zum Hauptinhalt

MEDIA Lab: Dichtung und Wahrheit

PR-Experten setzen statt traditioneller Pressearbeit auf mobile Online-Kommunikation und damit auf eine Direktansprache ihrer Zielgruppen.

Dies ist die überraschendste Erkenntnis des diesjährigen European Communication Monitor: 2777 befragte PR-Experten sehen einen dramatischen Bedeutungsverlust für die traditionelle Pressearbeit und setzen stattdessen auf mobile Online-Kommunikation und damit auch auf eine Direktansprache ihrer Zielgruppen. Hatte im Jahr 2008 für die Öffentlichkeitsarbeiter noch die Beziehungspflege zu den Printmedien höchste Priorität, so ist das heute nur noch für drei Viertel der Befragten wichtig, und weit weniger als die Hälfte rechnet damit, dass 2017 diese Art der Medienarbeit noch relevant sein könnte.

Der Report wird vom Leipziger PR-Forscher Ansgar Zerfass jährlich zusammen mit Kollegen erarbeitet und erfasst vergleichend Befindlichkeiten und Trends in der Kommunikationsbranche in 42 Ländern. Das Umfrageergebnis lässt sich wohl am besten so interpretieren: Die Öffentlichkeitsarbeit hat lange darauf gesetzt, dass Journalismus glaubwürdiger ist als eigene Werbebotschaften – und deshalb hat sie den Journalismus über Pressearbeit infiltriert. Diese Pressearbeit ist immer professioneller geworden und hat viele Redaktionen dazu verführt, Medienmitteilungen mit einem Mausklick zu übernehmen, statt sie kritisch zu hinterfragen. Weil auf diese Weise die „andere Hälfte“ der Wahrheit systematisch ausgeblendet wird, hat die Glaubwürdigkeit des Journalismus Schaden genommen.

Trotzdem sind Journalisten für Öffentlichkeitsarbeiter weiterhin lästig. Manchmal stellen sie ja kritische Fragen, und obendrein haben sie mitunter eigene Vorstellungen, was für ihre Publika berichtenswert sein könnte und was nicht. Wer kann, macht als Kommunikationsexperte deshalb einen Bogen um sie herum – oder er kauft sie am besten gleich für die eigenen Zwecke ein. Dies belegt der jüngste Boom des Corporate Publishing, an dem nicht zuletzt die deutschen Großverlage partizipieren.

Stephan Russ-Mohl

Zur Startseite