zum Hauptinhalt
Opfer des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine auf der einen Seite, auf der anderen der mediale Hype, der anscheinend immer nur ein dominantes Thema zulässt.

© Francisco Seco/AP/dpa

MEDIA Lab: Infodemien als neue Gefahr für den Journalismus

Eine „Infodemie“ entsteht, wenn Fake News, Halb- und Viertelwahrheiten und Propaganda ziemlich ungefiltert zirkulieren. Sie ist nicht auf Social Media begrenzt.

Ob wir wollen oder nicht: Wir alle sind Opfer von Medien-Hypes und damit der Aufmerksamkeitsökonomie. Ein Stichtag, der dies drastischer belegt als der „normale“ Alltag im Nachrichten-Business, war der 24. Februar: Der Tag, als Putin die Ukraine angriff – und als gleichsam über Nacht der Medien-Hype um die Covid-Pandemie vom Medien-Hype um den Krieg abgelöst wurde, den im Europa des Jahres 2022 so gut wie niemand mehr für möglich gehalten hatte.

Beide Hypes haben gemeinsam, dass sie jeweils unser aller Aufmerksamkeit auf ein einziges Thema fokussieren, das nicht nur die Medienberichterstattung, sondern auch die Alltagsgespräche dominiert: Aus 80 Millionen deutschen Corona-Experten sind in wenigen Tagen 80 Millionen Militärexperten geworden.

[The Infodemic: How Censorship and Lies Made the World Sicker and Less Free, by Joel Simon and Robert Mahoney, Columbia Global Reports]

Was bisher zwar nicht fehlt, aber kaum mediale Aufmerksamkeit erhält, sind Versuche, die medialen Leistungen und Fehlleistungen während solcher Hypes wissenschaftlich aufzuarbeiten. Dabei wäre deutlich zu machen, wie groß die Risiken sind, dass trotz aller journalistischer Aufmerksamkeit, die dem jeweils dominanten Thema gezollt wird, während einem Medienhype eine „Infodemie“ entsteht, in der Fake News, Halb- und Viertelwahrheiten und Propaganda ziemlich ungefiltert zirkulieren – und sich eben nicht nur in den „sozialen Netzwerken“, sondern allzu oft auch in die seriösen Leitmedien einschleichen.

Gefahren im Nachrichtengeschäft

Weil diese Gefahr in der Kriegsberichterstattung vermutlich noch größer ist als im Nachrichtengeschäft mit der Pandemie, sei hier zumindest auf eine Forschungsarbeit aufmerksam gemacht, welche den vorangehenden Hype um die Covid-Berichterstattung aufzuarbeiten versucht.

Joes Simon und Robert Mahoney, beide vom Committee to Protect Journalists, spüren der Frage nach, wie Zensur und Lügen während der Pandemie „die Welt kränker“ gemacht und uns auch ein Stückweit unserer Freiheit beraubt haben. Dabei beschreiben sie die Dilemmata des medialen und politischen Umgangs mit der Pandemie. Nicht zuletzt geht es um die vielfältige staatliche Einflussnahme auf Medien, die auch die Kriegsberichterstattung prägt – freilich ohne Patentrezepte anzubieten, wie sich Infodemien erfolgversprechend bekämpfen ließen.

Stephan Russ-Mohl

Zur Startseite