch, wie letztlich unkontrollierbar und zufällig sich das Virus ausbreitet. Natürlich stricken die Regierenden und ihre divisionsstarken PR-Trupps am Narrativ, dass es ihrer Umsicht zu verdanken ist, dass wir in Deutschland vergleichsweise glimpflich davongekommen sind – die Kanzlerin, Markus Söder und seine Rivalen um die künftige Kanzlerschaft lassen grüßen. Ob das Narrativ mehr ist als eine Legende, wissen wir nicht.

Da tut es gut, Erfrischendes aus einem Nachbarland zu entdecken, das stärker von Corona gebeutelt wurde als wir und jetzt trotzdem schnell Wege zurück aus dem Lockdown in die Normalität sucht. Es ist bereits vom „Schweden in Mitteleuropa“ die Rede – die Schweiz. Auch unter dortigen Forschern sind Stimmen, die Gehör verdienen. Roland Schatz (Media Tenor, Zürich) untersucht vergleichend die internationale Medienberichterstattung.

Sein Newsletter „Corona-Perspektiven“ findet in deutschen Medien bislang wenig Widerhall, vermutlich auch, weil er sich kritisch zur Corona-Berichterstattung äußert. Er beklagt, es sei aus dem Ausland „bevorzugt anhand von Schreckensbildern aus Italien, Spanien, UK oder den USA“ über Covid-19 berichtet worden. „Länder mit Lösungen und auffallend geringen Todesfällen wie die Slowakei, Estland oder Taiwan wurden eher ausgeblendet.“ Über Schweden hätten sowohl die BBC als auch der österreichische ORF und die RAI in Italien falsche Todeszahlen berichtet – alles öffentlich-rechtliche Sender.

Im Schweizer „Monat“ beklagt der Ökonom Bruno Frey die „Macht der Virokraten“. Er macht darauf aufmerksam, wie sich zeitweise die Erkenntnisse „der Wissenschaft“ in der Medienberichterstattung auf Virologen und Epidemiologen verengt hätten. Der Vorwurf richtet sich auch an Journalisten. Sie befragten Experten „immer wieder über Aspekte, die über ihr Fachgebiet hinaus“ reichen. Diese tappten in die Falle, dass sie zu wissen glaubten, „was für die Gesellschaft als Ganzes gut ist“, weil sie „im kleinen Bereich Großes geleistet“ haben.

Frühzeitig hat sich auch Otfried Jarren (Universität Zürich) in den Diskurs eingeschaltet. Er begleitet als Präsident der Eidgenössischen Medienkommission die Schweizer Medienpolitik mit wissenschaftlichem Rat. Als einer der ersten Medienforscher, die sich zur Corona-Berichterstattung Gehör verschafften, beklagte er in epd-Medien, ARD und ZDF berichteten zu regierungsnah.

Das galt dann auch für die SRG in der Schweiz – zumindest im besonders stark von Corona heimgesuchten Tessin. Statt „nur“ regierungslammfromm zu senden, wurde im italienischen Sprachraum ein Team des öffentlich-rechtlichen Rundfunks direkt ausgeborgt, um die pandemiebezogene Öffentlichkeitsarbeit der kantonalen Regierung zu unterstützen. Das geschah zwar nicht in Divisionsstärke, war aber gleichwohl ein Sündenfall, der so gar nicht zur hoch entwickelten Kultur der Unabhängigkeit der SRG in der Schweiz passt.

Das ist nur das eine Extrem, mit dem wir es in den letzten Wochen zu oft zu tun hatten: Mangels eigener Wissenschaftsressorts hingen viele Berichterstatter an den Lippen der Sprecher von Ministerien und regierungsnahen Forschungsstätten wie dem Robert-Koch-Institut, ohne allzu kritische Fragen zu stellen. Das andere Extrem, wie Wissenschaftsberichterstattung nicht erfolgen sollte, führt uns die „Bild“ vor, die den Virologen Drosten übel medial bekriegt – und das Vertrauen in den Journalismus weiter ramponiert.

Stephan Russ-Mohl

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