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Nett sind andere. Der kleinwüchsige Tyrion, der sich selbst einen Zwerg nennt, mordet, säuft, giert nach Macht. Nicht unbedingt sympathisch, aber faszinierend allemal.

© HBO

Marion Brasch zu "Game of Thrones": Es ist, ganz klar, das Herz

Es gibt sehr viele, sehr gute Serien. Aber es gibt nur ein „Game of Thrones“. Weil es neben Macht, Politik, Liebe und Verrat um die Unergründlichkeit des Herzens geht. Eine Liebeserklärung

Jon Snow stirbt. Diese Information machte neulich bei Twitter die Runde und hat unter Fans von „Game of Thrones“ für Irritation und Unmut gesorgt. Denn erstens ist Jon Snow einer der wichtigsten und beliebtesten Charaktere der Fantasy-Saga und zweitens kommt unangekündigtes Spoilern von TV-Serien einer modernen Todsünde gleich. Dabei hat Jan Böhmermann, der den Hashtag #JonSnowDies für seine Show „Neo Magazin Royale“ ausgegeben hatte, einfach nur lustig auf das reagiert, was vorher passiert war: Die ersten vier Folgen der neuen Staffel waren im Netz, bevor sie im Fernsehen liefen. Böhmermann hat also nichts anderes getan, als eine vermeintliche Sünde (Leak) durch eine andere Sünde (Spoiler) weiterzuerzählen. Schlimm? Nö, im Gegenteil. Die Einschaltquote der ersten Folge war trotz des Leaks die höchste seit dem Start der HBO-Serie vor vier Jahren.

Dass Böhmermann nicht gespoilert hat, können übrigens nur jene wissen, die die Romanvorlage „Das Lied von Eis und Feuer“ von George R.R. Martin kennen, die der Fernsehserie zugrunde liegt. Und (Achtung: Spoiler) selbst die wissen es am Ende der bisher in Deutschland erschienenen zehn Bände nicht ganz genau.

Man kann die Drachenscheiße buchstäblich riechen

Darüberhinaus wird man allerdings auch über andere Dinge im Unklaren gelassen in dieser phantastischen Geschichte um den fiktiven Mittelalter-Kontinent Westeros. Einer Geschichte, die laut Literaturkritiker Denis Scheck so realistisch ist, „dass man die Drachenscheiße buchstäblich zu riechen scheint“.

Abgesehen von den Drachen und ein paar anderen ebenso magischen wie schlechtgelaunten Kreaturen, hat alles Hand und Fuß in der Geschichte, denn es werden Themen verhandelt, mit denen wir uns bestens auskennen. Macht, Politik, Liebe, Verrat und vor allem: die Unergründlichkeit des Herzens.

Gefragt danach, was ihn neben der Faszination für das Mittelalter beim Erfinden seiner Geschichte antreibe, sagte George R.R. Martin, er folge dem Gedanken des amerikanischen Erzählers William Faulkner, wonach das einzige, worüber es sich zu schreiben lohne, das menschliche Herz im Konflikt mit sich selbst sei. Und genau das ist es vermutlich, warum Leute wie ich solche Geschichten lieben. Epische Geschichten, in denen man über Wochen, Monate und Jahre anderen Leuten beim Zwiespältigsein zuschauen kann. Egal ob diese Leute Tony Soprano, Walter White, Dexter Morgan oder Frank und Claire Underwood heißen. Und auch egal, ob sie in einer realen oder fiktiven Welt zwiespältig sind. Sie kochen alle nur mit Wasser, und das ist irgendwie tröstlich.

Wenn ich also heute noch glaube, Jon Snow zu kennen und zu wissen, dass er einer von den Guten ist, werde ich morgen vielleicht eines Besseren belehrt. Und hat die einigermaßen gerechte Prinzessin Daenerys Targaryan nicht gerade dafür gesorgt, dass das ihr untergebene Volk ziemlich angefressen guckt?

Es soll übrigens (vornehmlich weibliche) Leute geben, die „Game of Thrones“ wegen der „starken Frauenfiguren“ für eine feministische Serie halten. Würde man ein Shakespeare-Drama oder ein Märchen der Brüder Grimm als feministisch bezeichnen, nur weil die Mädchen da mitunter cool und die Jungs eher Weicheier sind? Eben.

Aber was ist eigentlich mit dem Auftragsmörder Jaqen H'ghar? Wird er irgendwann aufhören, in der dritten Person über sich zu quatschen und so geheimnisvoll zu tun? Oder jene vom Geschlecht der Graufreuds, bei denen der Name Programm zu sein scheint - gehen sie vielleicht zum Lächeln in ihre Burgverliese? Man weiß es nicht, und das ist prima.

Erstklassige Todsünden

Womit wir wieder bei den Sünden wären, denn neben den Sieben Königslanden, in denen man gern an Sieben Götter glaubt, ergibt sich das Personal sehr irdisch und sehr gern den Sieben Todsünden.

Am liebsten schaut man dabei dem kleinwüchsigen Tyrion zu, der sich selbst Zwerg nennt und sich durch die Serie vögelt, faulenzt, säuft, mordet und genauso nach Macht giert wie die meisten anderen auch. Er hat schlechte Karten und es trotzdem faustdick hinter den Ohren. Er ist klein und unförmig und hat trotzdem die schönsten Frauen und die meisten Bettszenen. Deshalb mögen wir ihn.

Aber wir mögen auch Brienne, die loyale Ritterin, die eine Frau wie ein Baum ist. Oder die tapfere Arya, die lieber ein Junge geworden wäre. Aber werden sie vielleicht doch irgendwann unsere Sympathien verspielen, weil sie nicht abgründig genug sind?

Und dann gibt es noch die Figuren, über die man sich keine Gedanken mehr machen kann, wie um den blonden Widerling Joffrey, bei dem Bosheit und Feigheit eine so wundersame Allianz eingegangen sind, dass man ihm gern noch länger beim Grausamsein zugeschaut hätte. George R.R. Martin hat Joffrey getötet. Aber so ist das nun mal mit dem Herzen im Konflikt mit sich selbst. Irgendwann trifft es eine Entscheidung.

Und Jon Snow? Wird er sterben? Klar. So wie wir alle. So ist das Leben. Oder um es mit Jaqen H'ghar zu sagen: „Valar Morghulies“ – Jeder Mann muss sterben. Und bis dahin? Weitermachen!

Marion Brasch ist Moderatorin bei Radio Eins und Autorin. Ihr letzter Roman hieß „Wunderlich fährt nach Norden“.

Marion Brasch

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