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Maximilian Erlenweins Debüt "Schwerkraft": Sehnsucht nach Ausbruch

Getrieben und gejagt: Mit „Schwerkraft“ wird Fabian Hinrichs zum Star.

Das Gesicht ist verschattet, die Augen sind es noch mehr, saugen Nacht an wie schwarze Löcher. So viel Finsternis in einem Leben, das eigentlich der Inbegriff der Normalität sein soll, ein Bankangestelltenjob von neun bis fünf, Routinearbeit, die darin besteht, den Kunden ungünstige Kredite aufzuschwatzen und sie dann in Krisenzeiten zu kündigen. Frederik Feinermann, das klingt wie Egon Mustermann, eine Nullachtfünfzehn-Existenz in der Mühle des Kapitalismus.

Doch schon die penibel aufgeräumte Wohnung, in der es nie Tag wird, die Hemden nach Farben geordnet von Weiß über Hellgrau bis Dunkelgrau, die Schuhe sorgsam aufgereiht im Schrank, die ganze Einrichtung in Schwarz und Grau, und nicht ein Farbfleck, der etwas Persönlichkeit verriete, all das lässt bereits ahnen, hier stimmt was nicht. Wenn dieser Frederik Feinermann morgens auf dem Fitnesstrainer ackert, die Atemzüge tief wie bei einem Langstreckenläufer, dann weiß man, hier ist ein Getriebener, Gejagter, eine menschliche Zeitbombe, und die Atemzüge markieren das Ticken, bis sie hochgeht.

„Schwerkraft“, der Debütfilm von Maximilian Erlenwein, der 2009 groß beim Max Ophüls Festival in Saarbrücken abräumte, für den deutschen Filmpreis nominiert war und am Samstagabend von Arte ausgestrahlt wird, ist der Film des Fabian Hinrichs. Und das, obwohl er auch mit einem ungewöhnlich zurückgenommenen und konzentrierten Jürgen Vogel, einem anbiedernd-schmierigen Thorsten Merten und einer schneewittchenschönen Nora von Waldstätten punkten kann. Doch der schmale Fabian Hinrichs, volksbühnensozialisiert unter Frank Castorf, Rene Pollesch und Christoph Schlingensief, trägt den Film durch jede Szene, nein, er treibt ihn vor sich her.

Hinrichs ist, seit „Schwerkraft“, eine Ausnahmefigur im deutschen Film, der Mann für die Nachtseiten des Leben, fürs Nervöse, Sensible, Gefährliche, er hat etwas Züngelndes, Zappelndes, kann die Füße nicht stillhalten, und die Zunge auch nicht. Sein Frederik Feinermann ist zwar ein Mann ohne Eigenschaften, aber dafür mit viel zu viel überschüssiger Energie: Redet wie ein Wasserfall, aber nur Stuss, spielt wie ein Kind mit dem Feuer, und es fehlt ihm erkennbar jener kleine Sicherheitsrückhalt, der einen Menschen erst zum Menschen macht. Eine Notsicherung im Kopf, die Rücksicht heißen kann, Mitgefühl, Menschlichkeit. Dieser Frederik Feinermann ist ein später Nachfolger des sanften Killers Paul aus Hanekes „Funny Games“: Übermütig wie ein junger Hund stürzt er sich in Gewalt und Zerstörung, als wäre das gerade eine super Idee für ein neues Spiel, und die Psychobilly-Musik, die immer just dann anschwillt, gibt das Tempo vor. Erwachsen geht anders.

Wie dieser Bankangestellte eine Spur der Gewalt und Zerstörung hinterlässt, einfach nur so, aus Spaß, das zeigt „Schwerkraft“-Kameramann Ngo The Chau in ungewöhnlich stilisierten Bildern. Sorgfältig gewählte Schwarz-Grau-Weiß-Töne für die Alltagswelt, kontrastiert mit leuchtenden Nachtszenen in einem Leipzig, das sich als apart verkommene Filmlocation empfiehlt. Hinzu kommt eine Vorliebe für Zentralperspektiven und ein Drehbuch (ebenfalls Maximilian Erlenwein), das manchmal vielleicht etwas selbstverliebt sich an den eigenen Ideen freut, das ist insgesamt ein Look, ein cooler Ton, der deutlich herausfällt aus der üblichen Fernsehkost und den Ehrgeiz zum Film noir verrät.

Wobei Frederiks Ausbruch aus der Alltagswelt durchaus Züge von Befreiung und Systemkritik trägt: Wenn er in der Konferenz den versammelten Angestellten noch einmal die Meinung sagt, vom schlechten Kaffee in der Kantine über den überflüssigen Behindertenparkplatz bis zu den Spaghetti-Trägern der fülligen Kollegin, ist das ebenso lustvolle Grenzverletzung wie die letzte Beleidigung der nervigen Vorgesetzten. Die große Sehnsucht nach dem Ausbruch: Das teilt diese von Fabian Hinrichs verkörperte Figur mit ihrem Regisseur. Von beiden wird man noch viel hören.

„Schwerkraft“, 22 Uhr 45, Arte

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